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Arbeitsrecht

Trinkgeld / Toilettengeld

Unter Trinkgeld versteht man eine freiwillige Zahlung eines Kunden an einen Dienstleister, der regelmäßig Arbeitnehmer ist, das zusätzlich zu dem ohnehin seitens des Arbeitgebers geschuldeten Arbeitsentgelt geleistet wird. In arbeitsrechtlicher Hinsicht entstehen dadurch eine Reihe von Fragen. Die Gewerbeordnung (GewO) regelt in § 107 Abs. 3 GewO Folgendes:

„Die Zahlung eines regelmäßigen Arbeitsentgelts kann nicht für die Fälle ausgeschlossen werden, in denen der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit von Dritten ein Trinkgeld erhält. Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt.“

Die gesetzliche Bestimmung wird durch eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 09.12.2010 – 10 Sa 483/10 – wie folgt interpretiert:

„Erhält der Kellner vom Gast freiwillig ein Trinkgeld, so steht ihm dieses unmittelbar zu. Der Arbeitgeber kann nicht einseitig bestimmen, dass der Arbeitnehmer das Trinkgeld, das ihm die Gäste persönlich zuwenden, in eine Gemeinschaftskasse einzahlt und anschließend mit dem übrigen Personal teilt. Er kann die von ihm gewünschte Aufteilung des Trinkgeldes unter dem Personal auch nicht dadurch erzwingen, dass er dem Arbeitnehmer nicht mehr erlaubt, selbst bei den Gästen zu kassieren.“

Aus der Entscheidung des LAG wird zum Teil der Schluss gezogen, dass der Arbeitgeber keinerlei Möglichkeit hat, auf die Verteilung von Trinkgeld Einfluss zu nehmen. Das dürfte nicht richtig sein.

Zunächst ist zu beachten, dass der betroffene Arbeitnehmer in dem durch das LAG entschiedenen Fall schon über längere Zeit hinweg einschränkungslos berechtigt war, Trinkgelder zu kassieren und für sich zu behalten. Davon einseitig durch Einflussnahme des Arbeitgebers zum Nachteil des Arbeitnehmers abzuweichen, ist schon nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln nur in Ausnahmefällen möglich, das jedenfalls dann, wenn eine sog. betriebliche Übung entstanden sein sollte, wofür im konkreten Fall einiges sprach.

Überdies sagt das Urteil des LAG nichts zu der Frage, ob nicht durch Arbeitsvertrag oder in Betrieben, in denen ein Betriebsrat vorhanden ist, durch Betriebsvereinbarung eine Regelung über die Verteilung des Trinkgeldes wirksam verabredet werden kann. Das dürfte möglich sein. In dem durch das LAG zu beurteilenden Fall gab es keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, mithin wahrscheinlich keinerlei bindende Erklärung über die Verwendung von Trinkgeld.

Weder das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz noch das Gesetz dürften daher einer Vereinbarung entgegenstehen, wonach das Trinkgeld nach einem bestimmten Schlüssel unter den Arbeitnehmern aufgeteilt werden soll, wodurch auch solche Arbeitnehmer vom Trinkgeld profitieren können, die ansonsten keine Möglichkeit haben, in den Genuss von Trinkgeld zu kommen.

Trinkgeld wird nicht zum Mindestlohn im Sinne des Mindestlohngesetzes 2015 gezählt werden, d. h. Trinkgeld ist nicht Bestandteil des Mindestlohns, sondern ist vielmehr zusätzliches Einkommen des Arbeitnehmers.

Siehe im Übrigen auch die Fälle eines sog. Toilettengeldes. Hier müssten die Ausführungen zum Trinkgeld entsprechend  gelten. Beachten Sie dazu ArbG Gelsenkirchen, Urt. v. 21.01.2014 – 1 Ca 1603/13:

„aa. Bei den von den Besuchern der Toilettenanlage des Centro P in dem Monaten Mai und Juni 2013 hingegebenen Geldbeträgen handelte es sich um Trinkgeld für das dort eingesetzte Personal der Beklagten.

