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Zur Zurechenbarkeit der Folgen eines Verkehrsunfall im Fall einer Drittbeteiligung

Aktuelles
23.06.2022

Zur Zurechenbarkeit der Folgen eines Verkehrsunfall im Fall einer Drittbeteiligung

In einem durch das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Haftung des Schädigers für die Folgen eines Verkehrsunfalles auch dann in Betracht kommen kann, wenn der Schaden nicht unmittelbar durch den Schädiger verursacht wurde, sondern dieser Schaden vielmehr – letztlich ausgelöst durch den unmittelbar Geschädigten – bei einem Drittbeteiligten eintritt (OLG Brandenburg, Urt. v. 16.12.2021 – 12 U 42/21). Konkret ging es um die Kollision eines Motorradfahrers mit einem weiteren Motorrad, nachdem der Erstgenannte infolge eines Vorfahrtverstoßes des Schädigers bei dem Letztgenannten als Drittbeteiligtem einen (weiteren) Schaden ausgelöst hatte.

In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG bzw. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB jeweils i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG in dem tenorierten Umfang zu.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen vor. Der Sturz des Klägers und die infolge dessen geltend gemachten Schäden sind noch dem Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 zuzurechnen.

Zwar ist es, wie mittlerweile zwischen den Parteien unstreitig ist, nicht zu einer Berührung zwischen dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 und dem Motorrad des Klägers gekommen. Dies schließt jedoch eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht aus. Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Es kommt maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang des Kraftfahrzeuges steht, wobei die Haftung nicht davon abhängt, ob sich der Führer des in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat oder es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Andererseits reicht die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Vielmehr muss das Fahrzeug oder das Fahrverhalten seines Fahrers über die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst haben, das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (vgl. BGH NJW 2010, 3713 Rn. 5; BGH NJW 2017, 1173 Rn. 11 ff. jeweils m.w.N.).

Im Streitfall ist bei einer Würdigung der Gesamtschau der vorliegenden Umstände ein solcher Kausalzusammenhang zwischen dem Fahrverhalten des Beklagten zu 1 und dem Sturz des Klägers gegeben. Der Beklagte zu 1 hat eine kritische Gefahrenlage geschaffen, in dem er unter Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 2 StVO in die vorfahrtberechtigte B… eingebogen ist und dadurch den Kläger zu einem Ausweichmanöver veranlasst hat, in dessen Verlauf der Kläger zu Fall gekommen ist. Zwar ist es letztlich zum Sturz des Klägers durch die streifende Kollision des Motorrades der nachfolgenden Zeugin S… mit seinem Motorrad gekommen. Dies schließt jedoch den Kausalzusammenhang nicht aus, da auch das von der Zeugin S… durchgeführte Ausweichmanöver durch den Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 veranlasst worden ist. Grundsätzlich kann der Verursachungsbeitrag eines Zweitschädigers einem Geschehen eine Wendung geben, die die Wertung erlaubt, dass die durch den Erstunfall geschaffene Gefahrenlage für den Zweitunfall von völlig ungeordneter Bedeutung ist und eine Haftung des Erstschädigers nicht mehr rechtfertigt (vgl. BGH NJW 2004, 1375; BGH NJW 2011, 292; BGH NJW 2013, 1679 Rn. 10). Wirken in einem weiteren Unfall die besonderen Gefahren fort, die sich bereits im ersten Unfallgeschehen ausgewirkt haben, kann der Zurechnungszusammenhang hingegen nicht verneint werden. So liegt der Fall auch hier. Die durch das verkehrswidrige Einbiegen des Beklagten zu 1 geschaffene Gefahrenlage hat sich auch auf die Fahrweise der Zeugin S… ausgewirkt und damit zu der Kollision beigetragen, ohne dass man sagen kann, dass die Fahrweise des Beklagten zu 1 dadurch von völlig untergeordneter Bedeutung geworden ist.

Auch der Umstand, dass der Kläger, als er sich nach seinem Ausweichmanöver auf der Linksabbiegerspur der Gegenfahrbahn befunden hat, sein Motorrad abgebremst hat, führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufes. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei dem Abbremsen des Klägers um einen Umstand handeln würde, der vorher vernünftigerweise nicht in Betracht hätte gezogen werden können. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob Grund für das Abbremsen herannahender Gegenverkehr auf der Gegenfahrbahn war oder der Kläger, wie es das Landgericht angenommen hat, seiner Verärgerung über den Vorfahrtverstoß des Beklagten zu 1 Ausdruck verleihen wollte. In beiden Fällen handelt es sich nicht um einen Umstand, der außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt und daher vom Beklagten zu 1 vernünftigerweise nicht hätte in Betracht gezogen werden müssen. Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anschaulich und glaubhaft geschildert, dass er es so empfunden habe, dass er einer Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 nur haarscharf entgangen sei und er deshalb, um dieses Erlebnis zu verarbeiten, nicht einfach habe weiterfahren können, und er deshalb abgebremst habe. Dies ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar und führt nicht dazu, dass aufgrund der verständlichen Reaktion des Klägers eine Haftung der Beklagten nicht mehr als gegeben anzusehen wäre. Selbst wenn der Kläger seiner Verärgerung über die Fahrweise des Beklagten zu 1 hätte Ausdruck geben wollen, führt dies nicht zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, da angesichts des groben Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1 eine solche Reaktion des Klägers jedenfalls menschlich verständlich erscheint.

Die – ohnehin vagen und von einer einseitigen Belastungstendenz zulasten des Klägers geprägten – Angaben der Zeugin Sch… stehen dem nicht entgegen. Sie stehen überdies im Widerspruch zu dem Vortrag der Parteien, da die Zeugin Sch… als einzige eine Berührung des Motorrades des Klägers mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 gesehen haben will. Einer Wiederholung der Beweisaufnahme durch erneute Vernehmung der Zeugin Sch… bedurfte es nicht, da die Angaben der Zeugin zum einen nicht ergiebig waren und es zum anderen letztlich für eine Bejahung des Kausalzusammenhangs nicht darauf ankommt, aus welchem Grund der Kläger nach dem Ausweichmanöver abgebremst hat.“

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Autor(en)


Katrin Kaiser
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Verkehrsrecht

Mail: halle@etl-rechtsanwaelte.de


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