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Verkehrsrecht

Fiktive Reparaturkosten / fiktive Schadensabrechnung

Hier geht es unter anderem um Reparaturkosten im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, die tatsächlich nicht angefallen sind. Gleichwohl soll der Geschädigte durch Zahlung eines Geldbetrages (fiktiv) so gestellt werden, als sei das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Die aufgeworfene Problematik stellt sich auch im Baurecht.

Das Landgericht (LG) Magdeburg hat entschieden, dass im Rahmen einer fiktiven Abrechnung von Reparaturkosten durch den Geschädigten eines Verkehrsunfalles ein Verweis auf eine Vertragswerkstatt auch dann zulässig ist, wenn das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt etwas mehr als zwei Jahre alt war (LG Magdeburg, Urt. v. 19.03.2021 – 1 S 213/20, NJW-Spezial 2021, 267).

In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„Die Beklagten haben die Klägerin bereits vorgerichtlich darauf verwiesen, dass die Firma R. Autohaus GmbH die Reparatur zu einem Preis von 11.961,06 € ausführt. Diesen Vortrag haben die Beklagten im Prozess wiederholt. Sie haben dargelegt, dass es sich bei der Firma R. Autohaus GmbH um eine Volkswagen-Vertragswerkstatt handelt. Weiterhin haben sie vorgetragen, dass bei der Reparatur in dem dortigen Betrieb alle Qualitätsstandards und Herstellergarantien von Volkswagen gewährleistet sind genauso wie in jeder anderen Volkswagenwerkstatt. Die technische Gleichwertigkeit mit einem dem klägerischen Gutachten zugrunde gelegten Volkswagenvertragshändler ist gegeben. Die Beklagte zu 1 hat ihrer Schadensabrechnung die konkreten Lohnkosten und Stundenverrechnungssätze der VW-Vertragswerkstatt R. Autohaus GmbH zugrunde gelegt. Diesen Vortrag hat die Klägerin nicht bestritten. Somit ist unstreitig geblieben, dass eine gleichwertige Reparatur in einer VW-Vertragswerkstatt in der Nähe des Wohnorts der Klägerin zu einem Nettopreis von 11.961,06 € hätte erfolgen können. Die erforderlichen Reparaturkosten i.S.d. 249 Abs. 2 S. 1 BGB belaufen sich auf Grundlage des unstreitig gebliebenen Vortrags der Beklagten demnach auf 11.961,06 €. Einen weitergehenden Schadensanspruch hat die Klägerin gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht.

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, es liege kein konkretes annahmefähiges Angebot der Beklagten vor. Die Beklagte muss kein konkretes Vertragsangebot einer Reparaturwerkstatt vorliegen, um die in dem Sachverständigengutachten vom 04.03.2019 aufgeführten Wiederherstellungskosten substantiiert zu bestreiten. Die Beklagten greifen die Feststellungen in dem Privatgutachten vom 04.03.2019 an. Dafür durften sie sich nicht auf ein einfaches Bestreiten der Angaben des Privatgutachters beschränken. Dies haben die Beklagten jedoch auch nicht getan. Vielmehr haben die Beklagten unter Vorlage des Prüfberichts der Firma … und Benennung einer konkreten Fachwerkstatt die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt dargelegt. Für diese substantiierten Angriffe des von der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachtens ist kein konkretes und verbindliches Angebot einer Fachwerkstatt erforderlich, denn es geht um die erforderlichen Wiederherstellungskosten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung.“

BGH, Urt. v. 18.02.2020 – VI ZR 115/19:

„Bei der fiktiven Schadensberechnung ist für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs materiell-rechtlich der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung, verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich. Vorher eintretende Preissteigerungen für die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt, auf die der Schädiger den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB verweisen darf, gehen daher in der Regel zu Lasten des Schädigers.“

OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 08.11.2019 – 22 U 16/19, NJW 2020, 482 = L&L 2020, 219:

„1. Der Geschädigte ist berechtigt, gemäß der eindeutigen Regelung des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung des vorherigen Zustands den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen.

  1. Die Rechtsprechung des BGH zum Werkvertragsrecht vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17 – kann nicht auf das Deliktsrecht übertragen werden. Es besteht auch kein Anlass zu einer entsprechenden Rechtsfortbildung, da es mangels einer Austauschbeziehung nicht zu einer Überkompensation oder Äquivalenzstörung kommen kann.“

BGH, Urt. v. 29.10.2019 – VI ZR 45/19:

„Sind dem Geschädigten von markengebundenen Fachwerkstätten auf dem allgemeinen regionalen Markt Großkundenrabatte für Fahrzeugreparaturen eingeräumt worden, die er ohne weiteres auch für die Reparatur des Unfallfahrzeugs in Anspruch nehmen könnte, so ist dies ein Umstand, der im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch bei fiktiver Schadensabrechnung grundsätzlich zu berücksichtigen ist.“

Siehe auch BGH, Urt. v. 29.01.2019 – VI ZR 481/17, MDR 2019, 414 = NJW-Spezial 2019, 233 = VersR 2019, 499 [hier: Geltendmachung des Anspruchs durch eine Leasingnehmer]:

„Der Leasingnehmer, der die Pflicht zur Instandsetzung des Leasingfahrzeuges gegenüber dem Leasinggeber und Eigentümer für jeden Schadensfall übernommen und im konkreten Schadensfall nicht erfüllt hat, kann nicht ohne Zustimmung (§ 182 BGB) des Eigentümers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB vom Schädiger statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten verlangen.“

BGH, Urt. v. 25.09.2018 – VI ZR 65/18, DAR 2091, 79 = NJW 2019, 852 = RuS 2019, 114:

„1. Bei fiktiver Abrechnung der Reparaturkosten muss sich der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf diese verweisen lassen.

  1. Dies gilt auch dann, wenn der Reparaturkostenkalkulation des von ihm beauftragten Sachverständigen bereits mittlere ortsübliche Sätze nicht markengebundener Fachwerkstätten zugrunde liegen. Es kann keinen Unterschied machen, ob im Privatgutachten von durchschnittlichen regionalen Stundenverrechnungssätzen markengebundener oder freie Fachwerkstätten ausgegangen worden ist.
  2. Die Frage der ´Ersatzfähigkeit der UPE-Aufschläge´ entscheidet sich nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten.“

BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17, BauR 2018, 815 = NJW 2018, 1463 = NZBau 2018, 201:

„1. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

2a. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann den Schaden in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.

2b. Der Schaden kann in Anlehnung an § 634 Nr. 3, § 638 BGB auch in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werks wegen des (nicht beseitigten) Mangels geschätzt wird. Maßstab ist danach die durch den Mangel des Werks erfolgte Störung des Äquivalenzverhältnisses.

3a. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel beseitigen lässt, kann die von ihm aufgewandten Mängelbeseitigungskosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB ersetzt verlangen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.

3b. Darüber hinaus hat der Besteller, der Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB verlangt hat, grundsätzlich weiterhin das Recht, Vorschuss gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will.

  1. Auch im Verhältnis zum Architekten scheidet hinsichtlich der von ihm zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, ein Zahlungsanspruch in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten betreffend das Bauwerk aus.

5a. Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks nicht beseitigen, kann er seinen Schaden gegenüber dem Architekten im Wege einer Vermögensbilanz nach dem Minderwert des Bauwerks im Vergleich zu dem hypothetischen Wert des Bauwerks bei mangelfreier Architektenleistung bemessen oder gegebenenfalls – bei Veräußerung des Objekts – nach dem konkreten Mindererlös.

5b. Hat der durch die mangelhafte Architektenleistung verursachte Mangel des Bauwerks zur Folge, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrags vorliegt, kann der Besteller stattdessen seinen Schaden auch in der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werks des Bauunternehmers ermittelt.

6a. Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks beseitigen, sind die von ihm aufgewandten Kosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB vom Architekten zu ersetzen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.

6b. Darüber hinaus hat der Besteller wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, einen Schadensersatzanspruch gemäß § 634 Nr. 4, § 280 BGB auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags gegen den Architekten.“

Siehe auch den Beitrag von Steffen in NJW-Spezial 2022, 108 f. [„Die fiktiven Mängelbeseitigungskosten  – eine Bestandsaufnahme“]

(Letzte Aktualisierung: 22.03.2022)

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