Bindungsklausel
Unter einer Bindungsklausel versteht man eine vertragliche Regelung, mit deren Hilfe ein Arbeitgeber versucht, die Gewährung einer Sonderzahlung von dem rechtlichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig zu machen. Dazu hat das BAG wie folgt entschieden (BAG, Urt. v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, veröffentlicht u. a. in DB 2014, 486):
„Eine Sonderzahlung, die auch Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr laufend erbrachte Arbeit darstellt, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des betreffenden Jahres abhängig gemacht werden.“
In dem durch das BAG entschiedenen Fall ging es im Kern um die Wirksamkeit einer in einem vorformulierten Arbeitsvertrag befindlichen Klausel, die wörtlich wie folgt lautete:
„(…) Die Zahlung von Gratifikationen und sonstigen Leistungen liegt im freien Ermessen des Verlages und begründet keinen Rechtsanspruch, auch wenn die Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Zahlung durch gültigen Tarifvertrag geregelt ist.“
Gemäß Arbeitsvertrag fanden die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel in Hessen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Hessen vom 4. Juli 1997 (MTV) ist ab dem 1. Januar 1997 allgemeinverbindlich mit einer hier nicht interessierenden Einschränkung. Im MTV findet sich unter § 14 (Sonderzahlungen) folgende Regelung:
„1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die am 1.12. eines Kalenderjahres dem Betrieb/Unternehmen/Konzern ununterbrochen mindestens 12 Monate angehören, haben kalenderjährlich einen Anspruch auf eine Sonderzahlung in folgender Höhe: (…).
3. Wird das Arbeitsverhältnis aufgrund grob treuwidrigen Verhaltens oder Vertragsbruches des Arbeitnehmers beendet, so entfällt der Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung. Gegebenenfalls für das laufende Kalenderjahr gewährte Sonderzahlungen sind als Vorschuss zurückzuzahlen.
4. Die im laufenden Kalenderjahr erbrachten Sonderzahlungen des Arbeitgebers, wie Jahresabschlussvergütungen, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Jahresergebnisbeteiligungen, Jahresprämien und ähnliches, gelten als Sonderzahlungen im Sinne dieser Vereinbarung und erfüllen den tariflichen Anspruch, soweit sie zusammengerechnet die Höhe der tariflich zu erbringenden Leistungen erreichen. (…).
5. Wenn dem Anspruchsberechtigten in dem Kalenderjahr keine Ansprüche auf Entgelt oder Zuschüsse zum Krankengeld gemäß § 15 Ziffer 2 – 4 oder zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Mutterschutzgesetz zustehen, entfällt der Anspruch auf die nach Ziffer 1 garantierte Sonderzahlung. Wenn nur für einen Teil des Kalenderjahres derartige Ansprüche bestehen, ermäßigt sich der Anspruch auf die Sonderzahlung für jeden Kalendermonat ohne derartige Ansprüche um ein Zwölftel.
6. Arbeitnehmer, die vor dem Stichtag 1.12. wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder Erreichung der Altersgrenze aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten eine anteilige Leistung.“
Die Gratifikation wird nach folgenden Richtlinien ermittelt:
„1. Die Zahlung erfolgt an Verlagsangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden.
2. Die Gratifikation beträgt 100 % des November-Bruttogehaltes/-lohnes bzw. der Ausbildungsvergütung, wenn das Arbeitsverhältnis seit 01.01.2010 besteht und keine unbezahlten Arbeitsbefreiungen zu verzeichnen sind. Bei Arbeitszeitveränderungen im Laufe des Jahres errechnet sich die Gratifikation anteilig.
3. Verlagsangehörige, die nach dem 01.01.2010 eingetreten sind oder eine unbezahlte Arbeitsbefreiung aufweisen, erhalten für jeden Kalendermonat des bestehenden Arbeitsverhältnisses bzw. der bezahlten Arbeitsleistung 1/12 des Bruttomonatsgehaltes/-lohnes. Dabei wird ein angefangener Monat als voller Monat gerechnet, wenn die Betriebszugehörigkeit/bezahlte Arbeitsleistung 15 Kalendertage übersteigt. Auszubildende erhalten in jedem Fall 100 % der Ausbildungsvergütung.
