Außerordentliche Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten trotz fehlender erheblicher Gewalt
Die Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten kann eine außerordentliche Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgt. Reagiert ein Arbeitnehmer auf die Ansprache eines Vorgesetzten wegen der pflichtwidrigen Nutzung eines privaten Smartphones mit den Worten „Hau ab hier“, stößt ihn weg und tritt nach ihm, ist eine Abmahnung vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entbehrlich. Das hat das LAG Niedersachsen am 25.8.2025 (- 15 SLa 315/25) entschieden.
Der Fall:
Der Kläger ist seit Februar 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Am 22.10.2024 sah der Gruppenleiter E. den Kläger vor der Ausladeluke einer Halle mit seinem privaten Smartphone in der Hand. Die Nutzung privater Smartphones während der Arbeitszeit ist den Mitarbeitern der Beklagten untersagt. Nachdem der E. sich dem Kläger genähert hatte, sagte dieser: „Hau ab hier!“ stieß den E. mit der rechten Hand gegen die linke Schulter und trat mit dem rechten Fuß in die Richtung des E., wobei er ihn berührte.
Mit Schreiben vom 29.10.2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.1.2025. Das Arbeitsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Der Vorfall vom 22.10.2024 rechtfertige weder die außerordentliche Kündigung noch die ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung.
Die Entscheidung:
Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Es lagen Tatsachen vor, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte. Zwar ging die Kammer nicht davon aus, dass der Kläger dem E. durch den Stoß und den Tritt erhebliche Schmerzen zugefügt hatte. Die Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten kann aber eine außerordentliche Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgt.
Ein vorheriges Fehlverhalten des E. war nicht zu erkennen. Es mag sein, dass es unangemessen ist, auf das private Smartphone eines anderen zu schauen. Es war hier aber nicht zu erkennen, dass der E. versucht hatte, die vom Kläger angesehenen Inhalte auf dem Smartphone zu sehen. Es war vielmehr davon auszugehen, dass der E. sich lediglich davon überzeugt hatte, dass es sich bei dem vom Kläger genutzten Gerät um dessen privates Smartphone handelte.
Der Kläger hatte sich gegenüber dem ihm vorgesetzten E. respektlos und unter Anwendung körperlicher Gewalt verhalten. Er hat auch nicht bestritten, dass er zu ihm „hau ab hier“ gesagt hatte. Bereits diese Ansprache stellte ein erhebliches Fehlverhalten dar, denn es stand dem Kläger nicht zu, einen Vorgesetzten in dieser Art anzusprechen. Dieses Fehlverhalten wurde durch das Stoßen und den Tritt wesentlich verstärkt. Eine Abmahnung war insofern entbehrlich.