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Muss der Betriebsrat bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung innerhalb der Wartezeit des KSchG nach § 102 BetrVG angehört werden?

Muss der Betriebsrat bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung innerhalb der Wartezeit des KSchG nach § 102 BetrVG angehört werden?
Frage des Tages
15.11.2023

Muss der Betriebsrat bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung innerhalb der Wartezeit des KSchG nach § 102 BetrVG angehört werden?

Ja! Siehe dazu etwa LAG Hamm, Urt. v. 08.09.2023 – 13 Sa 20/23 [aus den Entscheidungsgründen]:

„Die Kündigung des Klägers ist unstreitig innerhalb der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfolgt. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit 13. Juli 1978 – 2 AZR 717/76 – Rn. 13, juris) der Betriebsrat vor einer beabsichtigten Kündigung zu hören. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat ´vor jeder Kündigung´ zu hören ist. Auch wenn ein individual-rechtlicher Kündigungsschutz nicht oder noch nicht besteht, soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn gegebenenfalls mit besseren Argumenten von seinem Kündigungsentschluss abzubringen. Dafür muss der Betriebsrat die Gründe kennen, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen, sei es auch nur den Umstand, dass der Arbeitgeber sich von seinem ´Gefühl´ leiten lassend von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen will (BAG, Urteil vom 03. Dezember 1998 – 2 AZR 234/98 – Rn. 16, juris).

(…) Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. Dies folgt aus dem Grundsatz der subjektiven Determination (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 20 mwN.). Nach diesem Grundsatz ist der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 –, Rn. 21, NZA 2013, 1412 ff; vom 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 26 mwN., AP Nr 2 zu Art 77 LPVG Bayern). Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Schildert der Arbeitgeber dem Betriebsrat den seiner Kündigungsentscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt bewusst irreführend, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam. Eine vermeidbare oder unbewusste Fehlinformation macht die Betriebsratsanhörung hingegen noch nicht unwirksam (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 21 mwN., aaO).

Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei Wartezeitkündigungen zu stellen sind, ist deshalb zu unterscheiden zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen. Im ersten Fall genügt die Anhörung den Anforderungen des § 102 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrundeliegenden Tatsachen bzw. Ausgangsgrundlagen mitgeteilt werden, im zweiten Fall reicht die Mitteilung allein des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall nicht verpflichtet, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sein Werturteil gegenüber der Arbeitnehmervertretung zu substantiieren oder zu begründen, auch dann nicht, wenn die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen bzw. Ansatzpunkte einen substantiierbaren Tatsachenkern haben (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 –, Rn. 27, aaO; Urteil vom 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 27 – aaO). Diese Auslegung der Pflichten des Arbeitgebers im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG bei Kündigungen innerhalb der Wartezeit, die auf subjektive Werturteile gestützt werden, ist Konsequenz des Grundsatzes der subjektiven Determination. Da häufig Werturteile nicht durch Tatsachen belegbar sind, kann vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, sein Werturteil gegenüber dem Betriebsrat zu substantiieren oder zu begründen, wenn er die Kündigungsentscheidung lediglich auf ein subjektives, nicht durch objektivierbare Tatsachen begründbares Werturteil stützt. In der Regel beruhen Werturteile auf einer Vielzahl kleinerer Beobachtungen, Vorfälle oder Verhaltensweisen und damit auf mehr oder minder fundierten, objektiven Tatsachen, die der Arbeitgeber oft nicht abschließend reflektieren kann und will und die oft auch nicht objektivierbar sind. Gleichwohl vermitteln diese Umstände in ihrer Gesamtheit dem Arbeitgeber bzw. dem zuständigen Vorgesetzten das Gefühl, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht sinnvoll erscheint, sondern der Arbeitgeber von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen will (BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 –, Rn. 29, aaO). Dieses Gefühl manifestiert sich dann in einem Werturteil, etwa dass „der Arbeitnehmer die Probezeit nicht bestanden hat“ oder „eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt“ (vgl. zu dieser und weiterer Formulierungen BAG, Urteil vom 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 –, Rn. 22 und 29 mwN, aaO). Ist Kündigungsgrund allein ein solches subjektives Werturteil, so ist auch nur dieses, nicht aber die Grundlage der subjektiven Einschätzung dem Betriebsrat mitzuteilen.“

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Dr. Uwe P. Schlegel
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Rüdiger Soltyszeck, LL.M.
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