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Erbrecht

Pflichtteilsentzug

Das Gesetz lässt unter sehr engen Voraussetzungen die Entziehung des Pflichtteils zu. Dazu regelt § 2333 BGB:

„(1) Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling

1. dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,

2. sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,

3. die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder

4. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Entziehung des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils.“

Nach § 2336 Abs. 1 BGB erfolgt die Entziehung des Pflichtteils durch letztwillige Verfügung. Der Grund der Entziehung muss zur Zeit der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben werden, § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB. Für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB muss zur Zeit der Errichtung die Tat begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen; beides muss in der Verfügung angegeben werden, § 2336 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Beweis des Grundes liegt nach § 2336 BGB demjenigen ob, welcher die Entziehung geltend macht.

Das Recht zur Entziehung des Pflichtteils erlischt durch Verzeihung, § 2337 S. 1 BGB. Eine Verfügung, durch die der Erblasser die Entziehung angeordnet hat, wird durch die Verzeihung unwirksam (§ 2337 S. 2 BGB).

OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.07.2020 – 3 W 40/20 [Entziehung des Pflichtteils wegen schweren Raubes – Pressemitteilung des Gerichts v. 27.10.2020]:

„Wer gesetzlicher Erbe ist – also zum Beispiel die Kinder des Erblassers -, aber vom Erblasser enterbt wird, kann grundsätzlich immer noch den sogenannten Pflichtteil beanspruchen. Der Pflichtteil ist halb so groß wie der gesetzliche Erbteil. Wenn der Erblasser also nur ein Kind hinterlässt, das nach der gesetzlichen Erbfolge Alleinerbe wäre, kann es im Falle der Enterbung immer noch die Hälfte des Erbes beanspruchen.

Dieser Grundsatz gilt aber nicht uneingeschränkt, worauf jetzt der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg erneut hingewiesen hat. Es hat einem Mann, der zurzeit in der JVA Meppen einsitzt, keine Prozesskostenhilfe für eine Klage gewährt, in der es um seine vermeintlichen Pflichtteilsansprüche ging.

Die Eltern des Mannes hatten ein gemeinschaftliches Testament verfasst, wonach der Kläger enterbt wurde und auch keinen Pflichtteil bekommen sollte. Nach dem Tod der Mutter wollte der Kläger seinen Pflichtteil nun geltend machen.

Der Senat sah für die Klage keine Erfolgsaussichten. Die Eltern hatten dem Kläger den Pflichtteil nämlich wirksam entzogen. Sie hatten in dem Testament den Pflichtteilsentzug damit begründet, dass der Kläger wegen eines schweren Raubes zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Seine Teilhabe am Erbe sei den Eltern auch nicht zumutbar, weil die Straftat den in der Familie gelebten Wertvorstellungen in hohem Maße widerspreche. Dies hatten die Eltern in dem gemeinsamen Testament auch so niedergelegt.

Der Mann kann jetzt keine Prozesskostenhilfe für die beabsichtige Klage beanspruchen.

Nach dem Gesetz kann der Pflichtteil übrigens auch entzogen werden, wenn der potenzielle Erbe sich einer schweren Straftat gegen den Erblasser oder eine diesem nahestehende Person schuldig macht – ohne dass eine mehrjährige Freiheitsstrafe verhängt werden muss – oder wenn er seine Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1. bis 3 BGB).“

OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2019 – 19 U 80/18:

„1. Ein Diebstahl von Bargeld in Höhe von 6.100 DM zum Nachteil des Erblassers kann geeignet sein, die Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu rechtfertigen.

2. In dem Umstand, dass der Pflichtteilsberechtigte viele Jahre nach Begehung der Straftat in das auch von dem Erblasser bewohnte und diesem gehörende Haus einzieht und in diesem bis zum Erbfall wohnt, liegt nicht ohne weiteres eine Verzeihung im Sinne von § 2337 BGB.“

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.12.2017 – 5 W 53/17, NJW 2018, 957:

„1. Die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen schweren räuberischen Diebstahls ist zur Begründung der Entziehung des Pflichtteils nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB nicht geeignet. Spätere Entwicklungen nach der Tat bzw. der Verurteilung (hier: Widerruf der Strafaussetzung) sind irrelevant.

2. Die Wirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung setzt im Rahmen des § 2336 Abs. 2 BGB neben der Entziehungserklärung auch die Angabe eines (zutreffenden) Kernsachverhalts im Testament voraus. Der bloße Hinweis auf die Begehung von Straftaten ohne die Beschreibung konkreter Vorgänge ist nicht ausreichend.“

Siehe auch LG Saarbrücken, Urt. v. 15.02.2017 – 16 O 210/13:

„Dem Kläger steht gemäß §§ 2303 Abs. 1, 1924 Abs. 1, Abs. 4 kein Pflichtteil zu, da ihm dieser gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB wirksam entzogen wurde.

Nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser, dessen Ehegatten, einen anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person schuldig macht. Dabei kommt nur schweres Fehlverhalten als Grund für die Entziehung des verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteilsrechts in Betracht. Die Fehlverhaltensweise eines Pflichtteilsberechtigten muss schwerwiegend genug sein, dass es für den Erblasser unzumutbar ist, dessen Teilnahme an seinem Nachlass hinzunehmen (BVerfG NJW 2005, 1561). Ob ein vorsätzliches Vergehen ein schweres im Sinne von § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellt, beurteilt sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls.

a) Vorliegend ist davon auszugehen, dass sich der Kläger wenigstens am 21.08.1991 eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen seinen Stiefvater, den Ehegatten der Erblasserin, im Sinne von § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB schuldig gemacht, mithin einen Grund für die Pflichtteilsentziehung im notariellen Testament vom 9.9.1991 gesetzt hat.

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger an diesem Tag seinem Stiefvater im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung mit einer Schreckschusswaffe ins Gesicht geschossen hat.“

Saarländisches OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.10.2016 – 5 U 61/15:

„1. § 2333 Nr. 2 BGB in der Fassung vom 2. Januar 2002 ist über seinen Wortlaut hinaus dahin zu verstehen, dass eine Pflichtteilsentziehung nicht in allen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung im Sinne von § 223 StGB möglich ist, sondern dass die Entziehung stets auch eine schwere Verletzung der Achtung voraussetzt, die Kinder ihren Eltern schulden (Pietätsverletzung). Die Verletzung muss so schwer sein, dass sie das Eltern-Kind-Verhältnis empfindlich stört (Anschluss BGH, 6. Dezember 1989, IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306)

2. Schlägt der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser zu Lebzeiten mehrfach mit der Hand ins Gesicht, zeigt ihm den gestreckten Mittelfinger und bezeichnet ihn als „Dreckschwein“, „Arschloch“ und „Idiot“, dem er wünsche, er möge „verrecken“, so stellt dies zweifelsohne eine (schwere) Pietätsverletzung dar, die eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigt.

3. Massive Beleidigungen, die – wie hier – dazu beitragen, der körperlichen Misshandlung das Gepräge einer schweren Pietätsverletzung zu geben, können unter Umständen sogar für sich genommen ein schweres vorsätzliches Vergehen im Sinne des § 2333 Nr. 3 BGB in der Fassung vom 2. Januar 2002 (jetzt § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB) darstellen.

4. Die Argumentation, dem Erblasser wäre es ein Leichtes gewesen, einen heftigen Angriff seiner Tochter abzuwehren, verfängt nicht, denn bei § 2333 Nr. 2 BGB in der Fassung vom 2. Januar 2002 geht es nicht darum, welche Verteidigungsmöglichkeiten dem Erblasser gegen eine körperliche Misshandlung zur Verfügung standen.“

Zu Fragen der Feststellungsklage im Falle eines Pflichtteilsentzug (zur Klärung, ob dem Erblasser ein Recht zur Entziehung des Pflichtteils zusteht) siehe auch den Beitrag von Roth in NJW-Spezial, 2018, S. 231.

Zu den Arten der Feststellungsklagen im Falle des Pflichtteilsentzugs siehe den Aufsatz von Roth in NJW-Spezial 2018, 359.

(Letzte Aktualisierung: 26.11.2020)

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