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Zeitenwende beim Annahmeverzug?

Arbeitgeber hoffen auf zukünftig geringere Abfindungszahlungen
Zeitenwende beim Annahmeverzug?
Aktuelles
07.02.2023

Zeitenwende beim Annahmeverzug?

Arbeitgeber hoffen auf zukünftig geringere Abfindungszahlungen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat sich zu einem Fall geäußert, in dem es unter anderem um einen Anspruch auf Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzugs nach §§ 294 ff., 615 BGB sowie § 11 KSchG gegangen ist (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22). Der Rechtsstreit folgte zuvor rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahren, welche der nunmehr erneute klagenden Arbeitnehmer gewonnen hatte.

Im Ergebnis hat sich der Beklagte (= Arbeitgeber) bei dem LAG Berlin-Brandenburg weitgehend durchgesetzt. Die auf Annahmeverzug gestützten Zahlungsansprüche, die der Arbeitnehmer geltend gemacht hat, hat das LAG wie schon die Vorinstanz für unbegründet gehalten. In den Entscheidungsgründen heißt es:

„b) Im Übrigen ist die Berufung hingegen unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die sämtlichst auf Annahmeverzug gerichteten Zahlungsansprüche zu Recht abgewiesen, weil diese unbegründet sind.

aa) Ein Anspruch des Klägers auf Entgeltansprüche im streitgegenständlichen Zeitraum ist zwar dem Grunde nach gemäß §§ 611a Abs. 1, 615 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag gegeben, weil sich die Beklagte nach Ausspruch der unwirksamen Kündigungen vom 4. Mai 2017 und 19. Juni 2019 im Annahmeverzug befand. Dem Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung steht ein fehlendes Angebot des Klägers nicht entgegen. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs eines Angebots des Arbeitnehmers nicht (…).

bb) Der Anspruch beläuft sich jedoch gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG, der inhaltsgleich mit § 615 Satz 2 letzte Alternative BGB ist (…), wegen böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit der Höhe nach auf Null.

(1) § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG stellt – insoweit inhaltsgleich mit § 615 Satz 2 BGB – darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Grundgesetz (GG)) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person der Arbeitgeberin, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Aus § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG kann nicht abgeleitet werden, der Arbeitnehmer dürfe in jedem Falle ein zumutbares Angebot abwarten. Geht es nicht um eine Arbeitsmöglichkeit bei der bisherigen Arbeitgeberin, darf er nicht untätig bleiben, wenn sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet. Das kann die Abgabe von eigenen Angeboten mit einschließen (…).

Die Arbeitgeberin trägt für die Einwendungen nach § 615 Satz 2 BGB/§ 11 Satz 1 Nr. 1 und 2 KSchG die Darlegungs- und Beweislast. Den Arbeitnehmer trifft unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den von der Arbeitgeberin behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Arbeitgeberin keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem klagenden Arbeitnehmer nähere Angaben dazu ohne Weiteres möglich und zumutbar sind. Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Arbeitnehmers, der Arbeitgeberin alle für ihren Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Denn mit der erteilten Auskunft steht keineswegs fest, dass der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Ob die Stellenangebote Dritter ´zumutbare´ Arbeit zum Gegenstand hatten und in dem Verhalten des Arbeitnehmers ein ´böswilliges´ Unterlassen gesehen werden kann, hat die Arbeitgeberin im Rechtsstreit über die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung weiterhin darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Die Arbeitgeberin hat gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB. Die Auskunft hat sich auf die Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erstrecken. Nur wenn die Arbeitgeberin von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis hat, ist sie in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Sodann obliegt es im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war (…).