(1)   Ein verpflichtendes Nutzungsentgelt bestimmter Höhe wird den Besuchern der dortigen Toilettenanlagen nach unstreitigem Parteivorbringen nicht abverlangt. Deutlich erkennbare Hinweise an die Besucher, die einen bestimmten Verwendungszweck der danach freiwillig hingegebenen Geldbeträge offenlegen und auf eine entsprechende Willensrichtung des Besucherkreises schließen lassen, waren zum fraglichen Zeitpunkt nicht vorhanden. Die zumindest seit dem Jahr 2009 angebrachten Hinweistafeln waren nach unstreitigem Parteivorbringen jedenfalls seit Ende des Jahres 2012 ersatzlos demontiert und wurden über Monate, jedenfalls über den gesamten hier fraglichen Zeitraum, nicht wieder angebracht. Die Frage nach dem genauen Standort dieser Hinweisschilder und deren Auffindbarkeit und Lesbarkeit für die Besucher bedarf hier daher keiner Aufklärung.

(2)   Aus dem Umstand, dass Hinweisschilder über mehrere Jahre angebracht waren, kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf einen kollektiv verankerten dauerhaften Zweckbestimmungswillen der Besucher im Sinne der Hinweisinhalte geschlossen werden. Selbst wenn einzelnen Besuchern der genaue Inhalt der Hinweisschilder auch nach Monaten noch erinnerlich gewesen sein sollte, was der Kammer mangels einer über den Moment der unmittelbaren Wahrnehmung und Zahlung hinausreichenden Relevanz bereits als fernliegend erscheint, kommt der Demontage der Schilder mindestens die gleiche Aussagekraft zu, wie dem Umstand, dass dort einst Hinweistafeln bestimmten Inhalts vorhanden waren. Aus der Demontage dieser Schilder ist nämlich objektiv zu folgern, dass an dem dort dargestellten Verwendungszweck – soweit dieser gedanklich noch präsent ist – nicht mehr festgehalten wird, womit sich das Vorhandensein von Hinweisschildern in der Vergangenheit, deren Auffindbarkeit und ihr genauer Inhalt vorliegend als insgesamt nicht entscheidungsrelevant darstellt.

(3)   Der Zweck der Geldleistung war danach im fraglichen Zeitraum durch die Beklagte nicht ausdrücklich in einer für die Nutzer der Toilettenanlagen erkennbaren Weise bestimmt. Ebenso vollzieht sich die Hingabe des Geldes in einer Sammelsituation wie der vorliegenden bei sozialtypischer Betrachtung regelmäßig ohne ausdrückliche Zweckbestimmung der leistenden Person. Diese will vielmehr Geldbeträge für den ihr – ggf. konkludent – offerierten Zweck zuwenden.

Es besteht kein Erfahrungssatz und auch keine allgemeine Übung dahin, dass bei einer für den Nutzer oder Begünstigten erkennbar kostenlos erbrachten Leistung – hier der Toilettennutzung – gleichwohl oder aber zusätzlich zu einem vereinbarten Entgelt freiwillig hingegebene Geldbeträge stets dem Arbeitgeber zufließen, der hinter dem erkennbar vor Ort agierenden Personal steht. Bei sozialtypischer Betrachtung ist gerade – was § 107 Abs. 3 S. 2 GewO und Bestimmungen des Einkommenssteuerrechts aufgegriffen haben – das Gegenteil der Fall. Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Hingabe von Geldbeträgen speziell an Reinigungskräfte bei kostenloser Inanspruchnahme öffentlich zugänglicher Toilettenanlagen stets mit der Erwartung verbunden ist, das Geld diene (nur) dem Unterhalt der Anlage. In diesem Fall wäre gerade die Erhebung eines bestimmten Nutzungsentgelts typisch. Schon gar nicht kann ein genereller Wille der Leistenden angenommen werden, das an Toilettenanlagen freiwillig hingegebene Geld solle für die Bezahlung zusätzlichen Personals verwendet werden, welches im Wesentlichen nur für das Einsammeln des Geldes vorgehalten wird, woran der Besucher naturgemäß kein Interesse haben kann.

(4)   Mangels ausdrücklicher Zweckbestimmung bzw. Rechtsgrundbestimmung durch Leistenden und Leistungsempfänger und der fehlenden Feststellbarkeit einer allgemeinen oder speziellen Übung in dem von der Beklagten angenommenen Sinne hat die Kammer nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen, auf welcher rechtlichen Grundlage sich die Hingabe der Geldbeträge im fraglichen Zeitraum vollzogen hat und welche Rechtsfolgen daraus entstehen.

Unter Trinkgeld ist nach der Legaldefinition des § 107 Abs. 3 S. 2 GewO ein Geldbetrag zu verstehen, den ein Dritter dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt. Die Norm schließt nicht aus, dass die dem Arbeitgeber geschuldete Leistung von einer anderen Person als dem Trinkgeldzuwender erbracht wird, wie dies hier im Verhältnis der Beklagten zur Centro P Betreiberin aus dem Reinigungsvertrag der Fall ist.

