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Verfassungsrecht

Konkrete Normenkontrolle (Art. 100 GG)

Siehe dazu BVerfG, Beschl. v. 07.11.2023 – 2 BvL 12/20, NJW 2024, 492, 492 f.:

„Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss die Begründung angeben, inwiefern die Entscheidung des Gerichts von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Rechtsvorschrift unvereinbar ist. Ein Vorlagebeschluss ist nur dann hinreichend begründet, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 127, 335 <355 f.>; 136, 127 <141 Rn. 43>; 159, 149 <169 f. Rn. 57> – Solidaritätszuschlag auf Körperschaftsteuerguthaben).

(…) Eine für verfassungswidrig gehaltene Norm ist dann entscheidungserheblich, wenn die Endentscheidung des Ausgangsverfahrens von ihrer Gültigkeit abhängt (vgl. BVerfGE 11, 330 <334 f.>; 50, 108 <113>; 58, 300 <318>; 79, 240 <243>; 149, 1 <10 Rn. 21>; 157, 223 <250 Rn. 70> – Berliner Mietendeckel), die Gültigkeit oder Ungültigkeit dieser Norm also zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 35, 303 <306>; 68, 311 <316>; 80, 59 <65>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11 Rn. 35>; 135, 1 <10 f. Rn. 28>; 136, 127 <142 Rn. 44>; 138, 1 <13 Rn. 37>; 141, 1 <10 f. Rn. 22>; 145, 171 <189 Rn. 52>; 153, 310 <333 Rn. 55> – Knorpelfleisch; 157, 223 <250 Rn. 70>). Für die Frage der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11 Rn. 35>; 138, 1 <15 Rn. 41>; 141, 1 <11 Rn. 22>; 145, 249 <267 Rn. 36>; 157, 223 <250 Rn. 70>). Bei einer Normenkontrolle muss die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm nicht nur zur Zeit der Aussetzung des Verfahrens gegeben sein, sondern auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen (vgl. BVerfGE 51, 161 <163 f.>; 85, 191 <203>; 108, 186 <209>). Zum Zeitpunkt der verfassungsgerichtlichen Entscheidung außer Kraft getretenes Recht kann aber zulässiger Gegenstand einer Vorlage sein, solange es für die Entscheidung im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich bleibt (vgl. BVerfGE 47, 46 <64>; 108, 186 <209>). Die Vorlage muss zur Zulässigkeit der Klage im Ausgangsverfahren Stellung nehmen (vgl. Geißler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, § 80 Rn. 46 <Juni 2023>) und den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 141, 1 <11 Rn. 22>). Sie muss sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142 Rn. 44>; 141, 1 <11 Rn. 22>; 145, 249 <266 f. Rn. 36>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erfordert aber nicht, auf jede denkbare Rechtauffassung einzugehen (vgl. BVerfGE 141, 1 <11 Rn. 22>; 145, 1 <7 Rn. 12>; 145, 106 <141 Rn. 96>; 152, 274 <310 Rn. 90> – Erstausbildungskosten; 157, 223 <251 Rn. 71>). Richten sich die Bedenken gegen eine Vorschrift, von deren Anwendung die Entscheidung nicht allein abhängt, sind die weiteren mit ihr im Zusammenhang stehenden Bestimmungen in die rechtlichen Erwägungen einzubeziehen, soweit dies zum Verständnis der zur Prüfung gestellten Norm oder zur Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit erforderlich ist (vgl. BVerfGE 89, 329 <337>; 105, 48 <56>; 124, 251 <260>; 159, 149 <170 Rn. 58>).

Das vorlegende Gericht muss zudem seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 141, 1 <11 Rn. 23>; 145, 249 <266 f. Rn. 36>; 149, 1 <11 Rn. 21>; 153, 310 <335 Rn. 60>; 157, 223 <250 Rn. 71>). Es hat hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab anzugeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 131, 88 <117 f.>; 149, 1 <11 Rn. 21>; 153, 310 <335 Rn. 60>; 157, 223 <250 f. Rn. 71>). Hierbei hat es die nach seiner Rechtsauffassung zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und in den Vorlagebeschluss aufzunehmen (vgl. BVerfGE 145, 171 <188 Rn. 50>; 149, 1 <11 Rn. 21>; 157, 223 <251 Rn. 71>).

Das vorlegende Gericht muss zudem die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern, wenn diese nahe liegt, und insoweit vertretbar begründen, dass es eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung gestellten Norm nicht für möglich hält (vgl. BVerfGE 121, 108 <117>; 131, 88 <118>). Es ist demnach von mehreren möglichen Normdeutungen, die zum Teil zu einem verfassungswidrigen und zum Teil zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. BVerfGE 22, 373 <377>; 32, 373 <383 f.>; 49, 148 <157>; 64, 229 <242>; 115, 51 <65 f.>; 119, 247 <274>; 134, 33 <63 Rn. 77>). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie Wortlaut und klar erkennbarem Willen des Gesetzgebers widerspricht (vgl. BVerfGE 110, 226 <267>; 134, 33 <63 Rn. 77>; 159, 149 <172 Rn. 60>). Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. BVerfGE 54, 277 <299 f.>; 71, 81 <105>; 130, 372 <398>; 134, 33 <63 Rn. 77>; 138, 296 <350 Rn. 132>; 159, 149 <172 Rn. 60>).“

(Letzte Aktualisierung: 22.04.2024)