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Welche Grundsätze gelten bei einer (möglichen) Störung der Geschäftsgrundlage bei einer Grundstücksübertragung mit kombinierter Pflegevereinbarung?

Frage des Tages
30.12.2021

Welche Grundsätze gelten bei einer (möglichen) Störung der Geschäftsgrundlage bei einer Grundstücksübertragung mit kombinierter Pflegevereinbarung?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu einem möglichen Fall von § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) entschieden (BGH, Urt. v. 09.07.2021 – V ZR 30/20, NJW-RR 2021, 1382 = MDR 2021, 1526 = FamRZ 2021, 1846 = L&L 2022, 1). Im Leitsatz des Urteils heißt es:

„Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.“

Ergänzende Hinweise

Der BGH hat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif war (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

„1. Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dafür kommt es nicht darauf an, welche Vertragspartei welchen Anteil an dem Zerwürfnis trägt. In der Regel tragen nämlich beide Vertragsparteien ihren Anteil daran und es lässt sich auch durch eine Beweisaufnahme kaum aufklären, ob der Anteil des einen oder des anderen überwiegt. Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist die eingetretene Zerrüttung, die ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar macht.

  1. Der Übertragende kann in diesem Fall die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.
    a) Es ist anerkannt, dass sich die betroffene Partei auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn sie nicht schutzwürdig ist (vgl. MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 75; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 313 Rn. 22, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Dafür reicht es bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung jedoch nicht aus, dass der Übertragende überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden. Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten zu der Zerrüttung des Verhältnisses beitragen und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt werden kann, ist dem Übertragenden das Festhalten an dem Vertrag trotz der Zerrüttung nur dann zumutbar, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise allein anzulasten ist.
    b) Für diesen Ausnahmefall ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Für die Umstände, auf die die Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützt werden soll, trägt zwar derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich darauf beruft (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2002 – V ZR 398/01, NJW 2003, 510). Steht bei einem Grundstücksübertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung aber fest, dass das Verhältnis der Beteiligten zerrüttet ist, muss der Übernehmende die für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen, dass der Übertragende sich ausnahmsweise nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann (zur Beweislast bei § 323 Abs. 6 BGB vgl. MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 323 Rn. 293; Staudinger/Schwarze, BGB [2020], § 323 Rn. E 9).
  2. Sollten danach die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben sein, hat das Berufungsgericht – auf der Grundlage des gegebenenfalls noch zu ergänzenden Sachvortrags der Parteien – zu prüfen, ob der Kläger die Auflösung des Vertrags verlangen kann, weil ihm die vorrangige Vertragsanpassung nicht möglich oder ihm bzw. der Beklagten nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB). Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung könnte eine Zahlung in Geld durch die Beklagte anstelle der Sach- und Dienstleistungen in Betracht kommen, entweder in Form einer Rentenzahlung, wenn sie gesichert ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 1981 – V ZR 152/79, WM 1981, 657; Urteil vom 23. September 1994 – V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78; Urteil vom 1. Februar 2002 – V ZR 61/01, NJW-RR 2002, 853, 854; zur Sicherung einer Leibrente durch Reallast vgl. BayObLG, DNotZ 1980, 94, 95), oder in Form eines Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten würde. Dabei wäre gegebenenfalls zu berücksichtigen, ob, was in der mündlichen Revisionsverhandlung zur Sprache gekommen ist, auch das Wohnrecht des Klägers durch eine Geldzahlung abgegolten werden müsste, weil das Verhältnis zwischen den Parteien derart zerrüttet sein könnte, dass es ihm nicht mehr zumutbar ist, mit der Beklagten unter einem Dach zusammenzuleben.

Sollte eine Vertragsanpassung in Form von Geldleistungen nicht möglich bzw. dem Kläger wegen der finanziellen Verhältnisse der Beklagten nicht zumutbar sein, könnte er die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums an dem Hausgrundstück von der Beklagten verlangen (§ 313 Abs. 3 BGB; vgl. auch Senat, Urteil vom 23. September 1994 – V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78 mwN). Das bedeutete nicht die Entstehung eines Rückgewährschuldverhältnisses nach § 346 BGB (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB), sondern, weil der Vertrag wegen der Pflegeverpflichtung Elemente eines Dauerschuldverhältnisses enthält (§ 313 Abs. 3 Satz 2 BGB), die Auflösung des Vertrags mit Wirkung ex nunc mit der Folge, dass die Beklagte das Grundstück zurückzuübertragen hätte und von ihrer Pflegeverpflichtung befreit würde (vgl. Senat, Urteil vom 23. September 1994 – V ZR 113/93, aaO).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt der Kläger (vgl. BeckOGK/Martens, BGB [1.4.2021], § 313 Rn. 162).“

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