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Ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, die AU an seine Krankenkasse zu übersenden, wenn die Arztpraxis noch nicht an die TI angeschlossen ist?

Ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, die AU an seine Krankenkasse zu übersenden, wenn die Arztpraxis noch nicht an die TI angeschlossen ist?
Frage der Woche
11.04.2024 — Lesezeit: 4 Minuten

Ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, die AU an seine Krankenkasse zu übersenden, wenn die Arztpraxis noch nicht an die TI angeschlossen ist?

Nein, sagt das Bundessozialgericht (BSG, Urteil v. 30.11.2023 – B 3 KR 23/22 R). Wenn eine Arztpraxis nicht über die technische Ausstattung verfügt, die AU unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übersenden, so lässt dies die Mitteilungsobliegenheit des Arbeitnehmers nicht wieder aufleben.

[Anmerkung: Dies dürfte auch für Zeiträume gelten, in denen die TI und damit eine Übersendung bspw. aufgrund von technischen Problemen temporär nicht möglich ist].

In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:

„(…) Anderes gilt hier nicht deshalb, weil im streitigen Zeitraum die Telematikinfrastruktur noch nicht so ausgebaut war, dass alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen hierüber Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse übermitteln konnten. Dies ließ die Obliegenheit des Versicherten zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht wieder aufleben.

Vielmehr lässt sich den Materialien entnehmen, dass der Gesetzgeber des TSVG in 2019 zum einen im Blick hatte, dass es einer Vorbereitungszeit bedarf, und zum anderen, dass nicht alle Einrichtungen, die zur Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit berechtigt sind, ab 1.1.2021 an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein werden. Dies führte zum einen zur Inkrafttretensregelung in Art 17 Abs 5 TSVG: Zwar werde mit der Änderung des § 295 Abs 1 Satz 1 SGB V ein einheitliches und verbindliches elektronisches Verfahren zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen eingeführt und klargestellt, dass die Pflicht zur Übermittlung dieser Daten an die Krankenkassen den Ärzten und Einrichtungen obliege. Für die Einführung dieses Verfahrens benötigten die Beteiligten aber einen hinreichenden zeitlichen Vorlauf, weshalb diese Regelung erst zum 1.1.2021 in Kraft trete (BT-Drucks 19/6337 S 160). Zum anderen führte dies zur Ausnahmeregelung in § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen: Da diese erst in weiteren Schritten an die Telematikinfrastruktur angebunden würden, gelte für sie nicht der gesetzlich geregelte Stichtag, sondern der Zeitpunkt, an dem sie sich an die Telematikinfrastruktur anbinden würden (BT-Drucks 19/6337 S 147).

Anderes folgt im hier streitigen Zeitraum auch nicht daraus, dass die Partner der Bundesmantelverträge – KBV und GKV-Spitzenverband – vereinbart hatten, dass die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die zuständige Krankenkasse (erst) ab dem 1.10.2021 ausschließlich digital erfolgt und bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen sowohl für Vertragsärzte als auch für die gesetzlichen Krankenkassen elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits ab dem 1.1.2021 ausgestellt und versandt werden können (§ 4 Ziffer 4.1.1 Anlage 2b – Vordruck-Vereinbarung digitale Vordrucke – zum BMV-Ä vom 1.7.2020, geänderte Fassung vom 25.3.2021, in Kraft getreten am 1.4.2021, DÄ 2021, A 1076; zuvor bereits § 4 Ziffer 4.1.1 Anlage 2b – Vordruck-Vereinbarung digitale Vordrucke – zum BMV-Ä vom 1.7.2020, geänderte Fassung vom 25.11.2020, in Kraft getreten am 1.1.2021, DÄ 2021, A 64; vgl. auch im Anschluss Übergangsvereinbarung der Bundesmantelvertragspartner zur Übermittlung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 23.8.2021, in Kraft getreten am 1.10.2021, DÄ 2021, A 1728, nach der noch bis 31.12.2021 übergangsweise keine Verpflichtung zur Übermittlung elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bestand, solange die technischen Voraussetzungen nicht zur Verfügung stehen, sowie Richtlinie der KBV nach § 75 Abs 7 Nr. 1 SGB V zur Durchführung von Anlage 2 und 2b zum BMV-Ä vom 3.11.2021, in Kraft getreten am 1.1.2022, DÄ 2021, A 2186, mit der der Übergangszeitraum bis 30.6.2022 verlängert wurde).

Diese Vereinbarung nahm zwar Rücksicht auf den tatsächlichen Stand der technischen Umsetzung der Telematikinfrastruktur, widersprach aber dem für die Übermittlungspflicht gesetzlich geregelten und unverändert gebliebenen Stichtag 1.1.2021 (vgl dagegen zu den mehrfachen Änderungen der Stichtage in § 5 EFZG und § 109 SGB IV Knorr, NZA 2022, 1652, 1654). Für diese Abweichung vom Gesetz konnte sich die Vereinbarung nicht auf eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage stützen. § 295 Abs 3 Satz 1 Nr. 3 und 5 SGB V ermächtigten lediglich dazu, „das Nähere“ über die Erfüllung der Pflichten der Vertragsärzte nach § 295 Abs 1 SGB V und die Einzelheiten der Datenübermittlung zu vereinbaren. Mit der Vereinbarung konnte durch die Bundesmantelvertragspartner nicht die gesetzliche Übermittlungspflicht ab 1.1.2021 selbst ausgesetzt werden und jedenfalls nicht eine gesetzlich seither nicht mehr vorgesehene Obliegenheit der Versicherten zur Meldung der vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit begründet werden, deren Nichteinhaltung zum Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld zulasten der Versicherten führt.

Nach allem kommt es hier nicht darauf an, ob dem Kläger die gesetzliche Übermittlungspflicht seines Vertragsarztes bekannt war oder ob er von diesem darauf hingewiesen wurde, dass ihr nicht nachgekommen wird, ob ihm vom Vertragsarzt Ausdrucke der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Vorlage bei der Beklagten mitgegeben worden waren und auch nicht darauf, ob die unterbliebene Übermittlung der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen ist. Durch den zum 1.1.2021 erfolgten Wegfall der Obliegenheit des Versicherten zur Meldung einer vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit sind entsprechende Einzelfallumstände rechtlich nicht mehr von Belang. (…).“

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Katrin-C. Beyer, LL.M.
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Dr. Uwe P. Schlegel
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