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Arbeitsrecht

Wegezeiten

Der Begriff „Wegezeit“ wird nicht einheitlich verwendet. Mitunter wird auch der Begriff Dienstreisezeit erwähnt.

Wichtig: Es ist immer zu unterscheiden, ob es sich bei Wegezeiten bzw. Dienstreisezeiten um Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) handelt oder ob es sich um Arbeitszeit handelt, die zu vergüten ist.

Bei der Arbeitszeit im Sinne des ArbZG geht es im Kern um den Gesundheitsschutz der betroffenen Arbeitnehmer. Nicht jede Wegezeit, die zu vergüten ist, stellt auch Arbeitszeit im Sinne des ArbZG dar!

Wegezeit ist zum einen die Zeit für die An- und Abfahrt des Arbeitnehmers zum Betrieb des Arbeitgebers. Die hierfür eingesetzte Zeit stellt in keinerlei Hinsicht Arbeitszeit dar und muss durch den Arbeitgeber nicht vergütet werden. Anders verhält sich das mit einer Reisetätigkeit. Reisezeit ist grundsätzlich – und das nicht nur bei Mitarbeitern im Außendienst – als (vergütungspflichtige) Arbeitszeit anzusehen.

Nach BAG, Urt. v. 20.04.2011 – 5 AZR 200/10 – u. a. veröffentlicht in NZA 2011, 917 – gilt:

„Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers enthaltene Klausel, Reisezeiten seien mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten, ist intransparent, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag nicht ergibt, welche „Reisetätigkeit“ von ihr in welchem Umfang erfasst werden soll.“

Fahrten, die der Arbeitnehmer zum oder von einem außerhalb des Betriebs des Arbeitgebers liegenden Arbeitsplatz unternimmt, sind ebenfalls vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn keine anderslautenden tarif- oder einzelvertraglichen Regelungen bestehen.

Die Wegezeiten einer Dienstreise sollen dann nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes anzusehen sein, wenn der Arbeitgeber nur die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels vorgibt und es dem Arbeitnehmer im Übrigen frei steht, wie er die Zeit nutzt. Die Frage nach der Vergütung ist eine gänzlich andere.

BAG, Urt. v. 11.07.2006 – 9 AZR 519/05 [sog. Belastungstheorie]:

„Die Wegezeiten (Dauer der Hin- und Rückfahrt) einer Dienstreise gelten nicht als Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs 1 ArbZG, wenn der Arbeitgeber lediglich die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels vorgibt und dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, wie er die Zeit nutzt.“

Wegezeit ist auch die auf dem Weg von der Arbeitsstelle zum Arbeitsplatz verbrachte Zeit. Die Frage, ob es sich insoweit um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt, ist eine Frage des Einzelfalls. Im Regelfall wird eine Vergütungspflicht bestehen.

Siehe auch BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 5 AZR 424/17:

„1. Zu den „versprochenen Diensten“ iSd. § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. ´Arbeit´ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (st. Rspr., vgl. nur BAG 6. September 2017 – 5 AZR 382/16 – Rn. 12; 26. Oktober 2016 – 5 AZR 168/16 – Rn. 10 mwN, BAGE 157, 116).

  1. Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit der – eigennützigen – Zurücklegung des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber ( BAG 22. April 2009 – 5 AZR 292/08 – Rn. 15; 21. Dezember 2006 – 6 AZR 341/06 – Rn. 13, BAGE 120, 361). Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, verschiedene Kunden aufzusuchen – sei es, um dort wie im Streitfall Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige Anreise. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung iSd. §§ 611 , 612 BGB . Das ist unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen ( BAG 22. April 2009 – 5 AZR 292/08 – Rn. 15), und gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen uä. führen muss.
  2. Die Einordnung der streitgegenständlichen Fahrten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit klärt indes noch nicht die Frage ihrer Vergütung. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden (zu Fahrten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle sh. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 226/16 – Rn. 23; 12. Dezember 2012 – 5 AZR 355/12 – Rn. 18; vgl. auch zu Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten BAG 6. September 2017 – 5 AZR 382/16 – Rn. 23 mwN).
  3. Dem steht Unionsrecht nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann unter bestimmten Umständen die Fahrzeit für die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Standort des ersten und letzten Kunden eines Arbeitstags Arbeitszeit iSd. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sein. Doch hat der Gerichtshof mehrfach betont, dass die Arbeitszeitrichtlinie nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer regelt, weil dieser Aspekt nach Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeit der Union liegt ( EuGH 21. Februar 2018 – C-518/15 – [Matzak] Rn. 49 ff.; 10. September 2015 – C-266/14 – [Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras] Rn. 48 mwN). Deshalb kann der Kläger entgegen seiner Auffassung das Klagebegehren nicht auf Unionsrecht stützen.
  4. Bei der Nahmontage, das ist die Montage, bei der dem Montagestammarbeiter die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt zuzumuten ist (§ 4.1.1 BMTV), schließt § 5.1 Abs. 1 Satz 2 BMTV eine – gesonderte – Vergütung der Fahrt von der Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung aus.Das ergibt sich mit der erforderlichen Klarheit (zu dieser Voraussetzung sh. BAG 25. April 2018 – 5 AZR 245/17 – Rn. 35 mwN) bereits aus dem Wortlaut der Tarifnorm, wenn sie bestimmt, dass eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise (zur Montagstelle) nicht erfolgt. Dies gilt nach § 5.2.3 BMTV auch dann, wenn der Montagestammarbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenkt. In diesem Falle erhöht sich lediglich die Nahauslösung um 25 % (Auslösungstafel II).“

Eine gänzlich andere Frage ist die, ob ein Arbeitnehmer überhaupt verpflichtet ist, eine Dienstreise zu unternehmen. Eine entsprechende Verpflichtung kann sich insbesondere aus einem Arbeitsvertrag ergeben, ggf. aber auch aus dem konkreten Berufs- bzw. Tätigkeitsfeld. In den Zeiten von Corona und damit vergleichbaren Krisen hat der Arbeitgeber allerdings im Rahmen seines Weisungsrechts darauf zu achten, den Arbeitnehmer keinen unnötigen Gesundheitsgefahren auszusetzen.

Siehe auch den Beitrag von Lunk in NZA 2022, 881 ff. [„Die arbeitszeitrechtliche Behandlung von Dienstreisen“] sowie den Kurzaufsatz von Benkert in NJW-Spezial 2022, 434 f. [„Neubewertung von Dienstreisen als Arbeitszeit“].

(Letzte Aktualisierung: 11.08.2022)