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Kündigungsgründe Arbeitsvertrag A-Z

Sexuelle Belästigung

Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann die ordentliche, ggf. auch die außerordentliche und fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

BAG, Urt. v. 20.05.2021 – 2 AZR 7 ABR 10/20, DB 2021, 2229:

„Auch eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG ist gem. § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die ´an sich´ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist (…). Sie liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (…). Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG (…). Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem oder mehreren anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden (…). Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen (…). Die absichtliche Berührung der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale eines anderen ist bereits deshalb sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG , weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt (…). Ein sexualbezogener Übergriff liegt auch dann vor, wenn die Genitalien eines anderen nicht berührt, aber unter Missachtung seines Rechts auf Selbstbestimmung, wem gegenüber und in welcher Situation er sich unbekleidet zeigen möchte, entblößt werden. Auch ein solches Verhalten hat das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand (…). Bei anderen Handlungen, für die dies nicht ohne Weiteres zutrifft, wie beispielsweise Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund der mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (…). Eine solche kann auch darin bestehen, den Betroffenen unter Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung sexualbezogen zu beschämen. Geht es dagegen um ein Verhalten, das das Geschlechtliche im Menschen unmittelbar zum Gegenstand hat, genügt für das ´Bewirken´ iSv. § 3 Abs. 4 AGG der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (…). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit verlangt – anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG – nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (…).“

LAG Köln, Urt. v. 06.12.2021 – 2 Sa 10/21:

„Auch eine sexuelle Belästigung einer Arbeitnehmerin an ihrem Arbeitsplatz durch einen Vorgesetzten ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 7 Abs. 3 AGG) und kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sein (BAG, Urteil vom 25.03.2004 – 2 AZR 341/04). Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird (BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16).“

LAG Köln, Urt. v. 19.06.2020 – 4 Sa 644/19 [Pressemitteilung]:

„Fasst ein Mitarbeiter erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt mit der anschließenden Äußerung, da tue sich etwas, rechtfertigt dies auch nach 16-jähriger beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 19.06.2020 entschieden.

Der Kläger war bei der Beklagten seit 16 Jahren in der Produktion beschäftigt. Im März 2019 wandte sich eine Kollegin an die Personalleiterin mit dem Vorwurf, der Kläger habe sie im November 2018 in der eingangs geschilderten Art und Weise sexuell belästigt. Nach Anhörung des Klägers, der den Vorwurf bestritt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Aufgrund einer Strafanzeige der Kollegin erging gegen den Kläger ein Strafbefehl wegen sexueller Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, der mittlerweile rechtskräftig ist.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat die gegen diese Kündigung gerichtete Klage nach Vernehmung der Kollegin abgewiesen. Dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht Köln nun in dem Berufungsverfahren bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen die von dem Arbeitsgericht Siegburg vorgenommene Beweiswürdigung nachvollzogen und keine Anhaltspunkte gesehen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen könnten. Insbesondere hat es kein widersprüchliches Verhalten der Belastungszeugin in dem Umstand gesehen, dass diese sich erst nach drei Monaten an den Arbeitgeber gewandt hatte.

Angesichts der Schwere der festgestellten Pflichtverletzung hat das Landesarbeitsgericht eine vorhergehende Abmahnung für nicht erforderlich gehalten, weil der Kläger nicht ernsthaft damit habe rechnen können, dass die Beklagte sein Verhalten tolerieren werde. Aufgrund ihrer Verpflichtung nach § 12 Abs. 3 AGG, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen, sei der Beklagten der Ausspruch einer Kündigung unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nicht zuzumuten gewesen.

Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.“

BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13:

„Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität.“

Ergänzende Hinweise

Das BAG ist der Meinung, dass nach den Umständen des konkreten Falles eine Abmahnung des Arbeitgebers als Reaktion auf das Verhalten des Arbeitnehmers ausgereicht hätte.

Der gekündigte Arbeitnehmer hatte im Waschraum zu einer Putzfrau gesagt, dass sie einen schönen Busen habe und dann ihre Brust berührt. Als die Frau deutlich machte, dass sie dies nicht wünsche, ließ der Mann sofort von ihr ab.

In einem sich an die Belästigung anschließenden Gespräch mit seinem Arbeitgeber hatte der Arbeitnehmer seine Tat gestanden und erklärt, dass er sich „eine Sekunde lang vergessen“ habe; er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen. Zudem hatte sich der Mann bei der betroffenen Frau entschuldigt und ein Schmerzensgeld gezahlt.

Unter diesen Umständen hält das BAG die Kündigung für unverhältnismäßig.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die sexuelle Belästigung einer Arbeitskollegen durch einen anderen Arbeitnehmer auch dann die außerordentliche und fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann, wenn die Belästigung längere Zeit zurückliegt (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 10.11.2015 – 2 Sa 235/15).

Siehe auch BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16:

„Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist sexuell bestimmt i.S.d. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es nicht an.“

Im Orientierungssatz der Entscheidung heißt es weiter:

„1. Bei einer sexuellen Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG handelt es sich gem. § 7 Abs. 3 AGG um eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung geeignet ist.

  1. Der entleihende Arbeitgeber ist nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, die in seinem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen.“

Zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz (Überblick über die Rechtsprechung und Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber) siehe auch den Aufsatz von Groß in DB 2015, S. 2755 ff.

(Letzte Aktualisierung: 22.03.2022)