Die Zuwendung eines Trinkgelds vollzieht sich rechtsgeschäftlich betrachtet regelmäßig auf der Grundlage einer Schenkung i. S. d. § 516 BGB (Palandt/Weidenkaff, 72. Auflage 2013, § 516 BGB, Rn. 9 m. w. N.) oder aber eines Rechtsgeschäfts eigener Art mit schenkungsrechtlicher Prägung. Eine Zuwendung von Trinkgeld setzt danach eine Willenseinigung durch den Austausch zweier sich inhaltlich entsprechender empfangsbedürftiger Willenserklärungen voraus (Angebot und Annahme), die sich konkludent, also allein durch schlüssiges Verhalten beider Seiten ergeben kann. Einer besonderen Form bedarf das unmittelbar vollzogene Schenkungsversprechen nach § 518 Abs. 2 BGB nicht.

Von einer unmittelbar vollzogenen Trinkgeldzuwendung zugunsten der an den Toilettenanlagen eingesetzten Arbeitnehmer in dem geschilderten Sinne kann vorliegend ausgegangen werden. Die Deutung stillschweigender empfangsbedürftiger Willenserklärungen hat nach §§ 133, 157 BGB unter entscheidender Berücksichtigung der Begleitumstände im Wege der sog. normativen Auslegung zu erfolgen (Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, § 133 BGB, Rn. 7 m. w. N.). Dabei ist nicht der wirkliche Wille des Erklärenden maßgeblich. Zu ermitteln ist vielmehr, wie der Adressat der Erklärung den Willen verstehen konnte (Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 4. Auflage 1990, § 24, Rn. 323). Richtet sich die Erklärung an eine unbestimmte Vielzahl von Personen, so ist auf die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Beteiligten des angesprochenen Personenkreises unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände abzustellen (Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, § 133 BGB, Rn. 12).

Nach diesen Grundsätzen stellt sich das Aufstellen der Sammelteller vor den Toilettenanlagen des Centro P unter Berücksichtigung der konkreten Umstände als stillschweigende Aufforderung (invitatio ad offerendum) an die Toilettenbesucher zur (schenkungsweisen) Hingabe eines Trinkgelds mit damit bereits verbundener (antizipierter) Annahmeerklärung dar. Das rund um die „Sitzerin“ und den Sammelteller von der Beklagten – wie ihr Leitfaden vom 13.3.2013 erkennen lässt – bewusst erzeugte Gesamtbild ließ, mangels konkreter Hinweise auf einen anderen Willen (s. o.), aus der Sicht eines durchschnittlichen Toilettenbesuchers ohne besondere Kenntnisse ggf. abweichender Branchengepflogenheiten, welche die Kammer nicht unterstellen will, nur den Rückschluss zu, dass hier freiwillig ein dem Personal unmittelbar und zusätzlich zum Lohn zufließender Geldbetrag hingegeben werden konnte.

Dabei erscheint zunächst die Wahl eines offenen Tellers als Sammelstelle für das Geld von Bedeutung, der – anders als eine Kasse oder Geldkassette – wie z. B. auch ein herumgereichter Hut suggeriert, dass hier kein Zahlvorgang vorgesehen, sondern eine Zuwendung erbeten wird. Der von der Beklagten vorgeschriebene weiße Kittel der „Sitzerinnen“ ordnet die Aufsichtsperson nach objektivem Verständnis eindeutig dem Kreis des Reinigungspersonals zu. Die von der Beklagten im Leitfaden angesprochene Variante der Geldannahme mit der Hand verstärkt – so sie gewählt wird – den Eindruck einer persönlichen Zuwendung an das Personal.

Die ständige Präsens einer „Sitzerin“ im Nahbereich des Sammeltellers und die vorgesehene persönliche Ansprache/Begrüßung der Besucher sind auf die Schaffung einer Verbindlichkeit in dem Sozialkontakt und die Herstellung einer persönlichen Verknüpfung zwischen der vermeintlichen Reinigungsperson und einer „sauberen“ Toilettenanlage gerichtet, verbunden mit einem daraus resultierendem sozialen Druck nebst Kontrolle, sich dafür durch ein Trinkgeld erkenntlich zu zeigen, weil dessen Hingabe sozialtypischen Verhaltensmustern entspricht.

