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Arbeitsrecht

Betriebsänderung (§ 111 BetrVG)

Der Begriff der Betriebsänderung i.S.v. § 111 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist entscheidend für die Anwendbarkeit der Vorschriften über den Interessenausgleich und den Sozialplan (§ 112 BetrVG) und dementsprechend für das Vorliegen eines etwaigen Nachteilsausgleichsanspruchs gem. § 113 BetrVG.

Zudem billigt § 111 S. 1 BetrVG dem Betriebsrat (BR) einen Unterrichtungs- und Beratungsanspruch gegenüber dem Unternehmer zu.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Ansprüche des BR aus §§ 111 f. BetrVG ist jedoch, dass ein BR besteht und im Unternehmen i.d.R. mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer (§ 7 BetrVG) beschäftigt werden. Außerdem muss die Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben.

  • Nach der Rechtsprechung indiziert das Vorliegen der Tatbestände von S. 3 Nr. 1-5 das Vorliegen wesentlicher Nachteile (vgl. den Wortlaut des § 111 S. 3 „Betriebsänderung i.S.d. Satzes 1“; BAG, Urt. v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09 -, BAGE 136, 140, Rn. 13, juris).
  • Erhebliche Teile der Belegschaft sind bei der Erreichung der Schwellenwerte des § 17 I KSchG, die mindestens 5% der Belegschaft darstellen müssen, betroffen (BAG, Beschl. v. 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 -, BAGE 117, 296, Rn. 18).

Was als Betriebsänderung i.S.v. § 111 S. 1 BetrVG anzusehen ist, normiert § 111 S. 3 Nr. 1-5 BetrVG.

Nr. 1:   Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen

  • Eine tatbestandliche Einschränkung ist gegeben, wenn der Betriebszweck weiterverfolgt wird, dies aber unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht (z. B. Außerbetriebnahme von Anlagen/Maschinen).
  • Eine Stilllegung liegt vor, wenn auf Grund eines ernstlichen und endgültigen Willensentschlusses des Unternehmens der Betriebszweck unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte Zeit aufgegeben wird.
  • Ob ein Betriebsteil in diesem Zusammenhang als wesentlich anzusehen ist, wird nach der Rechtsprechung anhand der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer des Gesamtbetriebs ermittelt. Herangezogen werden dabei die Schwellenwerte des § 17 I KSchG, wobei jedoch mindestens 5% der Belegschaft erfasst sein müssen (BAG, Beschl. v. 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 -, BAGE 117, 296, Rn. 18)

Nr. 2:   Verlegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile

  • Eine Verlegung stellt dabei jede wesentliche Veränderung der örtlichen Lage dar.
  • Für den wesentlichen Betriebsteil gilt hier das oben gesagte.

Nr. 3:   Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder Spaltung von Betrieben

  • Ein Zusammenschluss liegt dann vor, wenn sich die Leitungsorganisation mehrerer Betriebe vereinheitlichen. Dies kann unternehmensintern, aber auch übergreifend (Bildung eines sog. „Gemeinschaftsbetriebs“) gestaltet sein.
  • Eine Betriebsspaltung liegt hingegen vor, wenn eine Änderung der Organisationsstruktur oder eine Übertragung auf einen anderen Inhaber erfolgt. Ob sich letzteres nach § 613a BGB oder dem Umwandlungsgesetz vollzieht ist irrelevant.

Nr. 4:   grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen

  • Eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation liegt bei einer vollständigen Änderung des Betriebsaufbaus bzw. der Gliederung des Betriebs oder der Zuständigkeit vor (z. B. Dezentralisation oder Einführung von Gruppenarbeit).
  • Die grundlegende Änderung des Betriebszwecks setzt eine nachhaltige Änderung der arbeitstechnischen Zwecksetzung voraus (z. B. Umstellung der Produktion von Motorrädern auf Kraftwagen).
  • Eine grundlegende Änderung von Betriebsanlagen vollzieht sich z.B. bei der Umstellung auf völlig neue Maschinen, beim Übergang von Bedienung durch Mitarbeiter zur Selbstbedienung der Kunden im Einzelhandel, etc.

Nr. 5:   Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

  • Eine Unterscheidung zu Nr. 4 fällt schwierig. Nr. 5 stellt mehr als Nr. 4 auf die Verwertung menschlicher Arbeitskraft ab.

BAG, Beschl. v. 08.02.2022 – 1 ABR 2/21:

„Wird in einem bislang betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat erst gebildet, nachdem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, steht dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu.“

Siehe auch den Beitrag von Salamon in NZA 2022, 821 ff. [„Betriebsstillegung oder -einschränkung ohne Personalabbau als Betriebsänderung nach § 111 BetrVG“].

(Letzte Aktualisierung: 14.07.2022)