Arbeitgeber müssen bei der Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses kein Präventionsverfahren durchführen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 03.04.2025, 2 AZR 178/24, entschieden:
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor einer ordentlichen Kündigung während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren i.S.d. § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
Sachverhalt
Der Kläger wurde von der beklagten Arbeitgeberin, bei der weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung bestand, in Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers eingestellt und innerhalb der Probezeit gekündigt.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage mit dem Argument, die Kündigung sei nach § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig und im Übrigen gemäß § 242 BGB unwirksam, da die Beklagte – unstreitig – ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht durchgeführt und gegen die Pflicht zum Angebot eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes verstoßen habe. Der beklagte Arbeitgeber gab als Kündigungsgrund an, der Kläger sei fachlich ungeeignet.
Die Klage war vor dem ArbG Nordhausen und dem LAG Thüringen erfolglos. Das BAG wies die Revision des Klägers zurück, die Urteilsgründe wurden Ende Juli 2025 veröffentlicht.
Entscheidung des BAG
Das BAG sieht keinen Verstoß des Arbeitgebers gegen § 167 Abs. 1 SGB IX (sog. „Präventionsverfahren“ = frühzeitige Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung, des Betrieb- bzw. Personalrats sowie des Integrationsamtes), da diese Vorschrift ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) gilt, also während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG (= 6 Monate) nicht zur Anwendung kommt.
Der Wortlaut von § 167 Abs. 1 SGB IX („Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis“) knüpfe erkennbar an die in § 1 Abs. 2 KSchG verwendeten Begriffe „Gründe … in der Person“, „Gründe … in dem Verhalten“ und „dringende betriebliche Erfordernisse“ an. Dies zeige, dass das Präventionsverfahren nur zu durchlaufen ist, wenn das KSchG anwendbar und ein nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG geeigneter Grund erforderlich sei.
Das BAG stellt darüber hinaus klar, dass ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nicht nur in der 6-monatigen Wartezeit ausgeschlossen ist, sondern darüber hinaus auch in einem Kleinbetrieb i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG.
Im Streitfall sei, so das BAG, die Kündigung ausschließlich wegen der mangelnden fachlichen Eignung des Klägers erfolgt, dieser habe nicht vorgetragen, dass dieser Eignungsmangel untrennbar auf seiner Behinderung beruhe und auch selbst nicht behauptet, dass ein entsprechender Eignungsmangel bei Arbeitnehmern mit Behinderung weitaus öfter vorliege.
Auch eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (Verbot der Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität) lag nach Auffassung des BAG nicht vor, da die Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Klägers stand.
Das BAG sah i.ü. auch keinen Verstoß gegen § 242 BGB (sitten- oder treuwidrige Kündigung des Arbeitgebers, die auf willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Motiven beruht), musste dies aber nicht abschließend entscheiden, da die fachliche Nichteignung des Klägers in keinerlei Zusammenhang mit dessen Schwerbehinderung stand und auch nicht durch angemessene, behinderungsspezifische Vorkehrungen hätte beseitigt werden können; der Kläger hatte auch keine freien Arbeitsplätze bei der Beklagten konkret benannt, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufgewiesen habe.
Hinweis:
Das BAG verwirft damit ausdrücklich auch die gegenteilige Annahme des Arbeitsgerichts Köln (Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23). Dieses Urteil wurde zwar vom LAG Köln (Urteil vom 12.09.2024, 6 SLa 76/24) aufgehoben, das LAG hatte dabei allerdings gleichwohl eine Pflicht des Arbeitgebers angenommen, bei Kündigung eines Schwerbehinderten auch schon in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen.
Die Entscheidung schafft damit Rechtssicherheit – für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.