Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Eine online erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „ohne Gespräch“ entspricht nicht den Voraussetzungen der in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F. vom 7.12.2023 niedergelegten medizinischen Standards. Die Verwendung einer solchen Bescheinigung istentbehrlich, eine fristlose Kündigung gerechtfertigt. Das hat das LAG Hamm am 5.9.2025 (- 14 SLa 145/25) entschieden
Der Fall:
Der Kläger hatte sich bei der Beklagten für den Zeitraum vom 19. bis 23.08.2024 als arbeitsunfähig erkrankt gemeldet. Dazu erwarb er im Internet kostenpflichtig eine Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit. Auf der Website des Online-Anbieters wurde ein „AU-Schein ohne Gespräch“ und ein „AU-Schein mit Gespräch“ angeboten, wobei die Bescheinigung mit Gespräch mit höheren Kosten verbunden war. Zudem befand sich dort der Zusatz: „Beim AU-Schein OHNE Arztgespräch solltest Du Deinen Arbeitgeber sofort um Akzeptanz der AU bitten, insb. wenn er misstrauisch ist.“
Die Bescheinigung entsprach dem Vordruck, der vor Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber in Papierform vorgesehen war. Die auf den Namen des Klägers und unter Nennung von Adresse, Geburtsdatum und gesetzlicher Krankenkasse ausgestellte Bescheinigung vom 21.8.2024 enthielt die Angaben, dass es sich um eine Erstbescheinigung handele, der Kläger seit dem 19.8.2024 arbeitsunfähig sei und wies unter dem Feld „Arzt-Nr.“ die Bezeichnung „Privatarzt“ aus.
Die Beklagte versuchte erfolglos, über den elektronischen Datenaustausch mit der Krankenkasse elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abzurufen. Denn diese lagen nicht vor. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos.
Das Arbeitsgericht hat der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Der nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche wichtige Grund liege nicht vor.
Die Entscheidung:
Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Vorlage der im Internet erworbenen AU-Bescheinigung war „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Durch die Vorlage dieser Bescheinigung zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit suggerierte der Kläger der Beklagten bewusst wahrheitswidrig, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stellte eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als „an sich“ wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, war insoweit unerheblich.
Die Bescheinigung erweckte für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung verstärkt die Annahme eines ärztlichen Kontakts. Dem Kläger war auch bewusst, dass kein ärztlicher Kontakt stattgefunden hatte, ein solcher Eindruck aber durch die vorgelegte Bescheinigung bei der Beklagten erweckt werden konnte. Ihm war bekannt, dass entgegen des Inhalts der Bescheinigung keine ärztliche Untersuchung stattgefunden hatte. Zudem wurde ihm durch die Hinweise auf der Website unmissverständlich vor Augen geführt, dass es sich um eine gegen Gebühr erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelte, die nicht nach den allgemeinen medizinischen Grundregeln zustande gekommen war.
Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – nicht zumutbar. Eine Abmahnung war aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes entbehrlich.
