Schmähkritik
Schmähkritik gegenüber einem Vorgesetzten kann eine ordentliche, ggf. auch eine außerordentliche und fristlose Kündigung rechtfertigen (siehe dazu LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 02.11.2016 – 4 Sa 73/15 und BVerfG, Beschl. v. 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17, NJW 2018, 2316 = NZA 2018, 924 [Ausbeuter“]). Das ist aber stets eine Frage des Einzelfalls.
Siehe dazu auch BAG, Urt. v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, NJW 2020, 1695 m. Anm. Rauch/Schwarzer in DB 2020, 1518:
„aa) Schmähkritik genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 – 1 BvR 1149/17 – Rn. 7; 10. November 1998 – 1 BvR 1531/96 – zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 99, 185; 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 ua. – zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext (vgl. BVerfG 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17 – Rn. 18; 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 ua. – zu C III 3 der Gründe, aaO) – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 – 1 BvR 1149/17 – aaO; 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 ua. – zu C III 2 der Gründe, aaO; 9. Oktober 1991 – 1 BvR 1555/88 – zu B II 3 der Gründe, BVerfGE 85, 1; 26. Juni 1990 – 1 BvR 1165/89 – zu B I 2 d der Gründe, BVerfGE 82, 272). Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 – 1 BvR 1149/17 – aaO; 28. September 2015 – 1 BvR 3217/14 – Rn. 14). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind schon dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft, wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfG 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17 – Rn. 19; 29. Juni 2016 – 1 BvR 2646/15 – Rn. 14). Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Formalbeleidigung oder Schmähung mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entbehrlich wird, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfG 19. Februar 2019 – 1 BvR 1954/17 – Rn. 12; 18. August 1998 – 1 BvR 1955/94 – zu II 1 b der Gründe; 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 ua. – zu C III 2 der Gründe, aaO). Das gilt auch, wenn ein Gericht den Begriff der Schmähkritik in verfassungsrechtlich unzulässiger Art und Weise überdehnt und in der Folge die erforderliche Abwägung zwischen dem Ehrenschutz einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits zumindest nicht im gebotenen Umfange unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – Rn. 20). Der Begriff der Schmähkritik ist damit vor dem Hintergrund, dass es bei im Einzelfall gegenüberstehenden Grundrechtspositionen grundsätzlich einer Abwägung zwischen diesen unter Berücksichtigung aller wesentlicher konkreter Umstände bedarf, eng definiert. Nur ausnahmsweise kann im Sinne einer Regelvermutung auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – Rn. 21).
bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht Äußerungen der Klägerin in den E-Mails vom 21. September 2008 und 30. März 2009 zu Unrecht als Schmähkritik und damit nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst angesehen.
(1) Die Passage in der E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, der Vorgesetzte der Klägerin sei ein „unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser (weder Abitur, noch Studium, noch internationale Arbeitserfahrung, noch weniger interkulturelle Erfahrung, dem ich täglich die Grundlagen der BWL erklären darf )“, stellt keine Schmähkritik dar.
(a) Die Kritik mag überzogen, ausfällig und ungehörig sein, steht aber im Zusammenhang mit konkreten, von der Klägerin geschilderten Situationen, in denen sie sich als im Ausland geborene Frau ungerechtfertigt von einem Vorgesetzten zurückgesetzt sieht, der selbst nicht über die erforderlichen fachlichen und sozialen Kompetenzen für seine Funktion verfüge. Der Klägerin ging es sogar um die Sache, die sie zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchte, und nicht lediglich um eine persönliche Kränkung des Vorgesetzten.
