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Ist ein Sportfotograf Arbeitnehmer i.S.d. § 611a BGB?

Ist ein Sportfotograf Arbeitnehmer i.S.d. § 611a BGB?
Frage des Tages
30.06.2022

Ist ein Sportfotograf Arbeitnehmer i.S.d. § 611a BGB?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit dem Status eines Sportfotografen befasst (BAG, Urt. v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, NZA 2022, 623 = NJW-Spezial 2022, 307). In diesem Zusammenhang beleuchtet das Gericht ausführlich die Reichweite von § 611a BGB in einem solchen Fall und stellt im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Pressefreiheit eine Besonderheit fest.

In den Entscheidungsgründen heißt es:

„1. In einem Kündigungsschutzverfahren hat das Gericht inzident zu prüfen, ob das Rechtsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG ist das Begehren festzustellen, dass ´das Arbeitsverhältnis´ durch die konkrete, mit der Klage angegriffenen Kündigung zu dem darin vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgegebenen Urteils steht deshalb regelmäßig zugleich fest, dass jedenfalls bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, das nicht zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst wurde. Besteht kein Arbeitsverhältnis, kann ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil nicht ergehen; vielmehr ist sie schon aus diesem Grund abzuweisen (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 27).

2. Das Landesarbeitsgericht ist im Wesentlichen von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, anhand deren der Senat ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines selbständigen Unternehmers abgrenzt (grundlegend hierzu BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 31 ff.). Diese ergeben sich seit dem 1. April 2017 aus § 611a Abs. 1 BGB, der eine Legaldefinition des Arbeitsvertrags enthält und damit zusammenhängend regelt, wer Arbeitnehmer ist.

a) Nach § 611a Abs. 1 BGB wird ein Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (Satz 1). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (Satz 2). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmten kann (Satz 3). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (Satz 4). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (Satz 5). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (Satz 6).

b) Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich danach von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung sind eng miteinander verbunden und überschneiden sich teilweise. Eine weisungsgebundene Tätigkeit ist in der Regel zugleich fremdbestimmt. Die Weisungsbindung ist das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB näher ausgestaltet ist. Es kann, muss aber nicht gleichermaßen Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Nur wenn jedwede Weisungsgebundenheit fehlt, liegt idR kein Arbeitsverhältnis vor. Das Kriterium der Fremdbestimmung erfasst insbesondere vom Normaltyp des Arbeitsvertrags abweichende Vertragsgestaltungen. Sie zeigt sich insbesondere in der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 31 mwN).

aa) Weisungsgebundenheit kann in verschiedenen Erscheinungsformen bestehen. In der Regel wird eine vertraglich nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht – dh. die dem Umfang nach bereits bestimmte Leistung des Beschäftigten – durch die Ausübung des Weisungsrechts konkretisiert. Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. § 106 Satz 2 GewO erkennt zusätzlich die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb als Gegenstand des Weisungsrechts an. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers korrespondiert mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Durch die Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 Satz 2 GewO wird regelmäßig erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Beschäftigte seine Arbeit leisten und das Rechtsverhältnis praktisch durchgeführt werden kann (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 33 mwN).

bb) In zeitlicher Hinsicht besteht eine Abhängigkeit von Weisungen, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung herangezogen wird, ihm also die Arbeitszeiten letztlich ´zugewiesen´ werden. Die ständige Dienstbereitschaft kann sich sowohl aus den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen der Parteien als auch aus der praktischen Durchführung der Vertragsbeziehungen ergeben. Die Einteilung eines Mitarbeiters in Organisations-, Dienst- und Produktionspläne ohne vorherige Absprache stellt ein starkes Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft dar (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 34 mwN).

cc) Allerdings können Weisungsrechte auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses bestehen. Weisungsgebundenheit iSv. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt voraus, dass der Beschäftigte in der Gestaltung seiner Tätigkeit nicht ´im Wesentlichen frei´ ist. Zeitliche Vorgaben oder die Verpflichtung, bestimmte Termine für die Erledigung der übertragenen Aufgaben einzuhalten, sind für sich allein kein wesentliches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis. Auch gegenüber einem freien Mitarbeiter können Termine für die Erledigung der Arbeit bestimmt werden, ohne dass daraus eine arbeitnehmertypische zeitliche Weisungsgebundenheit folgt. Zudem steht einem Auftraggeber gegenüber einem freien Mitarbeiter grundsätzlich das Recht zu, Anweisungen hinsichtlich des Arbeitsergebnisses zu erteilen. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist daher gegenüber dem Weisungsrecht für Vertragsverhältnisse mit Selbständigen und Werkunternehmern abzugrenzen. Die Anweisung gegenüber einem Selbständigen ist typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert und damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet. Im Unterschied dazu ist das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert geprägt. Es beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und zur Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind. Für die Bestimmung des Vertragstypus kommt es indiziell darauf an, inwieweit der Arbeitsvorgang durch verbindliche Anweisungen vorstrukturiert ist. Weisungen, die sich ausschließlich auf das vereinbarte Arbeitsergebnis beziehen, können auch gegenüber Selbständigen erteilt werden. Wird die Tätigkeit aber durch den ´Auftraggeber´ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten ´Arbeitsergebnisses´ faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, so kann auch darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 35 mwN).

dd) In die Beurteilung, ob der – für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche – Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht ist, ist nach § 611a Abs. 1 Satz 4 BGB die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit einzubeziehen. Die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild können den zugrundeliegenden Vertragstyp ebenso beeinflussen wie die Organisation der zu verrichtenden Arbeiten. Bestimmte Tätigkeiten lassen sich sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem Werk- oder freien Dienstvertrag verrichten, während andere regelmäßig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Bei untergeordneten, einfachen Arbeiten besteht eher eine persönliche Abhängigkeit als bei gehobenen Tätigkeiten (BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 37 mwN).

ee) Soweit § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anordnet, haben die Gerichte für Arbeitssachen bei ihrer Entscheidungsfindung verfassungsrechtlichen Wertungen Rechnung zu tragen. Ist der Dienstberechtigte – wie im Streitfall die Beklagte – Träger des Grundrechts der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), kann dieser Umstand iSd. § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB zu würdigen sein.

(1) Die Gerichte für Arbeitssachen sind von Verfassungs wegen gehalten, Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Für den Bereich des Zeitungswesens verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite (vgl. für den Bereich des Rundfunks zuletzt BAG 25. August 2020 – 9 AZR 373/19 – Rn. 21). Die Pressefreiheit erstreckt sich auf das Recht des Zeitungsverlags, der Freiheit der redaktionellen Berichterstattung bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die in nicht unwesentlichem Umfang auf den redaktionellen Inhalt der Zeitung Einfluss nehmen. Die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit ist im Rahmen der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung zur Feststellung des Vertragsstatus zu berücksichtigen.

(2) Ein grundsätzlicher Bedarf an Beschäftigung in freier Mitarbeit kann aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben bei redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern bestehen (vgl. zur Unterscheidung von programmgestaltenden und nicht programmgestaltenden Mitarbeitern im Rundfunkbereich BAG 17. April 2013 – 10 AZR 272/12 – Rn. 16 ff., BAGE 145, 26; grundlegend BAG 15. März 1978 – 5 AZR 819/76 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 30, 163).“

Siehe auch unser Dienstleistungsangebot Statusprüfstelle.

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Autor(en)


Raik Pentzek
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

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