Ausfallhonorar bei nicht rechtzeitiger oder unterbliebener Absage von Behandlungsterminen
Rechtliche Grundlagen und praktische Umsetzung für Ärzte und Zahnärzte
Das unentschuldigte Nichterscheinen von Patienten zu vereinbarten Behandlungsterminen stellt für viele Arzt- und Zahnarztpraxen eine erhebliche organisatorische und wirtschaftliche Belastung dar. Insbesondere in Bestellpraxen, die ihre Terminplanung auf individuelle Patientenbedürfnisse abstimmen, können solche Ausfälle zu nicht unerheblichen finanziellen Einbußen führen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ein Ausfallhonorar geltend gemacht werden kann.
1. Rechtlicher Rahmen: Dienstvertrag und Annahmeverzug
Zwischen Arzt/Zahnarzt und Patient besteht in der Regel ein Dienstvertrag gemäß § 611 BGB. Für solche Verträge gilt grundsätzlich das jederzeitige Kündigungsrecht des Patienten nach § 627 Abs. 1 BGB. Allerdings kann der Behandler unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausfallhonorar verlangen, wenn der Patient einen fest vereinbarten Termin nicht wahrnimmt.
Gemäß § 615 Satz 1 BGB kann der Dienstverpflichtete (hier: der Behandler) die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Dienstberechtigte (hier: der Patient) mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Ein solcher Annahmeverzug tritt ein, wenn der Patient ohne rechtzeitige Absage nicht zum vereinbarten Termin erscheint. Dabei ist es unerheblich, ob den Patienten ein Verschulden trifft.
2. Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Ausfallhonorars
a) Feste Terminvereinbarung
Eine verbindliche Terminvereinbarung ist unerlässlich. Der Patient muss darüber informiert sein, dass der vereinbarte Termin ausschließlich für ihn reserviert ist und bei Nichterscheinen ein Ausfallhonorar fällig wird. Diese Information sollte idealerweise schriftlich erfolgen, beispielsweise durch eine entsprechende Klausel im Behandlungsvertrag oder einen deutlich sichtbaren Aushang in der Praxis.
b) Bestellpraxis-Prinzip
Die Praxis muss nach dem Prinzip einer Bestellpraxis organisiert sein, bei der Termine exklusiv für einzelne Patienten vergeben werden. Dies bedeutet, dass während des reservierten Zeitraums keine anderen Patienten behandelt werden können. Die exklusive Terminvergabe muss für den Patienten erkennbar sein.
c) Keine rechtzeitige Absage
Der Patient muss den Termin nicht oder nicht rechtzeitig abgesagt haben. Eine rechtzeitige Absagefrist sollte vertraglich festgelegt sein. In der Rechtsprechung haben sich Fristen von 24 bis 48 Stunden vor dem Termin als angemessen etabliert.
d) Kein Ersatzpatient
Der Behandler muss nachweisen können, dass der ausgefallene Termin nicht anderweitig vergeben werden konnte und ihm dadurch ein finanzieller Schaden entstanden ist. Dies kann beispielsweise durch eine entsprechende Dokumentation der Terminplanung erfolgen .
3. Höhe des Ausfallhonorars
Die Höhe des Ausfallhonorars richtet sich nach der vereinbarten Vergütung für die ausgefallene Behandlung. Gemäß § 615 Satz 2 BGB muss sich der Behandler jedoch das anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
In der Praxis haben sich verschiedene Methoden zur Berechnung des Ausfallhonorars etabliert:
- Kalkulatorische Berechnung: Anhand der Gebühren für die geplanten Leistungen, die an dem betreffenden Termin erbracht worden wären .
- Durchschnittlicher Praxisgewinn: Berechnung des durchschnittlichen Praxisgewinns bezogen auf die geplante Dauer des Behandlungstermins.
- Stundenkostensatz der Praxis: Anwendung des durchschnittlichen Stundenkostensatzes der Praxis.
- Pauschalvereinbarung: Vertragliche Vereinbarung eines konkreten und angemessenen Betrags für den Fall des Nichterscheinens.
Wichtig ist, dass die Berechnung transparent und nachvollziehbar ist. Eine überhöhte oder nicht nachvollziehbare Pauschale kann als unangemessene Benachteiligung des Patienten angesehen werden und somit unwirksam sein.
4. Gestaltung der Ausfallhonorarvereinbarung
Um die Wirksamkeit einer Ausfallhonorarvereinbarung sicherzustellen, sollten folgende Punkte beachtet werden:
- Transparenz: Die Vereinbarung muss klar und verständlich formuliert sein.
- Hinweis auf Ausfallhonorar: Der Patient muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass bei Nichterscheinen ohne rechtzeitige Absage ein Ausfallhonorar fällig wird.
- Angemessene Absagefrist: Die Frist, bis zu der der Patient den Termin absagen kann, sollte angemessen und praxisgerecht sein (z. B. 24 oder 48 Stunden).
- Höhe des Ausfallhonorars: Die Höhe sollte angemessen sein und sich an den tatsächlichen Kosten orientieren.
- Anerkennung durch den Patienten: Idealerweise sollte der Patient die Vereinbarung schriftlich anerkennen, beispielsweise durch Unterschrift bei der Terminvereinbarung oder im Anamnesebogen.
5. Durchsetzbarkeit und Rechtsprechung
Die Rechtsprechung zur Durchsetzbarkeit von Ausfallhonoraren ist uneinheitlich. Während einige Gerichte die Geltendmachung eines Ausfallhonorars unter den oben genannten Voraussetzungen bejahen, lehnen andere Gerichte dies ab, insbesondere wenn die Vereinbarung nicht transparent oder die Absagefrist unangemessen lang ist.
Ein bedeutendes Urteil in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. Mai 2022 (Az. III ZR 78/21).
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2022, Aktenzeichen III ZR 78/21, behandelt die Frage der Ausfallpauschale für kurzfristig abgesagte Termine in einer Ergotherapiepraxis, insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung minderjähriger Kinder.
Der BGH stellte klar, dass § 615 BGB gemäß § 630b BGB grundsätzlich auf Behandlungsverträge im Sinne des § 630a BGB anwendbar ist und ein Ausfallhonorar unter bestimmten Bedingungen verlangt werden kann, wenn der Patient ohne rechtzeitige Absage nicht zum vereinbarten Termin erscheint .
6. Praktische Empfehlungen für die Praxis
- Dokumentation: Führen Sie eine genaue Dokumentation der Terminvereinbarungen und der ausgefallenen Termine.
- Kommunikation: Informieren Sie Ihre Patienten klar und verständlich über die Konsequenzen eines nicht rechtzeitig abgesagten Termins.
- Vertragliche Vereinbarungen: Integrieren Sie eine Ausfallhonorarklausel in Ihren Behandlungsvertrag oder lassen Sie sich eine entsprechende Vereinbarung vom Patienten unterschreiben.
- Flexibilität: Berücksichtigen Sie individuelle Umstände, wie plötzliche Erkrankungen oder unvorhersehbare Ereignisse, und zeigen Sie gegebenenfalls Kulanz.
Fazit
Die Geltendmachung eines Ausfallhonorars bei nicht rechtzeitiger oder unterbliebener Absage eines Behandlungstermins ist unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig. Eine sorgfältige Gestaltung der Vereinbarungen und eine transparente Kommunikation mit den Patienten sind dabei entscheidend. Dennoch bleibt die Durchsetzbarkeit im Einzelfall von der konkreten Ausgestaltung und der jeweiligen gerichtlichen Bewertung abhängig.