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Der BGH rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens

Der BGH rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens
Aktuelles
29.04.2024 — Lesezeit: 3 Minuten

Der BGH rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens

Der Bundesgerichthof (BGH) rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage (hier: Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen). Im Beschluss des BGH heißt es (BGH, Beschl. v. 12.03.2024 – VI ZR 283/21 [aus den Entscheidungsgründen]):

„Das Berufungsgericht hat aus den von ihm festgestellten Tätigkeiten des Geschädigten nach dem Unfallereignis den Schluss gezogen, dass dieser ab dem 1. September 2012 – bis zum Umfang einer Vollbeschäftigung hin – arbeitsfähig war. Dabei hat es die in der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung des Hausarztes des Geschädigten vom 25. April 2021 (Anlage K 23) sowie dem ärztlichen Befundbericht der ihn behandelnden Psychotherapeutin vom 11. Mai 2021 (Anlage K 24) aufgeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (unter anderem Vorliegen einer rezidivierend depressiven Störung, Zustand nach posttraumatischem Belastungssyndrom, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) als tatsächlich vorliegend unterstellt. Es teilt aber nicht die auf diesen Diagnosen beruhende Einschätzung der behandelnden Ärzte hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten. Der Hausarzt des Geschädigten war der Ansicht, dass aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis 31. Dezember 2016 keine Arbeitsfähigkeit im erwerbsrelevanten Umfang bestanden habe. Körperlich belastende Tätigkeiten hätten aufgrund der Hand- und Rückensituation und administrative Tätigkeiten wegen der eskalierenden psychischen Wirkung jeweils nur unter drei Stunden täglich durchgeführt werden können. Zumutbar seien kurzfristige Tätigkeiten im Rahmen von Minijobs mit leichter körperlicher Belastung, idealerweise in wechselnden Körperpositionen (Anlage K 23). Die Psychotherapeutin gelangte zu dem Ergebnis, dass aufgrund vorhandener und nicht reversibler psychischer Beeinträchtigungen für den Zeitraum von 2012 bis 31. Dezember 2016 von einer anhaltenden Erwerbsunfähigkeit des Geschädigten auszugehen sei (Anlage K 24).

Damit hat sich das Berufungsgericht medizinische Sachkunde bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten angemaßt, deren Voraussetzungen es den Parteien nicht offengelegt hat. Das Berufungsgericht hätte die Arbeitsfähigkeit im angenommenen Umfang angesichts der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen – die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht lediglich ´bloße Behauptungen´ der Klägerin, sondern qualifizierten Sachvortrag zur Frage der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten darstellen – nicht bejahen dürfen, ohne sich auf das Gutachten eines hinsichtlich der berührten medizinischen Bereiche fachärztlich qualifizierten Sachverständigen zu stützen. Der gerichtliche Sachverständige wäre dann gegebenenfalls dazu zu befragen gewesen, ob die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten aus medizinischer Sicht gegen die Annahme sprechen, dass die Arbeitsfähigkeit des Geschädigten aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt ist. Dabei hätte sich das Berufungsgericht auch mit dem von der Beschwerde als übergangen gerügten Vortrag der Klägerin auseinandersetzen müssen, wonach die Vermietung der Ferienwohnung durch den Geschädigten zusammen mit seiner Frau erfolge und daher einen wöchentlichen Zeitaufwand von lediglich zwei Stunden erfordere und die vom Geschädigten geführte Galerie lediglich an Wochenenden geöffnet habe. Der Schluss des Berufungsgerichts von der Ausübung einer geringfügigen Tätigkeit für die Caritas auf eine Arbeitsfähigkeit des Geschädigten ´bis zum Umfang einer Vollbeschäftigung´ ist auch ungeachtet der hierfür fehlenden medizinischen Sachkunde auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht nachvollziehbar. Zudem geht das Berufungsgericht dabei – wie von der Beschwerde zutreffend gerügt – nicht auf den Einwand der Klägerin ein, der Geschädigte sei selbst von dieser Tätigkeit körperlich und psychisch überfordert gewesen.“

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Dr. Stefan Müller-Thele
Rechtsanwalt

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