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Statusfeststellung bei einer Physiotherapeutin mit sehr geringem Unternehmerrisiko

Aktuelles
10.04.2020

Statusfeststellung bei einer Physiotherapeutin mit sehr geringem Unternehmerrisiko

Das Hessisches Landessozialgericht (LSG) hat entschieden, dass eine Physiotherapeutin mit sehr geringem Unternehmerrisiko im Ergebnis als abhängig Beschäftigte einzustufen sei (LSG Hessen, Urt. v. 05.03.2020 – L 1 BA 14/18).

In den Entscheidungsgründen heißt es:

Der Klägerin ist zuzustimmen, dass für eine Selbstständigkeit der Beigeladenen zu 1. deren Freiheiten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sprechen. Sie war insbesondere nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden, es bestand keine Anwesenheitspflicht und sie konnte selbstständig Terminvereinbarungen mit den Patienten treffen, soweit es um Folgetermine nach dem Erstkontakt mit der Praxis der Klägerin ging. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. waren keine festen Arbeitszeiten, kein fester Stundensatz und kein monatliches Arbeitsentgelt vereinbart (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 19).

Ein bedeutendes Merkmal für eine abhängige Beschäftigung ist aus Sicht des Senats jedoch, dass der Erstkontakt aller Patienten jeweils über die Praxis und damit in Verantwortung der Klägerin erfolgte (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 20). Insoweit war die Beigeladene zu 1. keinesfalls frei hinsichtlich des Ob und des Umfangs ihres Tätigwerdens, sondern sie war insoweit von der Klägerin abhängig. Dass die Beigeladene zu 1. – genau wie auch die Klägerin und die damals außerdem angestellte Physiotherapeutin – den Patientenwünschen entsprechend die Folgetermine selbst vereinbaren konnte, relativiert aus Sicht des Senats das Argument der selbstbestimmten Arbeitszeit der Beigeladenen zu 1., da letztlich die Absprache mit der Klägerin bestand, den Wünschen der Patienten entsprechend die rezeptierten Behandlungen fortlaufend durch einen Therapeuten durchzuführen.

Auch die direkte Abrechnung von Privatpatienten, wie von der Beigeladenen zu 1. im Erörterungstermin geschildert, ist grundsätzlich ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Hier gilt jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nach den Angaben der Beigeladenen zu 1. nur um sehr wenige privat versicherte Patienten gehandelt hat, welchen sie direkt eine Rechnung gestellt hat. Die Beigeladene zu 1. hat im Erörterungstermin die Anzahl der Privatpatienten auf einen pro Tag angegeben, bei maximal 24 Patienten am Tag, so dass die direkte Abrechnung der Privatpatienten durch die Beigeladene zu 1. und das entsprechende Ausfallrisiko bei einer Gesamtabwägung nicht maßgeblich ins Gewicht fällt, zumal auch insoweit der Erstkontakt dieser privat versicherten Patienten über die Praxis der Klägerin erfolgte.

Der Führung eines privaten Terminkalenders durch die Beigeladene zu 1. kommt nach Auffassung des Senats hingegen keine maßgebliche Bedeutung zu. Zusätzlich zum eigenen Kalender gab es das Terminbuch der Praxis, in welchem auch die Termine der Beigeladenen zu 1. eingetragen wurden, damit die Klägerin bzw. die angestellte Mitarbeiterin neue Termine auch für die Beigeladene zu 1. vergeben konnten, so die Beigeladene zu 1. im Erörterungstermin am 06.02.2020. Dies erfolgte für den Fall, dass die Klägerin bzw. ihre angestellte Mitarbeiterin selbst keine Termine mehr frei hatten und auf diese Weise die Beigeladene zu 1. – bei Belastungsspitzen – die neuen Patienten übernehmen sollte. Nach Auffassung des Senats ist dies ein Indiz für die Einordnung der Beigeladenen zu 1. in eine fremde Arbeitsorganisation und damit für eine abhängige Beschäftigung. Dass sich die Beigeladene zu 1. zusätzlich die Termine privat notierte, ist aus Sicht des Senats hingegen kein Beleg für eine selbstständige Tätigkeit, sondern der Organisation der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. als Teilzeitkraft geschuldet.

Auch wenn die Beigeladene zu 1. über den langen Zeitraum ihrer Tätigkeit in der Praxis der Klägerin einen Stamm mit eigenen Patienten – auch aufgrund von Folge- oder Dauerverordnungen – aufbauen konnte, ist dies nach Auffassung des Senats kein entscheidendes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Auch insoweit gilt, dass ursprünglich der Erstkontakt mit diesen Patienten über die Praxis der Klägerin erfolgt war.

Es mag sein, dass die Beigeladene zu 1. auch vor oder nach der von ihr beschriebenen Kernzeit Patienten aus ihrem Patientenstamm zusätzlich behandeln konnte. Eine entsprechende Überstundenregelung ist nach Auffassung des Senats jedoch auch für eine abhängig beschäftigte Physiotherapeutin denkbar und praktizierbar. Außerdem hatte die Beigeladene zu 1. keine eigene Patientenkartei; die Patienten waren ausschließlich mit der Klägerin vertraglich verbunden.

Dass die Beigeladene zu 1. Hausbesuche unter Einsatz ihres eigenen PKW durchgeführt hat, steht der Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Auch insoweit erfolgte der Erstkontakt der Patienten über die Praxis. Zudem wurden die durch die Krankenkassen vorgenommenen Fahrkostenerstattungen durch die Klägerin an die Beigeladene zu 1. weitergegeben, wie von der Beigeladenen zu 1. im Erörterungstermin am 06.02.2020 erläutert, so dass die Nutzung des Privat-PKW jedenfalls kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit darstellt.

Aus Sicht des Senats ist zudem von Bedeutung, dass die Beigeladene zu 1. kein maßgebliches Unternehmerrisiko getragen hat. Sie verfügte nicht über eigene Betriebsräume bzw. eine eigene Betriebsstätte. Vielmehr konnte sie jeweils einen Therapieraum in den Praxisräumen der Klägerin sowie die erforderlichen Utensilien und Geräte nutzen, wobei die vereinzelte Anschaffung eines Gymnastikballes oder eines Thera-Bandes durch die Beigeladene zu 1. auf eigene Kosten – wie im Erörterungstermin geschildert – nach Auffassung des Senats angesichts niedriger Beträge nicht entscheidend ins Gewicht fällt. Ferner ist die Beigeladene zu 1. nicht in rechtlich relevantem Maße nach außen unternehmerisch auf dem Markt aufgetreten. Sie hat für ihre Tätigkeit keine Werbung gemacht. Auch hat sie keine Visitenkarten verteilt oder durch ein Praxisschild auf sich aufmerksam gemacht. Nach ihren Angaben tauchte ihr Name in der Praxis an keiner Stelle auf. Es war für die Patienten damit nicht wahrnehmbar, dass die Beigeladene zu 1. als selbstständige Physiotherapeutin tätig sein sollte. Sie erbrachte ihre Leistungen vielmehr ausschließlich im Namen der Klägerin. Die Beigeladene zu 1. beschäftigte kein eigenes Personal und erbrachte ihre Leistungen nur in eigener Person. Sie musste kein eigenes Wagniskapital einsetzen und war auch am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis nicht eigenständig und unabhängig vom Ausmaß des eigenen persönlichen Arbeitseinsatzes beteiligt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 31.10.2019, L 1 BA 38/18 – Logopädin). Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung, dass die Klägerin 30% der durch die Krankenkassen vorgenommenen Vergütung gegenüber der Beigeladenen zu 1. für die von dieser durchgeführten Behandlungen einbehielt, hatte die Beigeladene zu 1. gerade keine laufenden Kosten (wie z.B. eine monatlich fällige Miete), die sie – unabhängig von ihrem eigenen Tätigwerden – mit dem Risiko des Verlusts einsetzen musste. Allein der Umstand, dass jemand von seinem Vertragspartner keinen für Beschäftigte typischen sozialen Schutz zur Verfügung gestellt erhält, führt noch nicht zur Annahme eines unternehmerischen Risikos. Einem solchen Risiko müssen vielmehr – um sozialversicherungsrechtliche Folgen auslösen zu können – auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen. Auch aus dem allgemeinen Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft ggf. nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rdnr. 21; Urteil des erkennenden Senats vom 31.10.2019, L 1 BA 38/18).

Auf zwingende Vorgaben des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung kann die Annahme von Beschäftigung hingegen nicht gestützt werden. Insbesondere kann der Regelung in § 124 Abs. 1 SGB V keine determinierende Wirkung in Bezug auf die zu entscheidende Frage des Vorliegens von Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV entnommen werden (BSG, Urteil vom 24. März 2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 28). Es ist daher nicht relevant, dass die Beigeladene zu 1. wegen der Regelungen des Leistungserbringerrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mit den Kostenträgern direkt abrechnen konnte, sondern dies über die Klägerin erfolgen musste (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2018, L 7 R 1319/17, juris, Rdnr. 47).

Angesichts der gebotenen Gesamtwürdigung der hier vorliegenden Vereinbarung und deren tatsächlicher Umsetzung gelangt der Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht zu der Überzeugung, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin deutlich mehr Merkmale einer abhängigen Beschäftigung aufweist als einer selbstständigen Tätigkeit, so dass die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV sowie die Versicherungspflicht zu den hier maßgeblichen Zweigen der Sozialversicherung durch die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden rechtmäßig erfolgte.

Ergänzende Hinweise des Anwalts für Sozialversicherungsrecht

Die Entscheidung entspricht der Linie der aktuellen Rechtsprechung. Es muss bei einer freien Mitarbeit in der Physiotherapie sehr darauf geachtet werden, dass die Kriterien der Selbständigkeit vollständig erfüllt werden. Wenn dies beachtet wird, ist eine selbständige Tätigkeit sehr wohl möglich! So hat die Deutsche Rentenversicherung vor dem Sozialgericht für das Saarland am 03.02.2020 im Verfahren zum Az. S 9 R 104/19 die Selbständigkeit zugestanden und ein Anerkenntnis abgegeben (Verhandlung durch den Autor).

Siehe auch unser Dienstleistungsangebot Statusprüfstelle

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Raik Pentzek
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

Mail: rostock@etl-rechtsanwaelte.de


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