Richtlinie der EU über angemessene Mindestlöhne in Teilen nichtig
Mit den Regelungen der Richtlinie hat die EU teilweise ihre Kompetenzen überschritten. Das entschied der EuGH am 11.11.2025 (- C-19/23)
Die in der Richtlinie aufgestellten Kriterien für die Festlegung der Mindestlöhne stellen einen unmittelbaren Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts dar, obwohl die Höhe des Arbeitsentgelts Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Das Gleiche gilt für die Vorschrift, die eine Senkung der Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen Indexierung unterliegen. Im Übrigen bleibt die Mindestlohnrichtlinie allerdings bestehen.
Der Fall:
Am 19.10.2022 erließ der Gesetzgeber der Union (das EU-Parlament und der Rat) die Richtlinie (EU) 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne in der EU. Mit dieser Richtlinie soll die Angemessenheit von gesetzlichen Mindestlöhnen in den Mitgliedstaaten gewährleistet und Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung gefördert werden.
Dänemark hat – unterstützt von Schweden – beim EuGH Klage erhoben, um die Richtlinie in vollem Umfang für nichtig erklären zu lassen. Die Richtlinie verstoße gegen die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, da sie unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts innerhalb der Union und in das Koalitionsrecht eingreife, für die die Union nach den Verträgen nicht zuständig sei.
Die Entscheidung:
Der in den EU-Verträgen vorgesehene Ausschluss der Zuständigkeit der Union erstreckt sich nicht auf alle mit dem Arbeitsentgelt oder dem Koalitionsrecht in jeglichem Zusammenhang stehenden Fragen und nicht jede Maßnahme, die in der Praxis Auswirkungen oder Folgen für das Lohnniveau hat. Andernfalls würden bestimmte Zuständigkeiten, die der Union übertragen wurden, um die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen zu unterstützen und zu ergänzen, ihrer Substanz beraubt. Der Ausschluss der Zuständigkeit gilt aber dann, wenn das Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts und in das Koalitionsrecht eingreift. Nach Prüfung des Ziels und des Inhalts der Richtlinie stellt der EuGH einen solchen Eingriff in zwei konkreten Fällen fest.
Erstens schreibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, Kriterien vor, die bei der Festlegung und Aktualisierung dieser Löhne zu berücksichtigen sind. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie umfassen diese Kriterien mindestens die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten, das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung, die Wachstumsrate der Löhne sowie langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen. Insoweit beinhaltet die Richtlinie eine teilweise Harmonisierung der Bestandteile gesetzlicher Mindestlöhne und damit einen unmittelbaren Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts.
Zweitens gilt dasselbe für die Vorschrift, die eine Senkung der gesetzlichen Mindestlöhne unterbindet (Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie), wenn das nationale Recht einen automatischen Mechanismus für Indexierungsanpassungen dieser Löhne vorsieht.
Daher erklärt der EuGH die Bestimmungen der Richtlinie für nichtig, die diese unmittelbaren Eingriffe des Unionsrechts in die Festsetzung der Vergütungen beinhalten und für die demzufolge keine Gesetzgebungskompetenz der Union besteht.
