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Potemkinsche Strafen

Zu Sanktionsmechanismen gegen Verstöße gegen die „Impfpflicht“ von Beschäftigten im Gesundheitswesen
Potemkinsche Strafen
Der Kommentar
07.02.2022 — zuletzt aktualisiert: 10.02.2022

Potemkinsche Strafen

Zu Sanktionsmechanismen gegen Verstöße gegen die „Impfpflicht“ von Beschäftigten im Gesundheitswesen

Die täglich zunehmende Unsicherheit von eigentlich sämtlichen Akteuren im Gesundheitswesen hat, wie sich insbesondere aus der medizinrechtlichen Anwaltspraxis mehr als deutlich zeigt, bereits jetzt, also Wochen vor dem gefürchteten 16.03.2020 zu nichts weniger als soziologischen Verwerfungen geführt. Mag die Intention des Gesetzes, also die Ausübung von Druck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie selbstständige Akteure des Gesundheitswesens zur Erhöhung der Impfung auch ein vertretbares Ziel sein, scheint der Preis hierfür sehr hoch zu werden. Dies weniger weil zu befürchten wäre, dass tatsächlich ab 16.03.2022 zahlreiche Einrichtungen, Arztpraxen und Krankenhausabteilungen wegen Personalmangels schließen müssen, sondern weil das Gesetz so angelegt ist, dass es Keile zwischen die Akteure treibt, Keile zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Geschäftsleitungen, Keile zwischen „Geimpfte“ und „Ungeimpfte“, zwischen Beschäftigte im Gesundheitswesen und allen anderen Beschäftigten dieses Landes und auch zwischen einzelnen Behörden und den Gesundheitseinrichtungen untereinander. Die langfristigen Auswirkungen hiervon sind kaum absehbar.

Die Bundesregierung zeigt im Komplex Covid 19 Pandemiebekämpfung eine nicht übersehbare Neigung zur Delegierung der Verantwortung, nämlich unter anderem an Bundestag, Länder, Landräte, Bürgermeister, Gesundheitsämter. Paradebeispiel ist die Systematik der Sanktionierung von Verstößen der verschiedenen Akteure im  Gesundheitswesen gegen die Verpflichtung der Beibringung bzw. Anforderung der „Immunitätsnachweise gegen Covid 19“  in  20a IfSG (Infektionsschutzgesetz). Dabei ist es, sollte es beabsichtigt gewesen sein, offenbar durchaus gelungen, vielen Akteuren im Gesundheitswesen zunächst den Eindruck zu vermitteln, dass wesentlicher Inhalt der Bestimmungen sei:

  • ab 15. März 2022 müssten alle im Gesundheitswesen Beschäftigten (als weiter Begriff vom operierenden Chefarzt eines Universitätsklinikums bis zum Hausmeister einer Einrichtung der Tagespflege oder der selbstständigen Podologin) geimpft oder genesen sein, sonst dürften sie ab 16.3.22 nicht mehr tätig werden und zwar weder selbständig noch angestellt.
  • Alle Akteure, die sich nicht daran hielten, hätten hohe Bußgelder zu erwarten.

Beide Vorstellungen sind jedoch falsch! Das fängt schon damit an, dass das Gesetz nach seiner Überschrift gar keine „ Impfpflicht“ regelt oder gar einführt, sondern die Beibringung eines Immunitätsnachweises gegen COVID-19 beim Arbeitgeber bzw. auf Anforderung bei den Gesundheitsämtern verlangt. Gesetzestechnisch arbeitet das Gesetz mit mehreren angezogenen Bremsen. Hierdurch sind gewissermaßen verfassungsrechtlich bedenkliche Auswirkungen des Gesetzes gegen Grundsätze wie dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung angelegt, ohne dass dies direkt dem Gesetzestext zu entnehmen wäre. Hiermit ist gar nicht in erster Linie die Tatsache gemeint, dass die Vorlage der Immunitätsnachweise eben nur im Gesundheitswesen und nicht etwa in mindestens durchaus ebenso gefahrentragenden Bereichen wie dem öffentlichen Personen Nahverkehr oder den Schulen und Kindereinrichtungen verlangt wird.

Auch im Gesundheitswesen wird es jedoch durch das Gesetz den Behörden, also insbesondere den Gesundheitsämtern überlassen, ob Verstöße hiergegen im Einzelfall überhaupt geahndet werden, ja mehr noch, ob die Untersagung der Beschäftigung im Einzelfall trotz Nichtvorlage des eigentlich geforderten Immunitätsnachweises angeordnet wird oder nicht.

