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Gesundheit / Medizinrecht

Grober Behandlungsfehler

Ein grober Behandlungsfehler setzt im Bereich der Arzthaftung nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (so etwa BGH, Urt. v. 19.06.2001 – VI ZR 286/00).

Das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers führt gemäß § 630h Abs. 5 BGB zu einer Beweislastumkehr; der Arzt muss dann beweisen, dass der grobe Behandlungsfehler nicht ursächlich für den Schaden beim Patienten war.

BGH, Urt. v. 24.05.2022 – VI ZR 206/21, NJW 2022, 2747 [auch zur Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität grober Behandlungsfehler (hier: Unterlassen der therapeutischen Information) und zum Zurechnungszusammenhang unter Schutzzweckgesichtspunkten]:

„Ein Behandlungsfehler ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können (Senatsurteil vom 26. Juni 2018 – VI ZR 285/17, VersR 2018, 1192 Rn. 18 mwN).

Die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob zu bewerten ist, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung. Revisionsrechtlich ist insoweit nur nachprüfbar, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt und ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 26. Juni 2018 – VI ZR 285/17, VersR 2018, 1192 Rn. 19 mwN).“

LG Frankfurt (Oder), Urt. v. 01.12.2019 – 11 O 309/11:

„Die Häufung der von den Gutachtern aufgezählten Behandlungsfehler führt im Ergebnis dazu, dass ein grober Behandlungsfehler anzunehmen ist. Folglich werden die von der Klägerin vorgetragenen Leiden als Folge der Behandlungsfehler vermutet.“

OLG Oldenburg, Urt. v. 24.10.2018 – 5 U 102/18:

„1. Hat der Operateur den Verdacht, dass die Trokarspitze im Kniegelenk des Operierten verblieben ist, muss er diesem Verdacht umgehend nachgehen. Verzichtet er darauf, begeht er einen groben Behandlungsfehler.

  1. Jedenfalls im Falle bedingten Vorsatzes oder gröbster Fahrlässigkeit ist das Verschulden des Schädigers auch bei ärztlichen Behandlungsfehlern mit Blick auf die erforderliche Genugtuung des Patienten schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.“

Der Tenor der Entscheidung (Ziffer 1) lautet:

„1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 11. Mai 2018, Az. 2 O 788/17 geändert und werden die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zur Höhe von 1.335,07 Euro jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.05.2016 zu zahlen. Im Übrigen werden Berufung und Anschlussberufung zurückgewiesen.“

OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2018 – 3 U 63/15:

„Grob ist ein Behandlungsfehler dann, wenn er aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, NJW 2012, 227f; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Auflage 2015, Abschnitt XI Rdn. 72). Die Beurteilung hat dabei stets das gesamte Behandlungsgeschehen zum Gegenstand, so dass auch mehrere Einzelfehler, die für sich genommen nicht besonders schwer wiegen, in der Gesamtwürdigung einen groben Behandlungsfehler begründen können (BGH, NJW 2011, 3442; Katzenmeier, a.a.O., Abschnitt XI Rdn. 73).“

(Letzte Aktualisierung: 10.01.2023)