(2) Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt sich Folgendes:

(a) Zwar hat der Kläger im Laufe des vorliegenden Verfahrens den Auskunftsanspruch der Beklagten jedenfalls in dem vom Bundesarbeitsgericht in der zitierten Entscheidung vom 27. Mai 2020 statuierten Umfang erfüllt, denn er hat mit Schriftsatz vom 18. November 2020 auf Seiten 9 bis 12 (Blatt 92 bis 95 der Akten) und mit Schreiben an die Beklagte vom 17. Mai 2021 (Anlage K17, Blatt 225 bis 229 der Akten) die ihm von der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge mitgeteilt. Ob sich seine Auskunftspflicht darüber hinaus auch auf eigeninitiative Bemühungen erstreckt, kann offenbleiben. Denn auch insoweit hat der Kläger im Laufe des Prozesses im Schriftsatz vom 2. November 2021 auf Seiten 7 bis 18 (Blatt 293 bis 304 der Akten) seine Bewerbungen und in Form der Anlagen K29 bis K129 die hierauf erfolgten Reaktionen der potentiellen Arbeitgeber mitgeteilt.

(b) Damit war es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Sache der Beklagten, Indizien anzuführen, aus denen sich die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs ergeben. Dieser Darlegungslast ist sie aus Sicht der Kammer nachgekommen.

Zum einen ergibt ein Abgleich der vom Kläger vorgetragenen Bewerbungsmails mit den von ihm benannten Vermittlungsvorschlägen, dass er sich zwar nicht, wie von der Beklagten angenommen, auf diese gar nicht, so aber doch nach seinem eigenen Vorbringen lediglich auf drei der unterbreiteten Vorschläge beworben hat, nämlich auf den auf Seite 11 des Schriftsatzes vom 18. November 2020 unter lit. h) (Blatt 94 der Akten) aufgeführten Vorschlag vom 21. März 2019 Signal Iduna mit Mail vom 23. März 2019 (Seite 9 des Schriftsatzes vom 2. November 2021, Nr. 18; Blatt 295 der Akten), weiter auf den Vorschlag vom 6. Juli 2020 ausweislich des Schreibens an die Beklagte vom 17. Mai 2021, dort Seite 2 unter lit. bb) Concordia (Blatt 226 der Akten) mit Mail vom 10. Juli 2020 (Seite 15 des Schriftsatzes vom 2. November 2021, Nr. 77; Blatt 301 der Akten), schließlich auf den Vorschlag vom 6. Juli 2020 gemäß des Schreibens an die Beklagte vom 17. Mai 2021, dort Seite 3 unter lit. ff) Teitge (Blatt 227 der Akten) mit Mail vom 10. Juli 2020 (Seite 15 des Schriftsatzes vom 2. November 2021, Nr. 78; Blatt 301 der Akten). Weiter hat der Kläger offenbar auch mit den anderen von der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter benannten potentiellen Arbeitgebern keinen Kontakt aufgenommen. Dafür spricht, dass er keine näheren Angaben zu dem dort konkret erzielbaren Verdienst gehalten hat, obwohl in den Vermittlungsvorschlägen dieser regelmäßig nicht exakt benannt ist.

Vor diesem sich aus dem eigenen Vorbringen des Klägers zur Anzahl der Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge ergebenden Hintergrund vermag der Umstand fehlender Sanktionen das hiermit von der Beklagten angeführte Indiz nicht zu entkräften. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich insoweit bereits nicht entnehmen, ob die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter die Anzahl der getätigten Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge überprüft hat.

Weiter lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, in welchem Umfang er vor dem 25. Oktober 2018 Erwerbsbemühungen entfaltet hat. Der Hinweis auf das Datum der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom BAG 27. Mai 2020 und die frühere komplikationslose Erfüllung von Annahmeverzugsansprüchen durch die Beklagte im Nachgang zu einer vorangegangenen Kündigung entlasten den Kläger von dieser Darlegungslast nicht. In der zitierten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht lediglich den Umfang der Auskunftspflichten des Arbeitnehmers, der Annahmeverzugsansprüche verfolgt, sowie deren dogmatische Herleitung und Konstruktion näher ausgeführt. Zur Herleitung hat es sich jedoch auf allgemeine Grundsätze zu auf § 242 BGB gestützte Auskunftspflichten berufen, wie sie bereits der Bundesgerichtshof in den vom Bundesarbeitsgericht angeführten älteren Entscheidungen entwickelt hat. Auch kann aus einem Verhalten der Beklagten nach einer vorangegangenen früheren Kündigung nicht etwa ein Vertrauenstatbestand abgeleitet werden, sie werde auch künftig von der Einwendung des § 11 Satz Nr. 2 KSchG keinen Gebrauch machen. Dies kann von vielerlei Faktoren abhängen, zu denen etwa auch die Einschätzung der Beklagten, wie sich die Erwerbschancen für den Kläger jeweils darstellen, zählen mag. Damit fällt es in die Risikosphäre des Klägers, dass er, seinen Vortrag unterstellt, die Bewerbungsunterlagen für den Zeitraum vor dem 25. Oktober 2018 vernichtet hat. In seinen damit prozessual als fehlend anzusehenden Bemühungen vor diesem Datum liegt ein weiteres Indiz.

