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Kann sich ein Handelsvertreter schadensersatzpflichtig machen, wenn er seine „Bemühenspflicht“ verletzt?

Kann sich ein Handelsvertreter schadensersatzpflichtig machen, wenn er seine „Bemühenspflicht“ verletzt?
Frage der Woche
15.02.2024 — Lesezeit: 6 Minuten

Kann sich ein Handelsvertreter schadensersatzpflichtig machen, wenn er seine „Bemühenspflicht“ verletzt?

Ja, meint das Oberlandesgericht (OLG) Köln (OLG Köln, Urt. v. 22.09.2023 – 19 U 150/22). In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„Zutreffend hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil festgehalten, dass der Beklagten gegen den Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB, § 86 Abs. 1 Hs. 1 HGB in Verbindung mit dem Vermittlervertrag zusteht. Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts an, die lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen geben:

Ein Anspruch auf Schadensersatz der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB erfordert die Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Beklagten, namentlich einen Verstoß gegen die in § 86 Abs. 1 Hs. 1 HGB normierte Pflicht, sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen. Eine solche Pflichtverletzung ist vorliegend anzunehmen.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtverletzung im Rahmen von § 280 Abs. 1 BGB trägt der Anspruchsteller (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl., § 280 Rn. 38), vorliegend mithin die Beklagte. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass der Kläger – wie andere Handelsvertreter nach Ausspruch einer Kündigung – ´Geschäft geschoben´ habe, um die der Beklagten zustehenden Overheadkosten einzusparen und nachfolgend Provisionen unter Ausschluss der Beklagten zu generieren, ist dieser Vortrag unsubstantiiert und damit unerheblich. Das gleiche gilt, soweit die Beklagte vorträgt, dass er den Bedarf der Kunden aufgrund einer Änderung der persönlichen Verhältnisse wie Heirat, Geburt eines Kindes, Umzug, Berufungswechsel, nicht gedeckt habe. Allerdings ergibt sich aufgrund des unstreitigen Beklagtenvortrags, namentlich zu den vom Kläger generierten Einheiten (EH) in der Zeit von September 2017 bis August 2020 von 16.327 EH im Vergleich zu den erwirtschafteten Einheiten in der Zeit nach der Kündigung von September 2020 bis Februar 2021, dass der Kläger nach dem Ausspruch seiner Kündigung seine Tätigkeit für die Beklagte nur noch in einem Umfang ausübte, der nicht mehr den ihm obliegenden Pflichten aus dem Vermittlervertrag entsprach. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass ihn als Handelsvertreter nur eine Bemühenspflicht aber keine Abschlusspflicht trifft. Allerdings stellt der hier ganz erhebliche Einbruch der vom Kläger für die Beklagte vermittelten Abschlüsse im Zeitraum nach der Kündigung im Vergleich zu den erreichten Abschlüssen im Vergleichszeitraum von September 2017 bis August 2020 ein ausreichendes Anzeichen dafür dar, dass der Kläger seiner Bemühenspflicht ab der von ihm ausgesprochenen Kündigung gerade nicht mehr ausreichend nachgekommen ist. Es oblag danach dem Kläger im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, vorzutragen, warum dieser erhebliche Rückgang auf anderen Umständen beruhte als auf einer Einschränkung der von ihm entfalteten Tätigkeit. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm ohne weiteres möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, zitiert nach juris Rn. 27; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, zitiert nach juris Rn. 16). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte hat naturgemäß keinen Einblick in die konkreten Tätigkeiten des Klägers, der die entsprechenden Angaben hingegen unschwer machen kann. Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der Rückgang der Abschlüsse im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu sehen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen fällt die Zeit des strengen Lockdowns gerade in den Vergleichszeitraum vor der Kündigung. Zum anderen fehlt es – worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat – an jedweder Substantiierung des Vortrags, zumal in der Zeit von September 2020 bis Februar 2021 keine durchgängigen Kontaktbeschränkungen bestanden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Klägers, dass neben der Vermittlungstätigkeit auch die Schulung des ihm unterstellten Mitarbeiters und die Rettung notleidend gewordener Verträge zu seinen Aufgaben gehörten, da diese Tätigkeiten dann auch im Vergleichszeitrum angefallen sein müssten. Eine Verletzung der Bemühenspflicht belegt letztlich auch der eigene Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz, wonach er in der Zeit von September 2020 bis Februar 2021, also einem Zeitraum von 6 Monaten, insgesamt lediglich 13 Kunden zwecks Bedarfsermittlung aufgesucht habe.

Da sich die Verletzung der dem Kläger obliegenden Bemühenspflicht aus seinen deutlich unterschiedlichen Vermittlungserfolgen in der Zeit vor und nach der Kündigung ableitet, kann auch dahinstehen, ob der Kläger als Handelsvertreter im Nebenberuf oder im Hauptberuf anzusehen ist. Soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, dass er seine vor der Kündigung im überobligatorischen Umfang erbrachte Tätigkeit für die Beklagte auf das ihm obliegende Maß reduziert habe, ist dieser Vortrag unabhängig davon, dass er gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden kann, schon nicht substantiiert.

Soweit sich das Landgericht bei der Schätzung der Schadenshöhe im Ausgangspunkt an der Differenz der generierten Einheiten und dem daraus abzuleitenden Overhead der Beklagten im Vergleichszeitraum von September 2017 bis August 2020 (36 Monate = 16.327 EH = Overhead von 39.578,76 €, somit durchschnittlich pro Monat 1.099,41 €) zu denjenigen aus der Zeit nach der Kündigung (September 2020 bis Februar 2021 = 6 Monate = 69 EH = Overhead von 181,90 €, somit durchschnittlich pro Monat 30,27 €) orientiert hat, ist dies nicht zu beanstanden. Allerdings kann nicht ohne weiteres die ermittelte Differenz der erwirtschafteten Einheiten und der sich daraus ergebende Minderanfall des Overheads für die Beklagte in Höhe von 6.414,56 € (= 6 Monate x 1.099,41 € = 6.596,46 € – 181,90 €) als Schaden der Beklagten angesehen werden. Vielmehr ist hier zu beachten, dass eine Pflichtverletzung des Klägers nicht bereits dann angenommen werden kann, wenn es in einzelnen Zeiträumen zu abweichenden Vermittlungserfolgen kommt. Denn der jeweilige Tätigkeitsumfang, den ein Handelsvertreter zur ordnungsgemäßen Pflichterfüllung aufwenden muss, kann nicht starr festgelegt werden, sondern bewegt sich in einer gewissen Bandbreite. Hinzu kommt, dass der mit der Tätigkeit erzielte Erfolg des Handelsvertreters auch auf einem überobligatorischen Einsatz beruhen oder – zumindest zum Teil – glücklichen Umständen geschuldet sein kann. Somit kann bei Feststellung einer Pflichtverletzung nicht jede Abweichung nach unten bei den erwirtschafteten Einheiten bereits einen Schaden des Unternehmers darstellen. Vielmehr ist hier von einer Schwankungsbreite des Erfolgs auszugehen. Um diesen Umständen ausreichend Rechnung zu tragen hält der Senat es in Abwägung aller in dem vorliegenden Einzelfall relevanten Gesichtspunkte für notwendig und angemessen, bei der Schadensschätzung einen Abzug von 30% von der sich ergebenden Differenz der erwirtschafteten Einheiten bzw. des sich daraus ergebenden Overheads für die Beklagte bei Vergleich der Zeiträume vor und nach der Kündigung vorzunehmen. Danach ergibt sich ein Schaden von 4.490,19 €.“

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Jörg Hahn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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Dr. Uwe P. Schlegel
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