Beschäftigungspflicht (des Arbeitgebers)
Im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber grundsätzlich einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung.
Siehe dazu auch LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.10.2020 – 25 Sa 1105/20 m. Anm. Melot de Beauregard, DB 2021, 1017:
„2.1 Der Kläger hat einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung entsprechend der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten, die der Kläger der Beklagten gemäß Arbeitsvertrag vom 25.09.2007 schuldet, gemäß 611, 613 BGB i. V. m. 242 BGB und Art. 1 und Art. 2 GG.
Der Beschäftigungsanspruch räumt dem Arbeitnehmer das Recht ein, im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses tatsächlich vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Der Arbeitgeber ist während des Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht lediglich Gläubiger der Arbeitsleistung und Schuldner der vertraglichen Vergütung, vielmehr ist er grundsätzlich zur Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verpflichtet.
Zwar sieht das Dienstvertragsrecht – anders als das Kauf- und Werkvertragsrecht – keinen Anspruch vor, die angebotene Leistung auch tatsächlich anzunehmen (§ 611 Abs. 1 BGB). Vor Geltung des Grundgesetzes wurde daher auch ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch abgelehnt. Der Arbeitgeber konnte die Arbeitsleistung als Gläubiger fordern, war aber nicht zu ihrer Annahme verpflichtet (Küttner/Kania, Personalbuch Beschäftigungsanspruch Rn. 1). Ausnahmen existierten nur dort, wo wegen eines besonderen Beschäftigungsinteresses eine Ausnahme gerechtfertigt war. Dies war z. B. bei Bühnenkünstlern der Fall, wenn die stillschweigende Vereinbarung einer Beschäftigungspflicht angenommen werden konnte (Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, Beschäftigungsanspruch Rn. 1-4, beck-online).
Unter der Geltung des Grundgesetzes wurde allerdings ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgender Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers anerkannt. Das Bundesarbeitsgericht hat in der grundlegenden Entscheidung (BAG 10. November 1955 – 2 AZR 591/54, AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 2) den Charakter des Arbeitsverhältnisses als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis beschrieben. Der Arbeitgeber habe aufgrund der aus Art. 1 und Art. 2 GG abgeleiteten Wertentscheidung alles zu unterlassen, was die Würde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit beeinträchtigen würde. Eine solche Beeinträchtigung liege vor, wenn der Arbeitnehmer sein Gehalt in Empfang nehmen müsse, ohne sich in seinem Beruf betätigen zu können. Die Achtung und Wertschätzung des Arbeitnehmers hingen wesentlich von der von ihm geleisteten Arbeit ab. Der Betreffende, der nicht vom Arbeitgeber beschäftigt werde, sei nicht mehr vollwertiges Mitglied der Berufsgemeinschaft und der Gesellschaft überhaupt. Zur Verwirklichung der Persönlichkeit sei es daher nicht nur erforderlich, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Vergütung zuzugestehen. Vielmehr habe er einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung (BAG 10. November 1955, aaO).
Diese Rechtsprechung wurde in vielen Entscheidungen fortgeführt (BAG 26.Oktober 1971 – 1 AZR 113/68, juris; BAG 15 Juni 1972 – 2 AZR 345/71, juris; BAG 19 August 1976 – 3 AZR 173/75, juris; BAG 26. Mai 1977 – 2 AZR 135/76, juris; BAG 9 April 2014 – 10 AZR 637/13, juris). Auch in der Literatur ist ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis, trotz vereinzelter Kritik (vgl. H. Weber/J.-A. Weber RdA 2007, 344), grundsätzlich anerkannt. (Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, Beschäftigungsanspruch Rn. 1-4, beck-online, mwN).
Dabei wird nicht ausschließlich auf Art. 1 und Art. 2 GG abgestellt, teilweise wird ein Beschäftigungsanspruch im Wege des Erst-Recht-Schlusses aus § 102 Abs. 5 BetrVG hergeleitet, der vorsieht, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Verlangen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigen muss, wenn der Betriebsrat der Kündigung widersprochen und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat (Boemke in HK-ArbR BGB § 611 Rn. 388).
In seiner Entscheidung vom 27. Mai 1985 (- GS 1/84 -, NZA 1985, 702) stellt der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts auf die Förderungspflicht des Arbeitgebers aus §§ 611, 613 BGB i. V. m. § 242 BGB ab. Hierbei werde die Generalklausel des § 242 BGB durch die in Art. 1 und Art. 2 GG enthaltene Wertentscheidung ausgefüllt. Die in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wert-ordnung gelte als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und wirkt deshalb auch auf das Privatrecht ein (BVerfG 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221). Die Arbeitsleistung sei daher nicht lediglich als Wirtschaftsgut anzusehen, sondern auch als Ausdruck der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, Beschäftigungsanspruch Rn. 5-7, beck-online).