Die Umsetzung der Weisung, das erhaltene Geld ständig bis auf wenige Münzen von den Tellern zu räumen, diese also quasi leer zu halten, suggeriert, dass es vorliegend um eine geringfügige Aufbesserung eines – nach allgemeiner Meinung schmalen – Lohnes geht, was die Freigiebigkeit erhöht. Das ferner vorgesehene Einstecken der Münzen in den Kitteltaschen erweckt, wird es beobachtet, der Herstellung des persönlichen Gewahrsams wegen ebenfalls den Eindruck, das Geld fließe direkt den Reinigungskräften zu.

Dass so geschaffene Gesamtbild rundet sich dadurch ab, dass den „Sitzerinnen“ die Offenbarung des Umstands, dass sie selbst keine unmittelbare Reinigungstätigkeit ausüben, ausdrücklich untersagt und bei Rückfragen zur Verwendung des Geldes auf die Hinweisschilder zu verweisen ist, die zu lesen sich ein eiliger Besucher im Zweifel nicht die Mühe machen wird.

Entsteht danach im Gesamtbild der Eindruck, es könne und solle – weil offen mit Billigung des Arbeitgebers – ein Trinkgeld gezahlt werden, liegt in der stillschweigenden Hingabe eines Geldbetrages durch die Toilettenbesucher eben eine solche Erklärung bzw. Zweckbestimmung. Soweit die Beklagte gerade etwas anderes wollte, sich also in Wahrheit permanent in Widerspruch mit dem selbst initiierten Erklärungsbild befand, muss dies nach § 116 S. 1 BGB außer Betracht bleiben.

bb. Die Klägerin gehört – obwohl sie selbst gar keine unmittelbaren Reinigungstätigkeiten wahrzunehmen hatte – zu dem durch das Trinkgeld begünstigten Personenkreis. Die Kammer geht nach den besonderen Umständen im Centro P davon aus, dass die Toilettenbenutzer die Hingabe von Trinkgeld nicht ausschließlich mit der Erwartung verbunden haben, dieses fließe allein der jeweils am Sammeltisch befindlichen Person zu. Die Hingabe eines Trinkgeldes kann nach den Umständen der Leistung zwar auch eine Zuwendung für eine ganz bestimmte einzelne Person sein (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9.12.2010 – 10 Sa 483/10 – zitiert nach juris).

Wird die freiwillig honorierte Leistung aber erkennbar von einem Team erbracht, so steht das vereinnahmte Geld im Zweifel dem Team in seiner Gesamtheit zu. So ist es etwa in Teilen der besonders trinkgeldträchtigen Gastronomiebranche durchaus üblich, dass die Serviceleistungen differenziert nach Speisen und Getränken von unterschiedlichen Personen erbracht werden und zum Zwecke des Kassierens eine dritte Kraft in Erscheinung tritt, während weitere Beschäftigte ihren Teil an der Gesamtleistung gänzlich im Hintergrund erbringen. In einem solchen Fall kann – wie vorliegend – nicht angenommen werden, das Trinkgeld stehe nur dem zu, der es tatsächlich erhält. Angesichts der Größe und Vielzahl der im Centro P vorgehaltenen Toilettenanlagen, der langen Öffnungszeiten, des Personalwechsels z. B. bei Pausen und Schichtende und der im Hintergrund erforderlichen logistischen Begleitleistungen agiert auch dort erkennbar ein Reinigungsteam, für welches die vom Toilettenbesucher – vermeintlich zufällig – angetroffene Person stellvertretend steht.

Die Kammer sieht auch angesichts der Arbeitsaufgaben, die der Klägerin konkret oblegen haben, keinen Anlass, sie von einer Trinkgeldteilhabe auszuschließen. Die Kontrolle der Anlagen, das Auffüllen von Verbrauchsmaterial und das Herbeirufen von Reinigungskräften stellt sich als wesentlicher Beitrag zur honorierten Gesamtserviceleistung dar. Die Höhe des für ein Reinigungsteam hingegebenen Trinkgelds hängt im Übrigen, neben dem Eindruck der Sauberkeit, nicht nur unwesentlich von der Freundlichkeit und dem Auftreten der angetroffenen Personen, hier der Sitzerin, ab.

c. Soweit mit der Klägerin und dem übrigen Team vereinbart ist oder diese Personen angewiesen sind, das Trinkgeld in Gänze an die Beklagte zum Zwecke der dortigen Verwendung abzuliefern, ist dies sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und damit rechtsunwirksam.“

(Letzte Aktualisierung: 06.10.2020)