Ferner hat die Beklagte mit den sich aus den Anlagen K35 und K37 ergebenden Antwortmails auf Bewerbungen des Klägers Indizien benannt. So ist in der als Anlage K35 eingereichten Mail der HUK-Coburg einleitend davon die Rede, man habe den Kläger mehrfach telefonisch nicht erreichen können. Dies ist vom Kläger nicht näher erklärt worden und entspricht einem sorgfältig geführten Bewerbungsprozess nicht. Weiter hat der Kläger die als Anlage K37 eingereichte Mail der Nürnberger Versicherung ohne Reaktion gelassen, mit der diese mitteilt, seine Mail sei nicht vollständig eingegangen und um erneute Übersendung der kompletten Unterlagen als pdf-Dokumente bittet. Der Kläger schildert zwar, welche Überlegungen er nach Erhalt der Mail angestellt habe, nämlich dass er sämtliche Unterlagen in geeignetem Format übersandt habe. Auch dies entspricht ernsthaften Bewerbungsbemühungen jedoch nicht. Auch wenn aus Sicht des Klägers die Mail der potentiellen Arbeitgeberin inhaltlich unzutreffend war, hätte es als Bewerber nahegelegen, auf diese zumindest mit einer Nachfrage oder einem Hinweis zu reagieren.

Dies gilt weiter, soweit der Kläger in 29 Fällen auf seine Bewerbungen jedenfalls keine Absage erhalten hat. Ein nachdrücklich an einer Beschäftigung interessierter Bewerber würde auch hier zur Überzeugung der Kammer nach einigen Wochen Bezug auf die übersandte Bewerbung nehmen und nach dem Sachstand fragen.

Auch die Anzahl der eigenen Bewerbungsbemühungen des Klägers stellt sich als weiteres Indiz im oben genannten Sinne dar. Die Anzahl von 103 Bewerbungen verteilt sich auf einen Zeitraum von rund 29 Monaten (25. Oktober 2018 bis 30. März 2021). Dies entspricht rechnerisch noch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche, obwohl der Kläger im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit war und also im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen hätte entfalten können und müssen.

Schließlich liegt ein weiteres Indiz in der Qualität der verfassten Bewerbungen des Klägers. Seinen eingereichten Bewerbungsmails lässt sich weder ein Stellenkennzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle, auf die er sich bewirbt oder ein sonstiger Betreff entnehmen. Die Anrede ist nicht individualisiert mit Ausnahme der als Anlage K24 eingereichten Bewerbung an die Firma T GmbH. Hier fehlt jedoch in der Anrede das Wort „Herr“. Inhaltlich sind die Bewerbungen nicht an die zu besetzende Stelle und/oder den potentiellen Arbeitgeber angepasst; weiter weist der vergleichsweise kurze Text zwei Fehler auf, nämlich „Sachbearbeiter in Innendienst“ (statt „im“) sowie die Erwähnung beigefügter „Zeugnisse“, obwohl lediglich ein Zeugnis beigefügt war (und werden konnte).

(c) Diesen Indizien ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er hat sich allein mit dem Inhalt einer der Antwortmails, nämlich der von der HUK-Coburg (Anlage K35) hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit einer dort angesprochenen Erwerbsmöglichkeit als selbständiger Versicherungsvermittler auseinandergesetzt.

cc) Gegenständlich erfasst der Einwand böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs sämtliche vom Kläger mit der Berufung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs weiterverfolgten Vergütungsbestandteile. (…)“

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Dr. Stefan Müller-Thele
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