Zur Problematik der in § 73 Abs. 1a 7e bis 7g geregelten Bußgeldvorschriften

Hierbei gilt auszugsweise z.B. Folgendes:

  • Wenn ein Arbeitgeber nicht „unverzüglich“, nicht richtig oder nicht vollständig seinem zuständigen Gesundheitsamt die personenbezogenen Daten derjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übermittelt, die ihm nicht bis zum 15.3.2022 den Immunitätsnachweis vorgelegt haben ist dies bußgeldbewehrt (gem. §§ 20a Abs. 2 S.2 i.V.m. 73 Abs. 1 a Ziffer 7 e 1. Alt. IfSG: bis zu 2.500,00 €)
  • Die Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die am 15.03.22 bereits beschäftigt sind und die nicht bis zum 15.03.2022 den Immunitätsnachweis beim Arbeitgeber vorgelegt haben, jedoch noch keinen bestandskräftigen Bescheid über ein Betretungs- und Beschäftigungsverbot durch das Gesundheitsamt (Verwaltungsakt) erhalten haben ist definitiv nicht bußgeldbewehrt ! Das ändert sich erst mit dem Zugang des Bescheides des Gesundheitsamtes an die jeweiligen AN (Gem. §§ 20a Abs. 2 S.2 i.V.m. 73 Abs. 1 a Ziffer 7 f  IfSG: bis zu 2.500,00 €).
  • Die Einstellung und Beschäftigung von neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, ab 16.03.2022 ist ohne die Vorlage des Immunitätsnachweises beim Arbeitgeber verboten und bußgeldbewehrt.
  • Das gilt auch für die Arbeitnehmer, die sich anstellen oder beschäftigen lassen (beide bis zu 2500 € gem. §§ 20a Abs. 2 S.2 i.V.m. 73 Abs. 1 a Ziffer 7 g 1. und 2. Alt. IfSG)

Es muss also dem Gesundheitsamt die „Liste“ gem. § 20a Abs. 2 S. 3  Nr. 3 unverzüglich nach dem 16.03.22 vorgelegt werden. Die Weiterbeschäftigung von (Alt-)Mitarbeitern ohne vorgelegten Immunitätsnachweis ist vorläufig völlig unkompliziert möglich (natürlich unter Beachtung der jeweils gültigen Testverpflichtungen).

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Ob der Arbeitgeber im Falle der Nichtvorlage von Identitätsnachweisen von Bestands-Arbeitnehmern wirklich ein Recht zur unbezahlten Freistellung  oder gar Kündigung seiner „ungeimpften“ AN hat, gilt derzeit als unsicher. Vieles spricht dafür, dass beides (unbezahlte Freistellung und Kündigung) aus den vorgenannten Gründen arbeitsrechtlich, zumindest bis zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht nicht zulässig ist. Insbesondere dürften auch Abmahnungen unzulässig sein, weil Abmahnungen auf eine Änderung des Verhaltens von Arbeitnehmern abzielen und somit dem Problemkreis der verhaltensbedingten Kündigung zuzuordnen sind. Vorliegend hat man es aber bestenfalls mit einer personenbedingten Problematik zu tun. Naturgemäß sind Abmahnungen, etwa in Krankheitsfällen und ähnlichen Fällen dort nicht zulässig.

Vor dem Hintergrund, dass es eben eine allgemeine Impfpflicht  und übrigens auch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht überhaupt nicht gibt, kann der Arbeitgeber schwerlich vom Arbeitnehmer eine Impfung verlangen und diesen abmahnen, falls er diesem Verlangen nicht nachkommt. Genau das wird sich aber umkehren, falls es tatsächlich in naher Zukunft eine allgemeine Impfpflicht für alle Bürgerinnen und Bürger geben sollte.

Das Gesetz und seine Anwender

Mehrere Indizien in der Systematik dieses zweifellos handwerklich schlecht gemachten Gesetzes sprechen dafür, dass es der Gesetzgeber mit der Durchsetzung dieser nicht benannten „Impfpflicht“ letztendlich gewissermaßen nicht ganz ernst gemeint hat. Allerdings ist die Verwaltung natürlich auch an schlechte Gesetze gebunden. Ebenso ist natürlich problematisch, dass das Gesetz eben dieser Verwaltung an den wichtigsten Stellen ein (zu) weites Ermessen einräumt, der Bürger also recht abhängig von der jeweiligen Auffassung des jeweiligen Sachbearbeiters des Gesundheitsamtes ist.

Auch Einflussnahmen von anderen Akteuren wie Bürgermeistern, Landräten oder sonstigen politischen Akteuren sind zu befürchten. Ein weiteres Indiz ist der im Vergleich zu sonstigen Ordnungswidrigkeiten äußerst geringe Strafrahmen von bis zu 2500 €.

Auch die äußerst unklare und verschachtelte Formulierung des Gesetzes, insbesondere in Hinsicht auf die Verweise in den Bußgeldvorschriften § 73 Absatz 1a Ziffern 7e bis 7g mögen nicht zufällig sein.

Die handwerklich bedenkliche Verfassung des Gesetzes tangiert den verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatz der Normenklarheit.

Das Gesetz kommt übrigens zwar vermeintlich dem verfassungsrechtlich gebotenem Zitiergebot in § 20a Abs. 7 IfSG nach, benennt aber das falsche Grundrecht. Durch die Vorlagepflicht eines Immunitätsnachweises wird nämlich mitnichten das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes eingeschränkt, durch die Möglichkeit eines (wenngleich vorläufig bis 31.12.2022 befristeten) Tätigkeitsverbotes allerdings sehr wohl das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG.

Zweierlei Maß

Die Verwaltung hat also schwerwiegende Eingriffe in die Berufsfreiheit einzelner Personen im Gesundheitswesen unter anderem damit abzuwägen, ob diese Person im Verwaltungsbereich des jeweiligen Gesundheitsamtes besonders benötigt wird oder nicht. Denn im Gesetz ist mitnichten auch nur  angelegt, dass jede im Gesundheitswesen tätige Person, die bis 15.03.2022 keinen Immunitätsnachweis vorlegen kann,  einem Beschäftigungsverbot unterliegt.

Erst durch die in ihrem Ermessen liegende Bescheidung des Gesundheitsamtes durch entsprechenden Verwaltungsakt wird das Beschäftigungsverbot in jedem Einzelfall verhängt oder auch nicht. Das Gesetz ist von vornherein also so angelegt, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen ohne gültigen Immunitätsnachweis in gewissen Zeiten oder  Orten, in einzelnen Landkreisen oder auch einzelnen Einrichtungen oder in verschiedenen Versorgungsbereichen (z.B. Krankenhaus, stationäre Pflege, ambulante fachärztliche Versorgung etc.) weiterarbeiten dürfen, in anderen nicht. Dieses wird hier als verfassungsrechtlich höchst bedenklich angesehen. Das Virus fragt nicht, ob die infizierte Person in einem unterversorgten Bereich eines Krankenhauses oder als Arzthelferin in einem angeblich „überversorgtem“ Bedarfsplanungsbezirk einer Hausarztpraxis oder einer Zahnarztpraxis tätig ist. Hier wie da können Patientinnen und Patienten angesteckt werden. Es findet vielmehr eine Art Triage der Risikoinkaufnahme zu Lasten von Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftigen und sonstigen Verbrauchern von Leistungen im Gesundheitswesen mit eigentlich sachfremden Erwägungen statt.  Diese gewissermaßen Fernwirkung des Gesetzes führt dazu, dass die Verbraucher im Gesundheitswesen im weitesten Sinne dann ein jeweils höheres oder geringeres Risiko in Abhängigkeit vom jeweiligen Versorgungsgrad der jeweiligen medizinischen Einrichtungen im Sprengel des jeweiligen Gesundheitsamtes tragen müssen. Der umfassende Schutz dieses Personenkreises vor Infektion mit Covid 19 scheint also weit weniger den Zweck der Norm auszumachen, als die einigermaßen subtile Druckausübung auf „Ungeimpfte“ im Gesundheitswesen. Die Erhöhung der Impfquote, insbesondere, aber nicht nur in diesem Bereich, ist sicherlich ein erforderliches und somit erstrebenswertes Ziel. Wegen der durch das Gesetz- oder auch nur der hierdurch verursachten Ängste und Unsicherheiten sämtlicher Akteure im Gesundheitswesen ist jedoch zu befürchten, dass schwer wieder gut zu machende soziologische Verwerfungen in weit höherem Maße entstehen, als die erzwungene Impfbereitschaft derjenigen, die hier „erzogen“ werden sollen.

Insbesondere wenn das sensible Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts Gefahr läuft undurchsichtig angewendet- oder eben nicht angewendet zu werden, sind durchaus schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Verwerfungen zu befürchten.

„Der ist schuldig der Tat, der zu strafen Gewalt hat und nicht strafet.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Reinecke Fuchs, siebenter Gesang)

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