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Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bestehen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern?

Frage des Tages
04.03.2021

Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bestehen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern?

Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (BAG, Beschl. v. 28.07.2020 – 1 ABR 45/18 m. Anm. Lohse, DB 2021, 458). Demnach löst sowohl die Einstellung von Leiharbeitnehmern wie auch deren konkreter Einsatz in einem Schichtsystem des Betriebs des Entleihers Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus. Auch bei einer nur vorläufigen Umsetzung dieser personellen Einzelmaßnahme (siehe dazu § 100 BetrVG) wird das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht suspendiert.

In den Gründen der Entscheidung des BAG heißt es:

„a) Die Arbeitgeberin hat durch die Anlassfälle das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt.

  1. aa) Die Zuordnung der Leiharbeitnehmer zu den nach Ziff. IV Nr. 2.1 Buchst. a BV ArbZ iVm. in deren Anlage 3 festgelegten Schichten unterfällt als Festlegung der konkreten Lage und der Verteilung der Arbeitszeit sowie der Pausen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Das bei einer – und sei es nur kurzzeitigen – Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers in einem Entleiherbetrieb dem dortigen Betriebsrat zustehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (vgl. ausf. BAG 15. Dezember 1992 – 1 ABR 38/92 – zu B II 3 der Gründe, BAGE 72, 107) greift auch hinsichtlich neu eingestellter (Leih-)Arbeitnehmer (vgl. BAG 22. Oktober 2019 – 1 ABR 17/18 – Rn. 21; 22. August 2017 – 1 ABR 4/16 – Rn. 20, BAGE 160, 49). Insoweit fehlt es weder an einem kollektiven Tatbestand noch wird das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG durch die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats in den personellen Angelegenheiten verdrängt (ausf. BAG 22. August 2017 – 1 ABR 4/16 – Rn. 21 bis 23, BAGE 160, 49). Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin kommt es auch nicht darauf an, ob sie einen „Schichtplan“ aufstellt. Die vorliegend von ihr geltend gemachten Einwände geben dem Senat keinen Anlass, seine ständige Rechtsprechung (vgl. zuletzt BAG 22. Oktober 2019 – 1 ABR 17/18 – Rn. 21 mwN) in Frage zu stellen.

(1) Weder die Gesetzessystematik noch die Entstehungsgeschichte bieten Anhaltspunkte für ein eingeschränktes Verständnis des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Soweit die Arbeitgeberin auf die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 52) verweist, lässt sich diesen für § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nichts entnehmen. Die dortigen Ausführungen beziehen sich ausdrücklich nur auf die Durchführung vorläufiger personeller Maßnahmen, nicht jedoch auf das erzwingbare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Arbeitszeit.

(2) Der Einwand der Arbeitgeberin, das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Arbeitszeit neu eingestellter (Leih-)Arbeitnehmer habe zur Folge, dass § 100 BetrVG bei einer „Einstellung in einen Schichtbetrieb mit Dauerschichtdienst“ leerlaufe, greift ebenfalls nicht durch. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten nach § 99 BetrVG einerseits und in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG andererseits beziehen sich auf unterschiedliche Regelungsgegenstände. Dementsprechend gelten für sie jeweils eigene Konfliktlösungsmechanismen. Die durch § 100 BetrVG vermittelte Gestattung zur Durchführung einseitiger Maßnahmen beschränkt sich ausschließlich auf die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich zustimmungspflichtige Einstellung im Sinne einer Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb und erfasst nicht die – der weitergehenden erzwingbaren Mitbestimmung unterliegende – Zuteilung des Arbeitnehmers zu den im Betrieb geltenden Schichtzeiten. Daher entbindet die dem Arbeitgeber durch § 100 BetrVG eingeräumte Befugnis, eine Einstellung vorläufig durchzuführen, ihn nicht davon, vor einer tatsächlichen Beschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten.

(3) Die Rechtsprechung des Senats führt auch nicht zu praktisch untragbaren Ergebnissen. Zwar darf eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegt, erst nach dessen Zustimmung oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle durchgeführt werden. Auch räumt das Gesetz im Bereich der sozialen Angelegenheiten dem Arbeitgeber selbst bei Eil- und Sonderfällen weder eine einseitige Regelungsbefugnis ein noch gewährt es ihm die Möglichkeit, eine von § 87 Abs. 1 BetrVG erfasste Maßnahme vorläufig durchzuführen (vgl. dazu BAG 8. Dezember 2015 – 1 ABR 2/14 – Rn. 28, BAGE 153, 318). Allerdings bleibt es den Betriebsparteien und damit auch einer im Fall der Nichteinigung von ihnen ggf. angerufenen Einigungsstelle grundsätzlich unbenommen, bei der Ausgestaltung der nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmten Angelegenheit – zu der auch eine ggf. sehr kurzfristig erforderliche Schichtzuteilung zählt – etwaigen spezifischen betrieblichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und das Vorliegen einer Zustimmung des Betriebsrats festzulegen, wenn sich dies auf eine eng begrenzte, hinreichend konkret beschriebene und ggf. häufig auftretende Fallgestaltung bezieht. Bei einer Beschränkung der „Vorabzustimmung“ auf derartige dringende betriebliche Konstellationen werden dem Arbeitgeber keine den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG betreffende einseitige Entscheidungsbefugnisse eingeräumt (vgl. auch BAG 22. Oktober 2019 – 1 ABR 17/18 – Rn. 33).

  1. bb) Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG scheidet vorliegend nicht deshalb aus, weil der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht bei der Zuteilung von Leiharbeitnehmern zu den in der Anlage 3 zur BV ArbZ festgelegten Schichten bereits ausgeübt hat. Die nach ihrer Ziff. I Nr. 2 für alle „Arbeitnehmer des Betriebs“ (mit Ausnahme der leitenden Angestellten) und damit auch für Leiharbeitnehmer, die im Lager tätig sind, geltende BV ArbZ regelt die konkrete Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu den Schichten nicht. In ihr sind auch keine Verfahrensgrundsätze für eine solche Schichtzuteilung festgelegt, die von der Arbeitgeberin lediglich umgesetzt werden müssten. Ziff. IV Nr. 3.2 BV ArbZ enthält nur Vorgaben für einen Schichttausch und einen Schichtwechsel.
  2. cc) Eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil – wie die Arbeitgeberin geltend gemacht hat – ihr die jeweiligen Vertragsarbeitgeber der Leiharbeitnehmer stets mitteilen, zu welcher Schichtzeit der einzelne Leiharbeitnehmer eingesetzt werden könne. Ungeachtet dessen, dass die Arbeitgeberin nach ihrem eigenen Vortrag diese Vorgaben „nicht ausnahmslos“, sondern nur „in der Regel“ berücksichtigt, fehlt es in diesen Fällen selbst dann nicht an einer das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösenden Zuordnungsentscheidung der Arbeitgeberin, wenn sie sich stets hiernach richten sollte. Sofern die Arbeitgeberin die Leiharbeitnehmer bereits bei den Entleihunternehmen schichtbezogen anfordern sollte, legt sie damit deren Arbeitszeiten iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG fest. Sollten die Leiharbeitnehmer von den Entleihunternehmen nur schichtbezogen zur Verfügung gestellt werden, bestimmt die Arbeitgeberin mit dem Einsatz und der dadurch bedingten Inkaufnahme einer vom Verleiher bzw. ggf. vom Leiharbeitnehmer vorgegebenen Einsatzzeit automatisch die Zuordnung dieser Arbeitnehmer zu den Schichtzeiten nach der Anlage 3 zur BV ArbZ. Damit trifft sie eine Maßnahme iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, die den notwendigen kollektiven Bezug aufweist (vgl. schon BAG 22. Oktober 2019 – 1 ABR 17/18 – Rn. 22).
  3. dd) Aus dem rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 8. Februar 2018 ergibt sich vorliegend nichts anderes.

(1) Die Rechtskraft dieser Entscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO (vgl. zur Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren BAG 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 88, BAGE 144, 1) bezieht sich – trotz des gleichen „Klagegrundes“ – auf einen anderen „prozessualen Anspruch“ und damit einen anderen Verfahrensgegenstand als den vorliegend vom Betriebsrat angebrachten. Denn der mit dem dortigen Unterlassungsantrag begehrte Verbotsausspruch erfasste keine künftig der Arbeitgeberin zu untersagenden Handlungen, sondern nur solche bis zur gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

(2) Eine Bindungswirkung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität.

(a) Rechtskräftige Urteile und Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, als über den durch die Klage oder den Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils bzw. Beschlusses, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Entscheidungselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst. Bei einem Unterlassungsantrag besteht die begehrte Rechtsfolge in dem Verbot einer bestimmten – als rechtswidrig angegriffenen – Verhaltensweise (Verletzungsform), die der Antragsteller in seinem Antrag abstrahierend beschreiben muss. Wird der Antrag abgewiesen, steht damit die Berechtigung des Inanspruchgenommenen zu dem vom Antrag umfassten Handeln fest (vgl. BAG 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 89 f. mwN, BAGE 144, 1).

(b) Die Bindungswirkung des Beschlusses vom 8. Februar 2018 erfasst demgemäß nur die Befugnis der Arbeitgeberin, vom Zeitpunkt des Anhörungstermins im einstweiligen Verfügungsverfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leiharbeitnehmer auch ohne Mitbestimmung des Betriebsrats in die Schichten nach der BV ArbZ einzuteilen. Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die die vom Landesarbeitsgericht verneinte Vorfrage, ob die Arbeitgeberin bei den Anlassfällen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt hat. Der aus § 87 Abs. 1 BetrVG folgende allgemeine Unterlassungsanspruch erfordert als Tatbestandsvoraussetzungen sowohl eine Verletzungshandlung als auch eine Wiederholungsgefahr (vgl. BAG 22. August 2017 – 1 ABR 5/16 – Rn. 11). Der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG stellt daher nur ein vorgreifliches – nicht in Rechtskraft erwachsendes – Element für die ausgesprochene Rechtsfolge dar.

  1. b) Dem Betriebsrat steht unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG gegen zu erwartende weitere Verletzungen seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein Unterlassungsanspruch gegen die Arbeitgeberin zu.
  2. aa) Das Landesarbeitsgericht geht zu Unrecht davon aus, „im Anwendungsbereich des § 100 BetrVG“ sei bei einer Verletzung von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für den Betriebsrat kein allgemeiner betriebsverfassungsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegeben. Es verkennt, dass die Norm des § 100 BetrVG dem Arbeitgeber lediglich erlaubt, personelle Maßnahmen iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorläufig durchzuführen; sie entbindet ihn jedoch nicht von der Einhaltung ggf. weiterer Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Unabhängig davon missversteht das Landesarbeitsgericht auch die Ausführungen des Senats, wonach es für die Bejahung eines Unterlassungsanspruchs ua. auf die „konkrete gesetzliche Ausgestaltung“ der einzelnen Mitbestimmungstatbestände ankommt (vgl. BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – zu II B III 1 der Gründe, BAGE 76, 364). Maßgebend ist lediglich, ob die Ausgestaltung des spezifischen Mitbestimmungsrechts die Anerkennung eines dieses Recht sichernden Unterlassungsanspruchs erfordert. Dies ist bei den erzwingbaren Mitbestimmungstatbeständen nach § 87 Abs. 1 BetrVG der Fall.
  3. bb) Die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Die durch die Anlassfälle indizierte Wiederholungsgefahr liegt vor. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat seit November 2017 vor einem Einsatz von Leiharbeitnehmern um Zustimmung zu deren Schichteinteilung bittet, steht dem nicht entgegen. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt lässt bereits nicht erkennen, dass die Arbeitgeberin seit dieser Zeit eine Beschäftigung der Leiharbeitnehmer erst nach (ggf. ersetzter) Zustimmung des Betriebsrats vornimmt. Unabhängig davon führt sie das Mitbestimmungsverfahren nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ausdrücklich nur „vorsorglich“ und damit ohne Anerkennung einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung durch.
  4. cc) Die Zuerkennung des Unterlassungsanspruchs verletzt die Arbeitgeberin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die mögliche Beeinträchtigung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durch mitbestimmte Regelungen über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ist die im Gesetz angelegte Folge des Bestehens von Mitbestimmungsrechten. Der Unterlassungsanspruch vereitelt auch nicht den „Kern der Unternehmensführung“ der Arbeitgeberin. Die Beschäftigung neu eingestellter Leiharbeitnehmer wird nicht gänzlich untersagt, sondern ist von einer mitbestimmten oder über die Einigungsstelle erzwingbaren Regelung der Betriebsparteien abhängig (ausf. dazu BAG 22. August 2017 – 1 ABR 4/16 – Rn. 29 ff., BAGE 160, 49).“
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Steffen Pasler
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