(b) Das gilt umso mehr, als auch das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils – insoweit im Wesentlichen unstreitige – Umstände auflistet, die die Äußerungen der Klägerin als Reaktion auf das Verhalten des Vorgesetzten erscheinen lassen (Wortwahl des Vorgesetzten: „angepisst“, „Schwanz einziehen“; fachliches Defizit bei der Unterscheidung „cost“ und „price“; sprachliche Entgleisung bei der Bezeichnung der Klägerin als „Walross“; Verbreitung einer E-Mail „weibliche Gedanken“, die als Ergebnis auf einen Stöckelschuh hinauslaufen; Äußerungen „Ihr Araber seid alle gleich“ und „Ein Japaner bleibt ein Japaner, auch wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“). Diese auch vom Landesarbeitsgericht gesehenen Anknüpfungspunkte lassen einen Bezug der Äußerungen der Klägerin zu Sachthemen erkennen, was der Annahme einer Schmähkritik entgegensteht (vgl. BVerfG 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17 – Rn. 19). Sie mögen unpassend und maßlos übersteigert sein, thematisieren und bewerten aber konkrete von der Klägerin behauptete Geschehnisse und bleiben eng mit dem sie beherrschenden Gedanken verbunden, sie werde als im Ausland geborene Frau diskriminiert.
(c) Soweit das Landesarbeitsgericht unter II 3 b auf den Seiten 38 unten bis 40 oben der Entscheidungsgründe unter Vernachlässigung von Kontext und Inhalt der Äußerungen der Klägerin angenommen hat, es handele sich nicht nur um Schmähkritik, sondern – zugleich – um unwahre Tatsachenbehauptungen, hat es den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ebenfalls grundlegend verkannt.
(aa) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 19; BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – Rn. 42, BAGE 149, 1). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 18; 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05 – Rn. 21; BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – aaO). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – aaO; 24. November 2005 – 2 AZR 584/04 – zu B I 2 b aa der Gründe mwN; zu Art. 10 EMRK vgl. EGMR 5. November 2019 – 11608/15 -). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 – 1 BvR 917/09 – Rn. 18 mwN).
(bb) Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 – zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1), handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist (vgl. BVerfG 13. April 1994 – 1 BvR 23/94 – zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – Rn. 18). Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deshalb, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – Rn. 13 mwN).
(cc) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (vgl. BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 19; 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 – zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – Rn. 43, BAGE 149, 1; 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 35; 24. Juni 2004 – 2 AZR 63/03 – zu B III 2 a cc der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 – 1 BvR 1890/08 – Rn. 20; 25. Oktober 2005 – 1 BvR 1696/98 – BVerfGE 114, 339; BAG 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14 – Rn. 18; 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – Rn. 43, aaO).
(dd) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Bezeichnungen des Vorgesetzten als „unterbelichtet“ und „Frauen- und Ausländerhasser“ seien unwahre Tatsachenbehauptungen, weil die Klägerin nicht den Nachweis erbracht habe, dass sie zuträfen. Dabei hat es verkannt, dass die Äußerungen im Gesamtkontext eine – wenn auch einseitige und möglicherweise überzogene – Bewertung des von der Klägerin als demütigend empfundenen Verhaltens des Vorgesetzten und damit ein Werturteil darstellen. Indem es die Äußerungen der Klägerin – sei es als Schmähkritik, sei es als unwahre Tatsachenbehauptung – als nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst angesehen hat, hat das Landesarbeitsgericht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Klägerin und der sie beschränkenden Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB versäumt.
(2) Auch die Äußerungen der Klägerin in ihrer E-Mail vom 30. März 2009 über die fachlichen Fähigkeiten ihres Vorgesetzen hat das Landesarbeitsgericht als Schmähkritik verkannt.
