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Arbeitsrecht

Zugang / Zugang einer Kündigung

Mit dem Zugang einer Willenserklärung befasst sich § 130 BGB. Danach bedarf es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung grundsätzlich des Zugangs dieser Erklärung bei dem Erklärungsempfänger (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Für das Arbeitsrecht ist vor allem der Zugang einer Kündigungserklärung von großer praktischer Bedeutung. Auch hier ist die gesetzliche Bestimmung des § 130 BGB maßgeblich.

Wenn der Zugang einer arbeitgeberseitigen Kündigung beim Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden kann, ist dem Arbeitgeber dringend zu empfehlen, einen erneuten Zugangsversuch zu unternehmen.

Der sicherste Weg für den Arbeitgeber den Zugang einer Kündigung bzw. Kündigungserklärung nachzuweisen, ist die persönliche Übergabe der Kündigung an den Arbeitnehmer und gleichzeitiger Erhalt einer Empfangsbestätigung durch den Arbeitnehmer (in der Regel schriftlich und auf einem Doppel der Kündigungserklärung). Gelingt dies nicht (etwa weil sich der Arbeitnehmer weigert, die Annahme der Kündigungserklärung zu bescheinigen), so reicht zum Nachweis des Zugangs einer Kündigungserklärung auch die Übergabe der Kündigung an den Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Anwesenheit eines Zeugen. Des Weiteren ist dem Arbeitgeber – alternativ – die „Zustellung“ der Kündigung durch einen Boten zu empfehlen. Hierbei wird dem Boten die Kündigung im Original gezeigt und sodann zum Zwecke des Zugangs beim Arbeitnehmer (Einwurf in den Briefkasten reicht) ausgehändigt. Von der Übersendung einer Kündigung per Einschreiben und Rückschein ist grundsätzlich abzuraten, denn der Briefträger bzw. die den Brief übergebende Person kann lediglich die Aushändigung eines Briefumschlages bezeugen, mehr nicht; zudem erfolgt grundsätzlich kein Zugang bei bloßem Einwurf eines Benachrichtigungsscheins ohne dass der Arbeitnehmer das Einschreiben tatsächlich abholt.

Zu beachten ist, dass der Einwurf eines Schriftstücks in einen Briefkasten nicht automatisch den Zugang der Erklärung bedeutet. Maßgeblich für den Zugang ist nämlich, ob unter Zugrundelegung normaler Umstände mit der Kenntnisnahme der Erklärung durch den Erklärungsempfänger (Arbeitnehmer) zu rechnen ist.

Der Zugang einer Kündigungserklärung während der Zeit urlaubsbedingter Abwesenheit des Arbeitnehmers folgt den allgemeinen Regeln des § 130 BGB. Damit geht eine Erklärung dem Arbeitnehmer auch dann zu, wenn er wegen Urlaubs abwesend ist.

BAG, Urt. v. 22.08.2019 – 2 AZR 111/19:

„1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Januar 2017 gelte nach § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, da der Kläger deren Rechtsunwirksamkeit nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht habe. Das Kündigungsschreiben sei dem Kläger bereits am 27. Januar 2017 zugegangen. Es könne nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken, die in den Hausbriefkasten eines Arbeitnehmers eingeworfen würden, bis 17:00 Uhr gerechnet werden. Auf den Zeitpunkt der Beendigung der örtlichen Postzustellung komme es nicht an. Denn zum einen lasse sich ein solcher Zeitpunkt heute nicht mehr einheitlich feststellen. Zum anderen beruhe ein solches Verständnis auf der Annahme, dass der Empfänger zeitnah nach der Postzustellung in seinem Hausbriefkasten nachsehe, ob er Post erhalten habe. Diese Annahme entspreche nicht mehr der Wirklichkeit, da berufstätige Menschen ihren Hausbriefkasten regelmäßig erst nach Rückkehr von der Arbeit leerten.          

  1. Diese Begründung des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. 
  2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 – Rn. 15, BAGE 162, 317; 26. März 2015 – 2 AZR 483/14 – Rn. 37) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 14. Februar 2019 – IX ZR 181/17 – Rn. 11; 5. Dezember 2007 – XII ZR 148/05 – Rn. 9) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen.         
  3. b) Es ist Aufgabe des Berufungsgerichts festzustellen, wann nach der Verkehrsanschauung mit der Entnahme des am 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten eingeworfenen Briefs zu rechnen war. Die vom Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen tragen sein Ergebnis nicht.    
  4. aa) Die Feststellung des Bestehens und Inhalts einer Verkehrsanschauung ist eine im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Frage, deren tatrichterliche Beantwortung nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle daraufhin unterliegt, ob das Berufungsgericht bei seiner Würdigung einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BAG 16. Mai 2017 – 9 AZR 377/16 – Rn. 13 f.; 12. April 2016 – 9 AZR 744/14 – Rn. 13 ff.; BGH 24. Januar 2019 – I ZR 200/17 – Rn. 33; 17. Mai 2018 – I ZR 252/16 – Rn. 39).
  5. bb) Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet (vgl. BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21, 35; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 3 der Gründe). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellen die örtlichen Zeiten der Postzustellung nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könnte zB eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen (vgl. BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – aaO), konkrete eigene Leerungsgewohnheiten oder auch die krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 – Rn. 15, BAGE 162, 317). Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern sind vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 22. März 2012 (- 2 AZR 224/11 – Rn. 21) auf die (örtlich) stark variierenden Postzustellungszeiten, die für die Bestimmung der Verkehrsanschauung herangezogen werden können, hingewiesen. Das Bestehen einer an die Postzustellungszeiten angelehnten Verkehrsanschauung hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich verneint.           
  6. cc) Das Landesarbeitsgericht kann zur Bestimmung des Zugangszeitpunkts auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung feststellen, die beispielsweise aufgrund geänderter Lebensumstände eine spätere Leerung des Hausbriefkastens – etwa mehrere Stunden nach dem Einwurf oder bezogen auf eine „feste“ Uhrzeit am Tag – zum Gegenstand hat. Die Frage nach einer Verkehrsanschauung kann regional unterschiedlich zu beurteilen sein und die Antwort kann sich im Lauf der Jahre ändern (BGH 20. November 2008 – IX ZR 180/07 – Rn. 28). Die Fortdauer des Bestehens oder Nichtbestehens einer Verkehrsanschauung wird nicht vermutet (BGH 1. Oktober 1992 – V ZR 36/91 – zu III der Gründe). Zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung muss das Landesarbeitsgericht Feststellungen treffen (vgl. BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 34).
  7. dd) Der Richter, der das Verständnis des Verkehrs ohne sachverständige Hilfe ermittelt, geht davon aus, dass er aufgrund eigenen Erfahrungswissens selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Dementsprechend ist die Frage, ob diese Annahme zutrifft, grundsätzlich nach denselben Regeln zu beurteilen, die auch ansonsten für die Beantwortung der Frage gelten, ob ein Gericht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichten und stattdessen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden kann. Die Beurteilung, ob die Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener richterlicher Sachkunde möglich ist oder eine Beweisaufnahme erfordert, ist dabei vorrangig tatrichterlicher Natur. Sie ist daher in der Revisionsinstanz ebenfalls nur daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter den Prozessstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und seine Beurteilung zur Verkehrsauffassung frei von Widersprüchen zu den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vorgenommen hat (BGH 17. Juli 2013 – I ZR 21/12 – Rn. 29; 18. Oktober 2001 – I ZR 193/99 – zu II 1 d der Gründe). Dabei muss das Gericht eine von ihm in Anspruch genommene eigene Sachkunde im Urteil darlegen (vgl. BGH 1. Oktober 1992 – V ZR 36/91 – zu III der Gründe). Dies gilt aber nicht, wenn es um die Feststellung der Verkehrsauffassung der Allgemeinheit geht, zu der der Tatrichter als Teil der Allgemeinheit regelmäßig ohne Weiteres in der Lage ist, ohne dass dies einer Darlegung im Berufungsurteil bedarf (BGH 18. Oktober 2001 – I ZR 193/99 – zu II 1 b der Gründe). Insoweit kann es auch ausreichen, dass er den angesprochenen Verkehrskreisen angehört (vgl. BGH 24. Januar 2019 – I ZR 200/17 – Rn. 34).        
  8. ee) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum Bestehen einer (gewandelten) Verkehrsanschauung in Bezug auf den Leerungszeitpunkt von Hausbriefkästen halten auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.      

(1) Die vom Berufungsgericht in Bezug genommenen „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden“ eines „erheblichen Teils der Bevölkerung“ lassen für sich allein keinen Rückschluss auf eine Verkehrsanschauung betreffend die Gepflogenheiten des Verkehrs hinsichtlich der Leerung eines Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers zu. Vielmehr blenden diese Erwägungen wesentliche Umstände aus.

(a) Schon nach den Zahlen, von denen das Landesarbeitsgericht ausgeht, ist nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überhaupt kernerwerbstätig, darunter 6,8 Millionen Personen als geringfügig Beschäftigte oder in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden Wochenarbeitszeit. Daneben hat das Berufungsgericht noch 5 % Nachtarbeitnehmer berücksichtigt, die nicht zu Normalarbeitszeiten arbeiteten. Auf flexible Arbeitszeitmodelle oder im Homeoffice Tätige geht das Landesarbeitsgericht nicht ein. Es begründet ferner nicht, warum die Lebensumstände der in einem „Normalarbeitszeitverhältnis“ tätigen Minderheit der Bevölkerung die Verkehrsauffassung betreffend die Leerung von Hausbriefkästen der Gesamtbevölkerung bestimmen sollen.      

(b) Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht nicht bedacht, dass der Kläger, an dessen Wohnanschrift die Zustellung durchgeführt wurde, nicht in Deutschland, sondern in Frankreich ansässig ist. Es kommt aber auf die Verkehrsanschauung am Zustellungsort an, sodass alle Deutschland betreffenden statistischen Werte, auf die sich das Berufungsgericht bezieht, ungeeignet sind, um das Bestehen einer bestimmten Verkehrsanschauung zur Leerung von Hausbriefkästen in der Französischen Republik, im Département Bas-Rhin oder am Wohnort des Klägers zu begründen. Dort mögen sowohl die Daten hinsichtlich der berufstätigen Bevölkerung, als auch die Zeiten für die übliche Leerung von Hausbriefkästen anders als in Deutschland oder in Baden-Württemberg zu beurteilen sein.         

(2) Das Landesarbeitsgericht begründet ferner nicht, warum es hinsichtlich der Verkehrsanschauung überhaupt auf die erwerbstätige Bevölkerung ankommen soll.       

(a) Auch nach den vom Landesarbeitsgericht verwendeten Zahlen handelt es sich dabei selbst unter Einschluss von Teilzeitarbeitsverhältnissen uÄ um eine – wenn auch große – Minderheit der Bevölkerung (in Deutschland). Das Berufungsgericht blendet dabei zudem aus, dass nicht alle Erwerbstätigen in Singlehaushalten leben, sondern die Leerung des Hausbriefkastens auch durch andere Mitbewohner erfolgen kann, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten, und danach möglicherweise keine erneute Leerung des Hausbriefkastens mehr stattfindet.    

(b) Unterstellt, das Landesarbeitsgericht habe die von ihm angenommene Verkehrsanschauung als auf Erwerbstätige beschränkt angesehen, hätte es berücksichtigen müssen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits zuvor von der Beklagten zum 31. Dezember 2016 gekündigt worden war. Insoweit hätte es besonderer Darlegungen bedurft, weshalb eine ausschließlich auf Erwerbstätige bezogene Verkehrsanschauung auch im Hinblick auf den Kläger gelten sollte, der bereits vor dem 27. Januar 2017 von der Beklagten nicht mehr zur Arbeit herangezogen wurde. 

(3) Soweit das Landesarbeitsgericht den Zeitpunkt der Leerung des Hausbriefkastens nach der Verkehrsanschauung auf 17:00 Uhr festlegt, handelt es sich schließlich um einen willkürlich gesetzten, nicht näher begründeten Zeitpunkt. Das Berufungsgericht meint, dieser Zeitpunkt sei „angemessen“. Sollte es damit im weitesten Sinn auf Verhältnismäßigkeitserwägungen abstellen, wären diese ungeeignet, eine Verkehrsanschauung zu begründen. Gleiches gilt für die vom Landesarbeitsgericht angesprochenen Aspekte der „Rechtssicherheit“ und der „Begrenzung der Belastungen des Erklärungsempfängers“, die in § 130 Abs. 1 BGB nicht angesprochen werden. 

(4) Die im Schrifttum (vgl. zB Palandt/Ellenberger 78. Aufl. § 130 Rn. 6) teilweise vertretene Ansicht, die Vorstellung sei überholt, dass eine Hausbriefkastenleerung nur vormittags erwartet werden könne, da die Deutsche Post AG sowie andere Anbieter von Postdienstleistungen auch am Nachmittag zustellten, steht nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung. Es bedürfte ggf. einer geeigneten Tatsachenfeststellung, wann die Postzustellung auch unter Berücksichtigung anderer Anbieter (üblicherweise) abgeschlossen ist. Dabei werden etwaig seltene späte Zustellungen durch private Anbieter idR nicht die Verkehrsanschauung über die regelmäßige Leerung des Hausbriefkastens prägen. Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, es sei kaum feststellbar, wann in einem elsässischen Dorf die Postzustellung abgeschlossen sei, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, wonach die Postzustellung am Wohnort des Klägers bis gegen 11:00 Uhr vormittags beendet ist. Unzutreffend ist auch der Ansatz, dem Erklärenden müsse ein fristwahrender Zugang bis 24:00 Uhr möglich sein, da sonst eine unzulässige Verkürzung des Fristendes gemäß § 188 BGB vorliege (so aber Staudinger/Singer/Benedict [2017] § 130 Rn. 76). § 188 BGB besagt nur etwas über das Fristende, nicht aber, wann vom Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden auszugehen ist. Auch bei der beabsichtigten Abgabe einer Willenserklärung unter Anwesenden gelingt es nicht stets, eine Frist voll auszuschöpfen.           

  1. Das Urteil erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als im Ergebnis zutreffend. Die Klage gegen die außerordentliche Kündigung kann, soweit mangels Fristversäumnis eine inhaltliche Prüfung stattfindet, Erfolg haben. 
  2. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Januar 2017 nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt. Dies würde voraussetzen, dass dem Kläger das Kündigungsschreiben am 27. Januar 2017 zugegangen ist. Das wäre nur anzunehmen, wenn nach dem am 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr erfolgten Einwurf des Schreibens in den Hausbriefkasten des Klägers noch mit einer Entnahme zu rechnen war. Diese Beurteilung liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und bedarf einer darauf bezogenen Würdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO.

III. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sind folgende Hinweise veranlasst. 

  1. Das Landesarbeitsgericht wird Tatsachenfeststellungen zu einer (ggf. gewandelten) Verkehrsanschauung betreffend den Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen in dem von ihm als maßgeblich angesehenen räumlichen Gebiet (Französische Republik, Département Bas-Rhin oder Wohnort des Klägers) zu treffen haben, wonach eine solche noch bis 13:25 Uhr zu erwarten ist. Hierzu bedarf es allerdings eines substanziierten Tatsachenvortrags der Beklagten, die für den ihr günstigen Umstand eines Zugangs des Kündigungsschreibens noch am 27. Januar 2017 die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BGH 18. Januar 1978 – IV ZR 204/75 – zu I 3 der Gründe, BGHZ 70, 232; Palandt/Ellenberger 78. Aufl. § 130 Rn. 21; Erman/Arnold BGB 15. Aufl. § 130 Rn. 34).
  2. Soweit das Landesarbeitsgericht diese Feststellung aus eigener Sachkunde trifft, hat es diese darzulegen oder auszuführen, warum es sich insoweit als Teil der Allgemeinheit oder der betroffenen Verkehrskreise sieht.   
  3. Sollte das Berufungsgericht über keine eigene Sachkunde bezüglich der von der Beklagten ausreichend dargelegten Verkehrsauffassung am Wohnort des Klägers in Frankreich zum Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen verfügen, wird es etwaigen Beweisantritten der Beklagten (vgl. zB BGH 6. Juni 2002 – I ZR 307/99 – zu II 3 der Gründe) nachgehen müssen.“

Siehe auch den Beitrag von Ante in NJW 2020, 3487 ff. [„Der Zugangsnachweis bei Einwurf-Einschreiben“].

(Letzte Aktualisierung: 21.04.2021)