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Sozialrecht

Abfindung

Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung durch den Arbeitgeber ist nur in ganz seltenen Fällen gesetzlich geregelt, so z. B. nach § 1a und gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Es gibt keinen „pauschalen“ bzw. allgemeinen Anspruch auf Abfindung zugunsten des Arbeitnehmers, auch nicht bei langjährigen Beschäftigungsverhältnissen!

Keine Abfindung ist grundsätzlich u. a. im Kleinbetrieb zu zahlen, da hier kein Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz besteht. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Kündigungsgrund nach dem KSchG besteht. Beides kann häufig nur durch einen Rechtsanwalt beurteilt werden.

Die Höhe der etwaig vom Arbeitgeber zu zahlenden Abfindung hängt in der Praxis im Wesentlichen davon ab, ob dem Arbeitgeber ein Recht zur Kündigung zustand oder nicht bzw. wie hoch die rechtlichen Risiken für die jeweilige Seite sind. Ist die Kündigung des Arbeitgebers für diesen weitgehend risikolos, ist die Abfindung entsprechend niedrig anzusetzen, ggf. ist auch gar keine Abfindung zu zahlen!

Für die Rechtspraxis hat sich eine „Faustformel“ entwickelt, welche aber immer auf den Einzelfall hin anzupassen ist: Pro Beschäftigungsjahr ein halbes Brutto-Monatsgehalt. Diese Faustformel setzt grundsätzlich voraus, dass sich die arbeitgeberseitige Kündigung für den Arbeitgeber als risikobehaftet darstellt (s. o.).

BAG, Urt. v. 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 [zu §§ 9, 10 KSchG]:

„Der Arbeitgeber kann sich zur Begründung eines Auflösungsantrags nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Gründe berufen, auf die er zuvor – erfolglos – die Kündigung gestützt hat. Allerdings muss er im Einzelnen vortragen, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen.“

BAG, Urt. v. 19.07.2016 – 2 AZR 536/15 [zu § 1a KSchG]:

„Zwar schließt es die Vorschrift des § 1a KSchG nicht aus, dass der Arbeitgeber eine Abfindung auf anderer Grundlage verspricht oder sich darauf beschränkt, im Kündigungsschreiben rein deklaratorisch auf kollektivrechtliche Bestimmungen zu verweisen, aus denen ein Abfindungsanspruch bei Verlust des Arbeitsplatzes folgt. Der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aber aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 340/06 – Rn. 18, BAGE 123, 121). Enthält dieses einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG (vgl. BAG 13. Dezember 2007 – 2 AZR 663/06 – Rn. 21, BAGE 125, 191).“

BSG, Urt. v. 30.08.2018 – B 11 AL 16/17 R:

„Zur Anwendung der fiktiven Kündigungsfrist von einem Jahr gem. § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III reicht es nicht aus, wenn die Möglichkeit besteht, auf betriebsverfassungsrechtlicher Grundlage gegen eine nicht unerhebliche Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, da dies nicht bereits das Recht des Arbeitgebers, unter Zahlung der vorgesehenen Abfindung auch kündigen zu dürfen, begründet.“

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm schließlich hatte über einen ungewöhnlichen Fall zu entscheiden. Es ging um die Frage, ob ein Arbeitgeber einen Anspruch auf Rückzahlung einer an einen Arbeitnehmer geleisteten Abfindung über rund 265.000,00 Euro zusteht (LAG Hamm, Urt. v. 15.02.2022 – 6 Sa 903/21).

In der Presseerklärung des Gerichts v. 05.02.2022 heißt es dazu:

„Die Stadt Iserlohn hat keinen Anspruch auf Rückzahlung einer Abfindung in Höhe von rund 265.000,00 €, welche sie einem Verwaltungsangestellten im Rahmen eines am 24. Januar 2019 geschlossenen Aufhebungsvertrages zugesagt und später auch gezahlt hatte. Das hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm durch Urteil vom 15. Februar 2022 entschieden. Damit änderte sie das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 7. April 2021 (Aktenzeichen 1 Ca 737/20) ab. Das Arbeitsgericht hatte den ausgeschiedenen Arbeitnehmer in erster Instanz zur Rückzahlung der Abfindung in Höhe des zugesagten Bruttobetrages verurteilt, was Anlass des Berufungsverfahrens war. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.

Der beklagte Verwaltungsanstellte war seit Januar 2008 bei der Stadt Iserlohn gegen ein monatliches Tarifentgelt in Höhe von rund 3.700,00 € brutto beschäftigt. Nach Differenzen mit Vorgesetzten unter anderem wegen der Einführung eines neuen Schichtdienstmodells, bot die Stadt diesem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei rund siebenmonatiger bezahlter Freistellung und gegen Zahlung einer Abfindung von 250.000,00 € zuzüglich Steigerungsbeträgen bei vorzeitiger Beendigung an. Bei Aufhebung letztlich zum 30. April 2019 zahlte die Stadt eine Abfindung in Höhe von 264.800,00 € brutto. Es folgten die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, die Anordnung eines Vermögensarrests gegen den Beklagten in Höhe der Zahlung durch das Amtsgericht Hagen und das Eingreifen der Kommunalaufsicht. Gegen den im Kontext dieses Sachverhalts zurückgetretenen früheren Bürgermeister der Stadt Iserlohn, den damaligen Bereichsleiter Personal und den beklagten Arbeitnehmer ist zwischenzeitlich Anklage mit dem Tatvorwurf der Untreue bzw. der Beilhilfe zur Untreue erhoben worden.

Der parallel zum Strafverfahren im April 2020 anhängig gemachten Klage der Stadt auf Rückzahlung der Abfindung gab das Arbeitsgericht Iserlohn statt. Der Aufhebungsvertrag sei gemäß § 74 Abs. 3 Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG) NRW unwirksam. Die Stadt habe den Personalrat nicht ausreichend über die Inhalte des Aufhebungsvertrages informiert und insbesondere keine Angaben zur Höhe der Abfindung gemacht. Dies führe zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages und lasse den Rechtsgrund für die darauf geleisteten Zahlungen entfallen. Dem folgte das Landesarbeitsgericht nach der kurzen mündlichen Urteilsbegründung am Schluss der Sitzung nicht. Die mangelhafte Beteiligung des Personalrats gehe auf ein Versäumnis der Stadt zurück, weshalb sich diese auf eine daraus folgende Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages nicht berufen könne. Es sei auch nicht erkennbar, dass der beklagte Arbeitnehmer mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages gegen Strafgesetze oder die guten Sitten verstoßen habe. Selbiges könne allein aus einer im Vergleich zu den Gepflogenheiten öffentlicher Arbeitgeber ungewöhnlich hohen Abfindung nicht gefolgert werden. Vielmehr habe dieser das ihm vorteilhaft erscheinende Angebot annehmen dürfen (Aktenzeichen 6 Sa 903/21).“

(Letzte Aktualisierung: 18.02.2022)