2.1.1 Vorliegend ist die Beklagte nicht ausnahmsweise von der Verpflichtung, den Kläger tatsächlich zu beschäftigen, befreit, weil diese unmöglich oder aber unzumutbar ist. Die einseitige Freistellung ist ein einseitiger Akt des Arbeitgebers, mit dem die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers verweigert wird. Sie ist allerdings nur in Ausnahmefällen zulässig.
2.1.1.1 Die Unmöglichkeit der Beschäftigung, etwa aus betriebsbedingten Gründen, führt gemäß § 275 BGB zum Erlöschen des Beschäftigungsanspruchs (BAG 18. März 1999 – 8 AZR 344/98, ZTR 1999, 516). Eine solche Konstellation greift vorliegend nicht ein. Die Beklagte betreibt die Klinik für Allgemein- und Visceralchirurgie am Klinikum C weiterhin.
2.1.1.2 Auch kann die Unzumutbarkeit der Beschäftigung eine Freistellung rechtfertigen, wenn das Freistellungsinteresse des Arbeitgebers das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (§ 275 Abs. 3 BGB). Dies setzt allerdings gewichtige Gründe voraus, etwa eine erhebliche Gefährdung für die Ordnung des Betriebs oder die Gefahr schwerer Vertragsverletzungen (ErfK/Preis BGB § 611 a Rn. 567 mwN). Ein Recht zur einseitigen Freistellung besteht deshalb in der Regel nur bei schweren bzw. schwersten drohenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, z. B. bei Vermögens- und Eigentumsdelikten, bei Tätlichkeiten, bei (drohenden) Wettbewerbsverstößen (LAG Rheinland-Pfalz vom 14. März 2017 – 8 Sa 388/16, juris; LAG Hamm vom 3. November 1993 – 15 Sa 1592/93, EzA-SD 1994 Nr. 9, S. 11), oder wenn der Arbeitgeber durch Tatsachen begründet annehmen darf, der Arbeitnehmer habe die ihm übertragenen Aufgaben nicht sorgfältig oder nicht redlich erfüllt und der Arbeitgeber werde dadurch konkret geschädigt. Solche gewichtigen Gründe hat die Beklagte nicht vermocht darzulegen. Insbesondere ist nicht substantiiert dargetan inwieweit die Beschäftigung des Klägers für die Beklagte zu einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber führt. Dabei reicht es nicht aus, dass die Beklagte vorträgt, der Kläger sei ohne konkrete Zurechenbarkeit für den wirtschaftlichen Erfolg der Klinik als Chefarzt verantwortlich. Grundsätzlich gilt vielmehr, dass der Arbeitgeber das Risiko trägt, den Arbeitnehmer nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll einsetzen zu können. Das unternehmerische Wirtschaftsrisiko kann nicht auf die Arbeitnehmer übertragen werden. Der Arbeitgeber – wie in jedem anderen Vertragsverhältnis – trägt das Risiko, die vereinbarte Arbeitsleistung für die eigenen Zwecke nicht nach seinen wirtschaftlichen Erwartungen verwerten zu können. Dabei mag dahinstehen, inwieweit eine solche Situation hier überhaupt vorliegt. Es ist nicht offensichtlich von der Hand zu weisen, dass Einbußen bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Klinik daraus resultiert, dass die Anzahl der Betten der Klinik erheblich durch die Beklagte reduziert wurde. Außer einer pauschalen Einschätzung, der Kläger sei als Chefarzt für den sinkenden wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich, sind keine konkreten, für den Kläger steuerbare Ursachen erkennbar, die einen wirtschaftlichen Misserfolg begründen würden. Allein aus dem in der Anlage eingereichte Diagramm fallender sog. DRG Umsätze (vgl. Bl.39 d. A.), also der monetäre Wert, den ein Leistungserbringer in der stationären Versorgung für die Erbringung seiner Leistungen von den Kostenträgern erhält, folgt nicht, dass eine Beschäftigung für die Beklagte unzumutbar geworden ist. Dabei mag dahinstehen, inwieweit die Regelung zu § 2 Abs. 3 des Arbeitsvertrages vom 25.09.2007 Allgemeine Geschäftsbedingung i. S. d. § 305 ff BGB darstellt und inwieweit ihr welcher konkrete Inhalt zukommt. Jedenfalls ergibt sich aus § 2 Abs. 3 des Arbeitsvertrages kein vertragliches Recht auf Freistellung des Klägers von der Arbeitsleistung durch die Beklagte.“
(Letzte Aktualisierung: 25.05.2021)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt