Startseite | Stichworte | Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 und 2 GG)
https://www.etl-rechtsanwaelte.de/stichworte/verfassungsrecht/unverletzlichkeit-der-wohnung-art-13-abs-1-und-2-gg
Verfassungsrecht

Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 und 2 GG)

Siehe dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 05.12.2023 – 2 BvR 1749/20, L&L 2024, 193:

„Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>).

(…) Ein Eingriff in Form einer Durchsuchung kann nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden.

(…) Erforderlich hierfür ist eine parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage (vgl. BVerfGK 16, 142 <145>), die die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Durchsuchung regelt (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 13 Rn. 49), die Anordnung der Durchsuchung durch den Richter, bei Gefahr im Verzug durch die anderen in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten Organe, und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit BVerfGK 16, 142 <146>). Die Anwendung des einfachen Rechts obliegt dabei grundsätzlich den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>; 18, 85 <92>; 95, 96 <127 f.>; 115, 166 <199>).

(…) Im Strafprozess dient § 102 StPO als parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten.

Nach § 102 StPO notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung nach dieser Vorschrift ist der Verdacht, dass durch den Adressaten der Durchsuchung eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>).

Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. April 2015 – 2 BvR 440/14 -, Rn. 14; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 -, Rn. 28).

Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der konkreten Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <198>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf verfahrenserhebliche Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19 -, Rn. 25). Die Auffindewahrscheinlichkeit ist insbesondere bei länger zurückliegenden Ereignissen oder bei Kenntnis des Betroffenen von den Ermittlungen sorgfältig zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1188/18 -, juris, Rn. 59).“

(Letzte Aktualisierung: 22.04.2024)