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Fristlose Kündigung eines Kochs wegen Kirchenaustritts unwirksam

Aktuelles
18.02.2021

Fristlose Kündigung eines Kochs wegen Kirchenaustritts unwirksam

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Stuttgart hält die Kündigung eines Kochs, der in einer evangelischen Kindertagesstätte beschäftigt ist, wegen eines von ihm zuvor erklärten Kirchenaustritts für unwirksam (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2021 – 4 Sa 27/20).

In der Pressemitteilung des Gerichts v. 10.02.2021 heißt es:

„Die außerordentliche Kündigung eines Kochs in einer evangelischen Kindertagesstätte wegen Kirchenaustritts ist unwirksam. Die beklagte Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart betreibt ca. 51 Kindertageseinrichtungen mit rund 1.900 Kindern. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1995 als Koch in einer Kita beschäftigt. Der Kläger erklärte im Juni 2019 seinen Austritt aus der evangelischen Landeskirche. Nachdem die Beklagte von dem Austritt Kenntnis erlangt hatte,  kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos mit Schreiben vom 21. August 2019. Die Beklagte sieht ihr Handeln und Verständnis vom besonderen Bild der christlichen Dienstgemeinschaft geprägt. Mit dem Kirchenaustritt  verstoße der  Kläger  deshalb  schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätspflichten. Der Kläger hat vorgetragen, dass sich sein Kontakt mit den Kindern auf die Ausgabe von Getränken beschränkt habe. Auch mit dem pädagogischen Personal in der Kita habe er nur alle zwei Wochen in einer Teamsitzung Kontakt gehabt, wo es um rein organisatorische Probleme gegangen sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 12. März 2020 (22 Ca 5625/19) die Kündigung der Beklagten für unwirksam erklärt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 5. Mai 2020 Berufung eingelegt mit der sie weiterhin die Abweisung der Kündigungsschutzklage verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat wie das Arbeitsgericht Stuttgart die Kündigung der Beklagten für unwirksam erachtet und deshalb die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht schloss sich der Begründung des Arbeitsgerichts an. Die Loyalitätserwartung der Beklagten, dass der Kläger nicht aus der evangelischen Kirche austrete, stelle keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers dar.“

Ergänzende Hinweise

Die Entscheidung der Landesarbeitsgerichts liegt auf der Linie anderer Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit aus jüngerer Zeit, insbesondere entspricht es dem Urteil des BAG im „Chefarzt-Fall“ (BAG, Urt. v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14). Dort war dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses wegen dessen Wiederverheiratung gekündigt worden. In einem länger als zehn Jahre andauernden Rechtsstreit, der unter anderem vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wurde, unterlag der kirchliche Arbeitgeber ebenso wie im aktuellen Fall des LAG Stuttgart.

Letztlich sind für Fälle vergleichbarer Natur die Grundsätze maßgeblich, die der EuGH im Chefarzt-Fall aufgestellt hat (EuGH, Urt. v. 11.09.2018 – C-68/17). Danach gilt:

„1. Art. 4 Abs. 2 Un­terabs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ist da­hin aus­zu­le­gen, dass

– zum ei­nen ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht und die ei­ne in Form ei­ner pri­vat­recht­li­chen Ka­pi­tal­ge­sell­schaft ge­gründe­te Kli­nik be­treibt, nicht be­sch­ließen kann, an ih­re lei­tend täti­gen Beschäftig­ten je nach de­ren Kon­fes­si­on oder Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit un­ter­schied­li­che An­for­de­run­gen an das loya­le und auf­rich­ti­ge Ver­hal­ten im Sin­ne die­ses Ethos zu stel­len, oh­ne dass die­ser Be­schluss ge­ge­be­nen­falls Ge­gen­stand ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le sein kann, da­mit si­cher­ge­stellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie ge­nann­ten Kri­te­ri­en erfüllt sind, und

– zum an­de­ren bei An­for­de­run­gen an das loya­le und auf­rich­ti­ge Ver­hal­ten im Sin­ne des ge­nann­ten Ethos ei­ne Un­gleich­be­hand­lung zwi­schen Beschäftig­ten in lei­ten­der Stel­lung je nach de­ren Kon­fes­si­on oder Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit nur dann mit der Richt­li­nie im Ein­klang steht, wenn die Re­li­gi­on oder die Welt­an­schau­ung im Hin­blick auf die Art der be­tref­fen­den be­ruf­li­chen Tätig­kei­ten oder die Umstände ih­rer Ausübung ei­ne be­ruf­li­che An­for­de­rung ist, die an­ge­sichts des Ethos der in Re­de ste­hen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on we­sent­lich, rechtmäßig und ge­recht­fer­tigt ist und dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit ent­spricht, was das na­tio­na­le Ge­richt zu prüfen hat.

  1. Ein mit ei­nem Rechts­streit zwi­schen zwei Pri­vat­per­so­nen be­fass­tes na­tio­na­les Ge­richt ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das ein­schlägi­ge na­tio­na­le Recht im Ein­klang mit Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 aus­zu­le­gen, ver­pflich­tet, im Rah­men sei­ner Be­fug­nis­se den dem Ein­zel­nen aus den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Uni­ons­rechts wie ins­be­son­de­re dem nun­mehr in Art. 21 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on nie­der­ge­leg­ten Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung er­wach­sen­den Rechts­schutz zu gewähr­leis­ten und für die vol­le Wirk­sam­keit der sich dar­aus er­ge­ben­den Rech­te zu sor­gen, in­dem es er­for­der­li­chen­falls je­de ent­ge­gen­ste­hen­de na­tio­na­le Vor­schrift un­an­ge­wen­det lässt.“

Zusammengefasst: Innerhalb bestimmter, durch die Rechtsprechung definierter Grenzen dürfen kirchliche Arbeitgeber von ihren Beschäftigten Loyalität verlangen und demzufolge Verletzungen dieser Loyalitätspflicht auch mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses sanktionieren. Dies gilt aber nicht, wenn die Loyalitätserwartung des Arbeitgebers keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers darstellt. Dem Koch im Kindergarten wegen Kirchenaustritts zu kündigen geht demnach grundsätzlich nicht. Heiratet die Erzieherin einer Kindertagesstätte, die den Kindern Religionsunterricht erteilt, ein weiteres Mal, kann das schon anders aussehen. In letzterem Fall mag sich die Erzieherin einen religiös nicht gebundenen Arbeitgeber suchen.

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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

Mail: koeln@etl-rechtsanwaelte.de


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