"Die Wahrheit interessiert mich nicht" begründet Befangenheit
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Befangenheit eines Zivilrichters des LG Chemnitz bejaht, weil dieser in einer Verhandlung sagte, er habe kein Interesse an der Wahrheit (Beschl. v. 12.12.2012 - 2 BvR 1750/12). Damit sei er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert, entschied das Gericht und hob damit anderslautende Entscheidungen des Landgerichts (LG) und Oberlandesgericht (OLG) Dresden auf. Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz garantiere zum einen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, zum anderen das Vertrauen der Rechtsuchenden darin, dass Gerichte unparteilich und sachlich sind. Befangenheit eines Richters müsse nicht tatsächlich vorliegen, es genüge bei Würdigung aller Umstände der Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln.
Der Fall
Nachdem ein Richter des Landgerichts Chemnitz in einer Verhandlung die Worte sagte: "Die Wahrheit interessiert mich nicht.", lehnte ihn der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er hatte ihn zuvor, als der Vorsitzende die Protokollierung eines Beweisantrages verweigerte, daran erinnern wollen, dass er als Richter die Wahrheit zu erforschen habe. Die Zivilkammer des LG hielt den Befangenheitsantrag für unbegründet. Die Aussage sei zwar zu beanstanden, sie beträfe jedoch beide Parteien. Die Protokollierung stehe im Ermessen des Richters, von einer willkürlichen und sachwidrigen Benachteiligung könne nicht gesprochen werden. Das OLG Dresden rügte sogar das Verhalten des Rechtsanwalts. Dieser habe die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt, seinen Beweisantrag durchzusetzen. Der Richter habe seinem Amtseid hingegen nicht zuwiderhandeln wollen, so das OLG.
Die Entscheidung des BVerfG
Der im Grundgesetz verankerte Anspruch auf den gesetzlichen Richter ist nach Einschätzung des BVerfG nicht gewahrt. Mit seiner Aussage habe der Richter nicht nur den Unmut über das Verhalten des Rechtsanwaltes zum Ausdruck gebracht. Vor allem ergebe sich daraus, dass er an wesentlichen Amtspflichten uninteressiert sei. Auch der im Zivilrecht geltende Beibringungsgrundsatz, nach dem die Parteien wesentliche Tatsachenbehauptungen und Beweismittel zu benennen haben, bedeutet nach Ansicht des Gerichts nicht, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der Zivilrichter sei verpflichtet, der Wahrheit zu dienen. Da es die Besorgnis der Befangenheit daher nicht verneinen könne, hob das BVerfG die Beschlüsse von LG und OLG auf und verwies das Verfahren an das LG zurück.
(Veröffentlichungsdatum: 19.02.2013)
Autor(en)
Steffen Pasler
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht
ETL Rechtsanwälte GmbH, Rostock
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