(a) Das Berufungsgericht setzt sich schon nicht mit dem konkreten Inhalt der E-Mail auseinander, sondern spricht abstrakt von einem menschlich und fachlich vernichtenden Urteil über den Mitarbeiter. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen, stets vom Wortlaut ausgehenden konkreten Deutung (vgl. BVerfG 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 – zu II 3 a aa der Gründe) des Inhalts der E-Mail und insbesondere ihres zu bestimmenden Aussagekerns (vgl. BVerfG 6. September 2004 – 1 BvR 1279/00 – zu II 2 b der Gründe). Die Ausführungen der Klägerin gehen – wenn auch einseitig und überzogen scharf – auf das Sachthema von ihr angenommener Leistungsdefizite des Vorgesetzen ein. Auch der Umstand, dass die E-Mail an mehrere Adressaten versandt wurde, macht sie nicht schon zur Schmähung, da die inhaltliche Auseinandersetzung nicht völlig in den Hintergrund tritt und einen konkreten Sachbezug hat. Das Urteil beruht auch insofern auf einer Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit und unterliegt der Aufhebung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (vgl. BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – Rn. 15; 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – Rn. 24).
(b) Überdies verkennt das Landesarbeitsgericht die negative Meinungsfreiheit der Klägerin, wenn es annimmt, der Beklagten sei es schon allein deshalb nicht verwehrt, aufgrund der Äußerungen die Kündigungskonsequenz zu ziehen, weil die Klägerin es trotz des Hinweises in dem Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 unterlassen habe, sich bei ihrem Vorgesetzten förmlich zu entschuldigen und gegenüber den anderen Adressaten eine „offene Gegenerklärung“ abzugeben. Mit einer „Entschuldigung“ oder „Gegenerklärung“ wäre die Klägerin angehalten, sich einer anderen Meinung anzuschließen und diese als eigene auszugeben, was mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH 19. Juli 2018 – IX ZB 10/18 – Rn. 17 ff.). Es ginge nicht um die Richtigstellung von Tatsachen, sondern um die Rücknahme von oder eine Entschuldigung für Meinungsäußerungen. Allein der Umstand, dass die Klägerin nicht bereit war, eine fremde Meinung zu übernehmen, durfte ihr vom Landesarbeitsgericht nicht vorgeworfen werden. Unabhängig davon hat es nicht berücksichtigt, dass die Klägerin in ihrer E-Mail vom 16. April 2009 einem Teil ihrer Äußerungen bereits etwas an Schärfe genommen hatte.
d) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen der Klägerin in ihren E-Mails vom 5. Februar 2009 und 12. September 2008 seien nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallende Schmähungen, die die Beklagte in die Nähe verbrecherischer NS-Organisationen und der Mafia stellten, verkennt ebenfalls das Recht der Klägerin auf Meinungsfreiheit.
aa) Ähnlich wie bei der widerrechtlichen Drohung lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen, ob das Landesarbeitsgericht in diesem Sachverhalt einen eigenständigen Kündigungsgrund sieht oder nur einen ergänzenden Aspekt.
bb) Das Berufungsgericht hat die Ausführungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem im Vergleich zu ihrer Situation von ihr als weniger groß angesehenen „Leid der Juden“ und der Bezugnahme auf den Film „Der Pate“ als Schmähungen bezeichnet und keine Abwägung mit dem Recht der Klägerin aus Art. 5 Abs. 1 GG angestellt. Es hat damit erneut verkannt, dass nur ausnahmsweise von einer „Schmähung“ ausgegangen werden kann, nämlich dann, wenn allein eine persönliche Diffamierung beabsichtigt ist, welche das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt.
(1) Die Aussagen der Klägerin in der E-Mail vom 5. Februar 2009, „dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleben musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden“, enthalten zwar eine ungehörige, geschmacklose und maßlos übertreibende Beschreibung der von ihr als belastend empfundenen Konfliktsituation. Dabei handelt es sich aber erkennbar um eine Wertung, die auf von ihr als demütigend empfundenen Verhaltensweisen von Vorgesetzten beruht und damit gerade an dem Sachthema orientiert ist, die Probleme abzustellen. Das Gleiche gilt für die Bezugnahme auf den Film „Der Pate“, die erkennbar als Wertung und Meinung im Zusammenhang mit einem konkreten Konflikt erfolgt. Die Klägerin äußerte sich zwar polemisch und überhöhte maßlos die von ihr empfundenen Belastungen. Dies sollte aber dazu dienen, eine von ihr als erforderlich gesehene Reaktion auf die Situation herbeizuführen. Wenn das Landesarbeitsgericht gleichwohl von einer „Schmähung“ spricht, verkennt es diese, eine konkrete Lage bewertende Aussage der Klägerin und nimmt rechtsfehlerhaft keine Abwägung mit ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG vor.
(2) Unabhängig davon hat das Landesarbeitsgericht den Aussagekern der Äußerungen der Klägerin verkannt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ist eine Aussage mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (st. Rspr., vgl. BVerfG 24. Mai 2019 – 1 BvQ 45/19 – Rn. 12; 25. Oktober 2005 – 1 BvR 1696/98 – zu B I 2 b aa (1) der Gründe, BVerfGE 114, 339).
(a) Soweit die Klägerin meinte, kein Jude in diesem Land habe jemals solche seelischen Qualen erleben müssen wie sie, übertrieb sie zwar in besonders geschmackloser Weise eine Konfliktsituation am Arbeitsplatz. Es ist aber nicht auf der Hand liegend daraus abzuleiten, sie hätte damit die Beklagte in die Nähe verbrecherischer NS-Organisationen gerückt. Die Klägerin setzte zwar das von ihr empfundene Leid in Relation zu dem Leid nationalsozialistischer Opfer. Das ist angesichts des Ausmaßes der in der Vergangenheit begangenen Verbrechen ungehörig und historisch nicht zu rechtfertigen, stellte aber nicht zwingend eine Nähe der Beklagten zu dem Terrorregime her (vgl. hierzu schon das erste Revisionsurteil in dieser Sache vom 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 38). Die Klägerin sprach ausdrücklich von ihrem „Erleben und Empfinden“ und zeigte damit eher eine übersteigerte Selbstwahrnehmung auf, als dass sie die Beklagte mit dem Nationalsozialismus in Verbindung brachte. Damit stellte sie klar, dass es sich um eine subjektiv geprägte Äußerung handelte. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser zumindest bestehenden Mehrdeutigkeit der Äußerung nicht auseinandergesetzt und auch nicht mit nachvollziehbaren Argumenten die Deutungsmöglichkeit ausgeschlossen, die Klägerin habe nur die Größe ihres Leids betonen wollen, ohne die Beklagte mit verbrecherischen NS-Organisationen zu vergleichen. Das Landesarbeitsgericht ist im Zusammenhang mit anderen Äußerungen („Witz“ mit der Pistole; „Schloss mit freier Holzzuteilung“) stets von der für die Klägerin nachteiligsten Interpretation ausgegangen, ohne ihre Meinungsfreiheit auch nur am Rande zu berücksichtigen. Zwar spielte die Klägerin erkennbar mit Assoziationen zum Massenmord an den Juden. Das Landesarbeitsgericht hat hier aber den Kontext ihrer Äußerungen aus dem Blick verloren. Die Klägerin sah sich angegriffen, gedemütigt und diskriminiert und wollte – in unmäßiger Überhöhung – das von ihr empfundene Leid beschreiben.
(b) In ihrer E-Mail vom 5. Februar 2009 stellte die Klägerin die Beklagte hinsichtlich ihrer Führungsstruktur und dem Verhalten ihrer Vertreter nicht dadurch in die Nähe der Mafia, dass sie schrieb „Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate“. Der Film „Der Pate“ wurde nicht im Zusammenhang mit Mafiamethoden erwähnt, sondern nachdem die Klägerin von Intrigen sprach, wie sie sie noch in keinem anderen Unternehmen der Welt erlebt habe. Damit lässt sich der Vergleich auch auf rein innerbetriebliche intrigante Strukturen beziehen, die es auch abseits vom organisierten Verbrechen gibt. Die von der Klägerin nicht vorgegebene Konnotation „Mafia“ hat das Landesarbeitsgericht auch hier gewählt, ohne andere Deutungsmöglichkeiten auszuschließen.“
(Letzte Aktualisierung: 20.08.2020)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt