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Sog. Crowdworker können Arbeitnehmer sein!

Mikrojobs sind mögliche Arbeitsverhältnisse
Aktuelles
02.12.2020 — zuletzt aktualisiert: 02.02.2021

Sog. Crowdworker können Arbeitnehmer sein!

Mikrojobs sind mögliche Arbeitsverhältnisse

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass sog. Crowdworker, die Kleinstaufträge, welche mit Hilfe eine Online-Plattform vermittelt werden, Arbeitnehmer des Plattformbetreibers (= sog. Croudsourcer) sein können (BAG, Urt. v. 01.12.2020 – 9 AZR 102/20).

In der Pressemitteilung Nr. 43/20 des BAG v. 01.12.2020 heißt es dazu:

Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen (´Mikrojobs´) durch Nutzer einer Online-Plattform (´Crowdworker´) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber (´Croudsourcer´) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.
Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Auf der Grundlage einer Basis-Vereinbarung und allgemeiner Geschäftsbedingungen bietet die Beklagte die Mikrojobs über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.
Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem ua. Vergütungsansprüche verfolgt, um einen Kündigungsschutzantrag erweitert. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien verneint.
Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat erkannt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stand.
Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So liegt der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision des Klägers gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Kläger kann nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht aufzuklären hat.

Ergänzende Hinweise

Die ETL Rechtsanwälte hatten bereits in einer Stellungnahme zum Urteil der Vorinstanz angemerkt, dass die Entscheidung des LAG München keinesfalls zwingend sei. So hat uns die Entscheidung des BAG nicht überrascht. Die Argumentation des LAG war schablonenhaft und ließ wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zum Arbeitsvertrag (§ 611a BGB), welche mittelbar auch über den Arbeitnehmerstatus entscheiden, außer Betracht.

Interessant sind auch die weiteren Überlegungen des BAG zum durch den Arbeitgeber nunmehr geschuldeten Arbeitsentgelt. Unter Bezugnahme auf bereits existierende Aussagen des BAG in anderen Fällen lehnt das BAG eine 1:1 Umrechnung von Entgelt, das ursprünglich als Honorar für eine selbständige Tätigkeit gedacht  war, in Arbeitsentgelt bzw. Lohn ab. Vielmehr hebt das Gericht auf § 612 Abs. 2 BGB ab, wonach die übliche Vergütung geschuldet wird. Natürlich ist das so ermittelte Arbeitsentgelt lohnsteuer- und abgabenpflichtig.

Im Ergebnis dürfte der betroffene Arbeitgeber noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sein, denn immerhin hat das BAG entschieden, dass die durch den Arbeitgeber vorsorglich ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat.

Bitte beachten Sie auch unser Dienstleistungsangebot Statusprüfstelle.

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Steffen Pasler
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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