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Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeit im Home-Office?

Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeit im Home-Office?
Aktuelles
05.06.2020

Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeit im Home-Office?

Das Bundessozialgericht hatte sich mit einem Fall zu beschäftigten, der die Reichweite des Schutzes durch die gesetzliche Unfallversicherung bei einer Arbeit im sog. Home-Office beleuchtet (BSG, Urt. v. 30.01.2020 – B 2 U 19/18 R; siehe hierzu auch Plagemann/Radtke-Schwenzer, NJW 2020, 1337, 1340).

Auf der Internetseite des BSG finden sich dazu folgende, weitere Angaben:

AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen ./. Verwaltungs-BG, Beigeladene: M. K.
Die Klägerin ist ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie begehrt von dem beklagten Unfallversicherungsträger die Erstattung der Behandlungskosten der Beigeladenen, weil sie der Überzeugung ist, die Beigeladene habe einen Arbeitsunfall erlitten, für dessen Entschädigung die Beklagte zuständig sei. Die bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Beigeladene arbeitete bei ihrem Arbeitgeber im Rahmen des Teleworkings von zu Hause aus. Am 27.11.2013 verließ sie morgens zusammen mit ihrer 2008 geborenen Tochter ihre Wohnung, um diese mit dem Fahrrad zum Kindergarten zu bringen. Auf dem Rückweg vom Kindergarten nach Hause, wo sie im Rahmen des Teleworkings arbeiten wollte, stürzte sie bei Glatteis mit dem Fahrrad und brach das rechte Ellenbogengelenk. Der Klägerin entstanden für die Beigeladene Krankenbehandlungskosten in Höhe von 19 124,22 Euro. Die Klägerin meldete gegenüber der Beklagten ihren Erstattungsanspruch an, was diese ablehnte. Die Beklagte erließ zudem gegenüber der Beigeladenen einen Verwaltungsakt, mit dem sie Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnte, weil es sich bei dem Unfallereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Die Beigeladene selbst hat gegen diesen Verwaltungsakt keinen Widerspruch eingelegt.

Die Klage der Krankenkasse blieb vor SG und LSG ohne Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, die Zuständigkeit der Klägerin folge nicht bereits aus dem in Bestandskraft erwachsenen Verwaltungsakt der Beklagten gegenüber der Beigeladenen. Erstattungsansprüche seien eigenständig zu prüfende Ansprüche. Unabhängig hiervon habe die Beigeladene keinen versicherten Unfall erlitten. Ein Unfall auf einem Betriebsweg liege nicht vor, weil sie den Unfall nicht im Beschäftigungsbetrieb erlitten und sie zum Zeitpunkt des Unfallereignisses auch keinen Betriebsweg zurückgelegt habe. Ein Wegeunfall gemäß § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII liege nicht vor, weil die Beigeladene sich nicht auf einem direkten Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte befunden habe. Auch könne der Kindergarten nicht als dritter Ort anerkannt werden, weil der Aufenthalt dort nicht mindestens zwei Stunden angedauert habe. Die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 Nr. 2a SGB VII seien ebenfalls nicht erfüllt, weil durch diese Vorschrift nur bestimmte Um- oder Abwege in den Versicherungsschutz einbezogen würden. Es erscheine zudem fraglich, ob die Beigeladene das Kind überhaupt „wegen ihrer beruflichen Tätigkeit“ fremder Obhut anvertraut habe. Es liege auch kein Verstoß gegen Art 3 und Art 6 Abs 1 GG vor. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, zur Förderung der Familie jede denkbare den Versicherten günstige Regelung vorzusehen. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot scheide aus, weil kein Weg zum Ort der versicherten beruflichen Tätigkeit beim Arbeitgeber vorgelegen habe.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr. 2a SGB VII. Die Beigeladene habe ihr Kind in den Kindergarten gebracht, um ihrer Tätigkeit im Home Office nachgehen zu können. Im Lichte des Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 Abs 1 GG müsse auch der Weg vom Kindergarten zur Arbeitsstätte (hier: dem Home Office in der Wohnung) versichert sein.

(…)

Die Revision hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der klagenden Krankenkasse steht kein Erstattungsanspruch gegen die beklagte Unfallkasse wegen der an die Beigeladene erbrachten Leistungen zu. Die Klägerin war der zuständige Leistungsträger für die an die Beigeladene erbrachten Leistungen, sodass ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X ausscheidet. Dies folgt nicht bereits aus einer Bindungswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsakts (VA), mit dem die Beklagte gegenüber der Beigeladenen die Anerkennung des Sturzereignisses als Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII abgelehnt hat, denn die Klägerin war an der Verwaltungsentscheidung der Beklagten nicht iS des § 12 SGB X beteiligt. Der erkennende Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass dieser VA keine tatbestandliche Drittwirkung entfaltet. Folglich kann er von der Beklagten nicht als „Einwendung“ gegen das Erstattungsbegehren der Klägerin geltend gemacht werden. Dieses Erstattungsbegehren ist kein aus dem Versicherungsverhältnis abgeleiteter Anspruch. Einer Anfrage an die übrigen Senate des BSG, die dies teilweise bisher anders entschieden haben (§ 41 Abs 3 SGG), oder einer Vorlage an den Großen Senat des BSG zur Klärung einer Grundsatzfrage (§ 41 Abs 4 SGG) bedurfte es dennoch nicht, weil unabhängig von dem bereits gegenüber der Beigeladenen erlassenen, diese bindenden VA, das Ereignis vom 27.11.2013 unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein versicherter Arbeitsunfall iS des SGB VII war und die Beklagte daher materiell-rechtlich nicht der zuständige Sozialleistungsträger ist.

Die Beigeladene hat den Unfall zunächst nicht auf einem nach § 8 Abs 1 SGB VII versicherten Betriebsweg erlitten, weil nach den bindenden Feststellungen des LSG das Verbringen ihres Kindes in den Kindergarten weder in Ausübung ihrer versicherten Tätigkeit erfolgte noch dem Beschäftigungsunternehmen diente. Ebenso wenig handelte es sich um einen versicherten Wegeunfall nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII, der zunächst begriffsnotwendigerweise voraussetzt, dass der Ort des privaten Aufenthalts und der versicherten Tätigkeit, zwischen denen der Weg zurückgelegt wird, räumlich auseinanderfallen. Dies ist bei der Tätigkeit in einem Home-Office naturgemäß nicht der Fall. Versicherungsschutz auf dem Weg zur Arbeitsstätte besteht vorliegend auch nicht unter dem Aspekt des „Dritten Ortes“, weil dies eine Mindestaufenthaltsdauer von 2 Stunden in der Kita vorausgesetzt hätte, die hier nicht erreicht wurde. Die Beigeladene stand auch nicht nach § 8 Abs 2 Nr 2 Buchst a) SGB VII unter Versicherungsschutz. Hiernach ist auch das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Wegs versichert, um Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. Bereits aus dem Wortlaut der Norm folgt, dass es sich bei den dort genannten Verrichtungen nicht um von der Zurücklegung versicherter Wege nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII losgelöste Tätigkeiten handelt. Vielmehr muss von einem versicherten Weg, der hier aber gerade nicht vorliegt, zu dem Zweck, Kinder in fremde Obhut zu geben, abgewichen werden. Für eine Rechtsfortbildung zugunsten der Klägerin im Wege des Analogieschlusses fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke in § 8 Abs 2 Nr. 2 Buchst a) SGB VII. Es ist davon auszugehen, dass die Regelung vom Gesetzgeber im Jahre 1971 bewusst und abschließend getroffen wurde, was auch durch die unveränderte Übernahme der Norm bei der Eingliederung der RVO in das SGB VII bestätigt wird. Zwar mag die Möglichkeit, in einem „Home-Office“ zu arbeiten, ein in den 70iger Jahren noch nicht so verbreitetes Phänomen gewesen sein. Bekannt waren jedoch auch zum Zeitpunkt der Einführung der Norm als § 550 Abs 2 RVO im Jahre 1971 freiwillig, satzungsgemäß oder auch gesetzlich versicherte Selbständige, die ihrer versicherten Tätigkeit zu Hause nachgingen und bei denen sich die Frage nach dem Versicherungsschutz bei Verbringung von Kindern in fremde Obhut bereits damals stellte. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diesen Personenkreis bei seiner Formulierung übersehen hat. Es kann hier dahinstehen, ob im Rahmen eines Erstattungsstreits zwischen zwei grundsätzlich nicht grundrechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts überhaupt eine Verletzung der Grundrechte der Beigeladenen geltend gemacht werden kann. Art 6 GG räumt dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum bei der Förderung der Familie ein, der auch bei einer Geltendmachung eines Gleichheitsverstoßes iS des Art 3 Abs 1 GG zum Tragen kommt. Für den Fall der Arbeit in einem Home Office müsste eine Versicherung des Wegs zu einer Kinderbetreuung vom Senat im Wege der Rechtsfortbildung erst begründet werden. Eine solche Erweiterung des Versicherungsschutzes obliegt aber dem sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

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Annette Hochheim
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Sozialrecht

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Katja Seiffart
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Sozialrecht

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