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Massenentlassungen: Wirksamkeit der Kündigung „zum nächstmöglichen Termin“ vor Ablauf 30-Tage-Frist des § 17 Abs. 1 KSchG

Massenentlassungen: Wirksamkeit der Kündigung „zum nächstmöglichen Termin“ vor Ablauf 30-Tage-Frist des § 17 Abs. 1 KSchG
Aktuelles
12.11.2025 — Lesezeit: 5 Minuten

Massenentlassungen: Wirksamkeit der Kündigung „zum nächstmöglichen Termin“ vor Ablauf 30-Tage-Frist des § 17 Abs. 1 KSchG

Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass die Kündigung eines Arbeitsvertrags im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung, die nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der zuständigen Behörde anzuzeigen ist, erst nach Ablauf der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgesehenen Frist von 30 Tagen wirksam werden kann. Ein Arbeitgeber, der die Kündigung eines Arbeitsvertrags unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgenommen hat, ohne der zuständigen Behörde die beabsichtigte Massenentlassung, in deren Rahmen diese Kündigung erfolgt, anzuzeigen, kann die fehlende Anzeige nicht in der Weise nachholen, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde. Das entschied der EuGH am 30.10.2025 (- C-134/24 u.a.).

Der Fall:

Das BAG hat über die Wirksamkeit der Entlassung von zwei Mitarbeitern von zwei Unternehmen im Rahmen beabsichtigter Massenentlassungen zu entscheiden. Es hat den EuGH in diesem Zusammenhang um Auslegung der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen ersucht.

Am 2.12.2020 kündigte der Beklagte den Arbeitsvertrag des Klägers zum 31.3.2021. Es steht fest, dass der Beklagte in einem Zeitraum von 30 Kalendertagen mehr als fünf Angestellte entlassen hatte. Seiner Kündigungsschutzklage begründete der Kläger damit, die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses sei nichtig, da der Beklagte die Massenentlassung zuvor nicht rechtzeitig gem. § 17 Abs. 1 KSchG angezeigt habe. ArbG und LAG gaben der Klage statt. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit seiner Revision.

Die Klägerin arbeitete für eine Luftfahrtgesellschaft, die 348 Arbeitnehmer beschäftigte. Am 15.6.2020 leitete die Gesellschaft gem. § 17 Abs. 2 KSchG mit den Personalvertretern der Flugkapitäne im Hinblick auf deren Entlassung ein Konsultationsverfahren ein. Am 30.6.2020 beschloss sie die Einstellung ihres Betriebs mit sofortiger Wirkung. Der Beklagte wurde am Folgetag zum Insolvenzverwalter bestellt und zeigte noch am selben Tag die beabsichtigte Massenentlassung an.

Mit Schreiben vom 29.7.2020 kündigte der Beklagte im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung auch die Arbeitsverträge der Klägerin mit einer Frist von drei Monaten. Die Klägerin erhob Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ihres Arbeitsvertrags und des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses. Zur Stützung ihrer Klage machte sie u.a. geltend, dass das im KSchG vorgesehene Konsultationsverfahren nicht eingehalten worden sei.

ArbG und LAG wiesen die Klage ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt:

Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass die Kündigung eines Arbeitsvertrags im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung, die nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der zuständigen Behörde anzuzeigen ist, erst nach Ablauf der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgesehenen Frist von 30 Tagen wirksam werden kann. Die Frist läuft ab der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der Behörde.

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, der die Kündigung eines Arbeitsvertrags unter Verstoß gegen die erstgenannte Bestimmung vorgenommen hat, ohne der zuständigen Behörde die beabsichtigte Massenentlassung, in deren Rahmen diese Kündigung erfolgt, anzuzeigen, die fehlende Anzeige nicht in der Weise nachholen kann, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde. Im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung ist es nicht zulässig, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag vor der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Anzeige dieser Massenentlassung kündigen kann und das Wirksamwerden der Kündigung solange ausgesetzt ist, bis die Mängel der Anzeige behoben sind.

Die Abfolge der vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Verfahren und damit die Abfolge der von ihm im Rahmen dieser Verfahren vorgesehenen Pflichten würde in Frage gestellt, wenn der Arbeitgeber die Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung nach der Kündigung der betroffenen Arbeitsverträge mittels einer solchen vorübergehenden Aussetzung bewirken könnte. Diese vorübergehende Aussetzung würde somit die Wirksamkeit der in der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Verfahrenspflichten gefährden und deren Ziel beeinträchtigen, das darin besteht, sicherzustellen, dass den beabsichtigten Massenentlassungen eine Konsultation der Arbeitnehmervertreter und ihre Anzeige bei der zuständigen Behörde vorausgehen.

Art. 3 der Richtlinie ist überdies auch dahin auszulegen, dass der Zweck der Anzeige einer beabsichtigten Massenentlassung bei der zuständigen Behörde nicht als erreicht angesehen werden kann, wenn zum einen diese Behörde eine fehlerhafte oder unvollständige Anzeige nicht beanstandet und sich somit als ausreichend informiert betrachtet, um innerhalb der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Frist nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen, und wenn zum anderen nach der nationalen Regelung ein Zusammenwirken des Arbeitgebers und der zuständigen Behörde vorgesehen ist, um den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu begrenzen, und/oder die nationale Arbeitsagentur im Massenentlassungsverfahren zur Amtsermittlung verpflichtet ist.

Art. 6 der Richtlinie ist indes dahin auszulegen, dass im Fall einer fehlerhaften oder unvollständigen Anzeige einer beabsichtigten Massenentlassung der Umstand, dass die in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Frist von 30 Tagen nicht läuft, keine Maßnahme darstellt, die dazu dient, die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehene Anzeigepflicht i.S.v. Art. 6 der Richtlinie durchzusetzen.

Das BAG wird nun im Lichte dieser Auslegung seine Entscheidung finden müssen.

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Steffen Pasler
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Mail: rostock@etl-rechtsanwaelte.de


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