4. Tariflich zu zahlende Jahresleistungen werden auf diese Zahlungen angerechnet.“
Der Kläger erhielt jährlich mit dem Novembergehalt eine jeweils als Gratifikation, ab dem Jahr 2007 zusätzlich auch als Weihnachtsgratifikation bezeichnete Sonderzahlung in Höhe des jeweiligen Novemberentgelts. Hierzu übersandte die Beklagte jeweils im Herbst ein Schreiben an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in dem sie „Richtlinien“ für die Auszahlung der Gratifikation aufführte, die im Wesentlichen unverändert blieben.
Nun hat das BAG entschieden, dass eine Sonderzahlung mit Mischcharakter, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31.12. eines Jahres abhängig gemacht werden kann, wenn denn die Arbeitsleistung in dem betreffenden Jahr tatsächlich erbracht wurde.
Ein maßgeblicher Gesichtspunkt in dem Urteil des BAG ist der Umstand, dass es sich bei der Sonderzahlung, die der Arbeitgeber über Jahre hinweg gewährt hatte, um eine Sonderzahlung mit Mischcharakter gehandelt hat. Darunter versteht man eine Zahlung, die zwar den betreffenden Arbeitnehmer über das Jahresende hinaus an das Unternehmen binden möchte und somit die Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnt, die aber zugleich der Vergütung der im Laufe des Jahres durch den Arbeitnehmer geleisteten Arbeit dient. In derartigen Fällen sind Stichtagsregelungen wie im konkreten Fall vereinbart nach Einschätzung des BAG gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam. Damit wäre durch das BAG nur dann anders entscheiden worden, wenn die Sonderzahlung Gegenleistung vornehmlich für Zeiten nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis oder für besondere – vom Arbeitnehmer nicht erbrachte – Arbeitsleistungen sein sollte.
Zusammengefasst: Eine Sonderzahlung des Arbeitgebers – geregelt in Allgemeinen Geschäftsbedingungen -, die (auch) Gegenleistung für erbrachte Arbeit darstellt, kann von dem Arbeitnehmer eine Betriebstreue über das Jahresende hinaus nicht verlangen.
Siehe auch BAG, Urt. v. 22.7.2014 – 9 AZR 981/12, u. a. veröffentlicht in DB 2014, 2356 (mit Kurzkommentar von Zwarg in DB 2014, 2972):
„1. Sowohl Klauseln, in denen sich der Arbeitnehmer verpflichtet, erfolgte Sonderzahlungen zurückzuerstatten, wenn er vor einem bestimmten Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis von sich aus kündigt, als auch für Regelungen, nach denen die Leistung der Sonderzahlung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt noch im ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, dürfen den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Das kann der Fall sein, wenn dem Arbeitnehmer entgegen der in § 611 BGB zum Ausdruck kommenden Vorstellung des Gesetzgebers durch eine Bestandsklausel bereits verdiente Arbeitsvergütung entzogen würde. Ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachträglich zu verändern, kann nicht anerkannt werden.
2. Wird ein Urlaubsgeld pro genommenen Urlaubstag gezahlt, spricht dies gegen eine vom Urlaubsantritt unabhängige Sonderzahlung. Zudem verdeutlicht die Anknüpfung an den genommenen Urlaubstag, dass das Urlaubsgeld dem Erholungszweck des Urlaubs und nicht der Vergütung einer Arbeitsleistung dienen soll.
3. Der Anspruch auf Urlaubsgeld besteht für jeden genommenen und damit entstandenen Urlaubstag und teilt damit den von einer Arbeitsleistung unabhängigen Charakter des Urlaubs.“
Siehe auch LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2017 -7 Sa 397/16 (Vorinstanz: ArbG Düsseldorf -10 Ca 3235/15):
„Führt die in einem Arbeitsvertrag enthaltene Stichtagsklausel für eine Weihnachtsgratifikation zu einer längeren Bindungsdauer als die im selben Vertrag enthaltene Rückzahlungsklausel, sind die Regelungen intransparent und damit unwirksam nach § 307 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 BGB. Die Klauseln können nicht so geteilt werden, dass nur eine wirksame Rückzahlungsklausel aufrechterhalten wird. In Fällen, in denen die Intransparenz gerade aus der Kombination mehrerer Klauseln besteht, kann die Streichung nicht erfolgen und damit die Klausel „transparent“ gemacht werden. Hier würde die Grenze zur geltungserhaltenden Reduktion überschritten ( ).“
(Letzte Aktualisierung: 20.03.2017)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt