Medikamentenmissbrauch
Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hat zur Frage der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Medikamentenmissbrauchs wie folgt entschieden (LAG München, Urt. v. 14.10.2021 – 3 Sa 83/21).
„Auf eine außerordentliche Kündigung wegen Medikamentenmissbrauchs sind die Grundsätze einer außerordentlichen Kündigung wegen krankheitsbedingter Beeinträchtigung infolge Alkoholismus anzuwenden.“
In den Entscheidungsgründen heißt es weiter:
„Eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung infolge Alkoholismus kommt in Fällen sog. Unkündbarkeit je nach den Umständen als wichtiger Grund in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 16.09.1999 – 2 AZR 123/99 – unter II. 2. b) aa); 20.12.2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 14; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2021 – 5 Sa 331/20 – Rn. 28). Zur Vermeidung des Wertungswiderspruchs muss dann allerdings zu Gunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Überdies muss der Prüfungsmaßstab den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die nach § 626 Abs. 1 BGB an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 16 m.w.N.). Für den Fall von Alkoholismus setzt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen Krankheit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Prüfung in drei Stufen voraus. Im Zeitpunkt der Kündigung muss die Prognose gerechtfertigt sein, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen (1. Stufe). Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. eine Suchttherapie durchzuführen. Weitere Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt (2. Stufe), die durch mildere Mittel – etwa eine Versetzung – nicht abgewendet werden kann und die auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (3. Stufe) (vgl. BAG, Urteil vom 16.09.1999 – 2 AZR 123/99 – a.a.O.; 20.12.2012 – 2 AZR 32/14 – Rn. 14 m.w.N.; 20.03.2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 15 m.w.N.; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2021 – 5 Sa 331/20 – Rn. 27). Dabei muss die Prüfung in allen drei Stufen den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu
stellen sind (vgl. schon BAG, Urteil vom 16.09.1999 – 2 AZR 123/99 – a.a.O.).
d) Diese Grundsätze sind auf eine außerordentliche Kündigung wegen Medikamentenmissbrauchs zu übertragen. Auch der Medikamentenmissbrauch ist wie der Alkoholismus oder Drogenmissbrauch eine Krankheit im medizinischen Sinn (vgl. Zimmermann in Gallner/Mestwerdt/Nägele, KSchR, 7. Aufl. 2021, § 1 KSchG Rn. 354; Ross/Bufalick in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, § 1 KSchG Rn. 123 vgl. Linck in Schaub, ArbRHdb., 19. Aufl. 2021, § 131 Rn. 18; vgl. Linck in Schaub, ArbRHdb., 19. Aufl. 2021, § 131 Rn. 18). Der Krankheitscharakter der Benzodizepin-Abhängigkeit wird zudem nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Wirkstoff Benzodiazepin zunächst medizinisch indiziert war und der Klägerin verordnet worden ist. Ab der Entwicklung einer Abhängigkeit bestand ein Krankheitswert.
e) Danach ist ein wichtiger Grund für die streitgegenständliche Kündigung gegeben. (…)“
(Letzte Aktualisierung: 22.03.2022)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt