Startseite | Aktuelles | Führt eine Abrede, die über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes hinausgeht, zur Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots?

Führt eine Abrede, die über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes hinausgeht, zur Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots?

Führt eine Abrede, die über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes hinausgeht, zur Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots?
Frage des Tages
21.05.2022

Führt eine Abrede, die über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes hinausgeht, zur Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots?

Nein, meint das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung aus dem Jahr 2021 (BAG, Urt. v. 16.12.2021 – 8 AZR 498/20). In den Entscheidungsgründen heißt es:

„c) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten führt der Umstand, dass die in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags getroffene Abrede eine über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgehende Anrechnung vorsieht, nicht zur Unverbindlichkeit des gesamten Wettbewerbsverbots, die – wie die Beklagte meint – dann zur Folge hätte, dass die Klägerin, die sich an das Wettbewerbsverbot gehalten hat, die Anrechnungsvereinbarung in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags gegen sich gelten lassen müsste. Vielmehr führt der Verstoß gegen die Vorgaben des § 74c Abs. 1 HGB nach § 75d Satz 1 HGB dazu, dass nur die in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags getroffene Vereinbarung insoweit für die Klägerin unverbindlich ist, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgeht.

aa) Gemäß § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB muss sich der Arbeitnehmer auf die fällige Entschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Ist der Arbeitnehmer durch das Wettbewerbsverbot gezwungen worden, seinen Wohnsitz zu verlegen, tritt nach Satz 2 der Bestimmung an die Stelle des Betrags von einem Zehntel der Betrag von einem Viertel. Mit der gesetzlich bestimmten Anrechnung des Erwerbs aus einer anderweitigen Verwertung der Arbeitskraft will das Gesetz nur verhindern, dass der Arbeitnehmer Karenzentschädigung erhält, obwohl er durch das Wettbewerbsverbot keine wesentlichen beruflichen Nachteile erleidet (vgl. BAG 27. Februar 2019 – 10 AZR 340/18 – Rn. 29, BAGE 166, 36), und damit einer ´Übersicherung´ des Arbeitnehmers entgegenwirken (vgl. EBJS/Boecken/Rudkowski 4. Aufl. § 74c Rn. 2; MüKoHGB/Thüsing 5. Aufl. HGB § 74c Rn. 2). Ziel der Regelung ist es hingegen nicht, den Arbeitgeber zu entlasten (BAG 27. Februar 2019 – 10 AZR 340/18 – aaO). Nach § 74c Abs. 1 HGB findet die in dieser Bestimmung vorgesehene Anrechnung kraft Gesetzes unabhängig davon statt, ob die Anrechenbarkeit anderweitig erzielten oder aufgrund böswilligen Unterlassens nicht erzielten Erwerbs in einer Wettbewerbsvereinbarung ausdrücklich geregelt oder auch nur erwähnt wird.

bb) Im vorliegenden Verfahren haben die Parteien in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags eine Anrechnung vereinbart, die über die hier einschlägigen Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgeht. Der Arbeitsvertrag sieht nämlich insoweit eine uneingeschränkte Anrechnung vor.

cc) Dieser Umstand führt nach § 75d Satz 1 HGB allerdings nicht zur Unverbindlichkeit des gesamten Wettbewerbsverbots, sondern dazu, dass die in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags getroffene Vereinbarung insoweit für die Klägerin unverbindlich ist, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgeht.

(1) Gemäß § 75d Satz 1 HGB (analog) kann sich der Arbeitgeber auf eine Vereinbarung, durch die von den Vorschriften der §§ 74 bis 75c HGB zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen wird, nicht berufen. Das gilt nach Satz 2 der Regelung auch von Vereinbarungen, die bezwecken, die gesetzlichen Vorschriften über das Mindestmaß der Entschädigung durch Verrechnungen oder auf sonstige Weise zu umgehen. Danach sind insbesondere Vereinbarungen über die Anrechenbarkeit anderweitig erzielten oder aufgrund böswilligen Unterlassens nicht erzielten Verdienstes über die in § 74c Abs. 1 HGB normierten Grenzen hinaus unzulässig, wobei Rechtsfolge eines solchen Verstoßes nach § 75d Satz 1 HGB weder die Nichtigkeit des Wettbewerbsverbots noch seine vollständige Unverbindlichkeit, sondern die Unverbindlichkeit der einzelnen vom Gesetz abweichenden Vereinbarung ist. § 75d HGB stellt sicher, dass die Vorgaben der §§ 74 ff. HGB zugunsten der Arbeitnehmer zwingend sind (vgl. BAG 14. Juli 1981 – 3 AZR 515/78 – zu II 1 der Gründe, BAGE 37, 26). Es soll verhindert werden, dass der über diese Bestimmungen vermittelte Schutz ins Leere läuft. Das gilt auch in solchen Fällen, in denen nach der vertraglichen Anrechnungsvereinbarung die Anrechenbarkeit anderweitigen Erwerbs in voller Höhe stattfinden soll und die vertragliche Vereinbarung insoweit darauf zielt, die zugesagte Karenzentschädigung unter Umständen auf ´Null´ zu reduzieren (im Ergebnis bereits BAG 25. Juni 1985 – 3 AZR 305/83 – zu II 1 der Gründe, BAGE 49, 109; offengelassen von BAG 31. Januar 2018 – 10 AZR 392/17 – Rn. 13, BAGE 162, 12; 14. September 2011 – 10 AZR 198/10 – Rn. 14 ff.).

(2) Allerdings wird im Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Bauer/Diller Wettbewerbsverbote 8. Aufl. Rn. 477 ff.; NK-GA/Reinhard § 74c HGB Rn. 18; BeckOGK/Ittmann Stand 15. September 2021 HGB § 75d Rn. 6) verbreitet angenommen, eine zu weitreichende vertragliche Anrechnungsregelung führe zu einer Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots insgesamt und nicht lediglich zur Unverbindlichkeit der die gesetzlichen Vorgaben übersteigenden Anrechnungsregelung. Dabei wird im Wesentlichen darauf abgestellt, dass durch eine Vereinbarung, die abweichend von § 74c Abs. 1 HGB eine weitergehende Anrechnung anderweitigen Erwerbs vorsieht, die Zusage einer Mindestentschädigung ´absolut infrage gestellt´ werde (zB BeckOGK/Ittmann aaO Rn. 8.4) bzw. dass die Auswirkungen einer die Grenzen des § 74c Abs. 1 HGB überschreitenden Anrechnungsvereinbarung wirtschaftlich keine anderen seien als bei einer von vornherein zu geringen Karenzentschädigung (Bauer/Diller aaO Rn. 479).

(3) Dem folgt der Senat nicht. Vielmehr hält er an der bereits unter Rn. 37 dargestellten Rechtsprechung fest, wonach eine über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 HGB hinausgehende Vereinbarung nicht die Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots als solches zur Folge hat, sondern nur dazu führt, dass die konkrete Anrechnungsvereinbarung insoweit unverbindlich (§ 75d Satz 1 HGB) ist, als sie über die gesetzliche Regelung in § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgeht und vorsieht, dass anderweitiger Erwerb in voller Höhe auf die Karenzentschädigung anzurechnen ist.

(a) Das Handelsgesetzbuch unterscheidet in den §§ 74 ff. – je nach konkretem Inhalt der Vereinbarung – ausdrücklich zwischen der Rechtsfolge der Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots und der Unverbindlichkeit einer konkreten Vereinbarung, durch die von den Vorschriften der §§ 74 bis 75c HGB zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen wird. Es ordnet die vollständige Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots in § 74 Abs. 2 HGB lediglich für den Fall an, dass die vereinbarte Karenzentschädigung die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB unterschreitet. Demgegenüber ist nach § 74a Abs. 1 HGB eine differenzierte Betrachtung geboten. Nach § 74a Abs. 1 Satz 1 HGB ist das Wettbewerbsverbot nur insoweit unverbindlich, als es nicht zum Schutze eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Prinzipals dient. Und nach § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB ist das Wettbewerbsverbot ferner unverbindlich, soweit es unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung nach Ort, Zeit oder Gegenstand eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Gehilfen enthält. Demgegenüber ordnet § 75d HGB für den Fall, dass durch eine Vereinbarung von den Vorschriften der §§ 74 bis 75c HGB zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen wird, nicht die vollständige oder teilweise Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots an, sondern bestimmt, dass der Prinzipal sich auf diese abweichende Vereinbarung nicht berufen kann. Damit ist eine solche Vereinbarung für den Arbeitnehmer nur im zulässigen Umfang verbindlich. Es kommt kraft Gesetzes zu einer geltungserhaltenden Reduktion auf das gesetzlich zulässige Maß.

(b) Davon abgesehen gebietet es der Zweck des § 75d HGB, an zu weitreichende, weil die Vorgaben des § 74c Abs. 1 HGB übersteigende vertragliche Anrechnungsregelungen nicht die Rechtsfolge der Unverbindlichkeit des gesamten Wettbewerbsverbots zu knüpfen, sondern die Anrechnungsregelung nur insoweit als für den Arbeitnehmer unverbindlich anzusehen, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB hinausgeht (so auch für bloße Nebenabreden zum Wettbewerbsverbot: BeckOGK/Ittmann Stand 15. September 2021 HGB § 75d Rn. 8; MüKoHGB/Thüsing 5. Aufl. HGB § 75d Rn. 4, 5). Würde der Fall einer überschießenden Anrechnungsregelung mit der Zusage einer zu niedrigen Karenzentschädigung gleichgestellt, würde, sofern der Arbeitnehmer sein ihm dann konsequenterweise zuzubilligendes Wahlrecht dahin ausüben sollte, sich an die Wettbewerbsvereinbarung zu halten, der durch § 74c Abs. 1 HGB bezweckte Arbeitnehmerschutz nicht gewährleistet. Der Arbeitnehmer müsste dann nämlich auch die von § 74c Abs. 1 HGB abweichende Anrechnungsregelung gegen sich gelten lassen. Ein solches Ergebnis wäre mit dem Zweck des § 75d HGB, sicherzustellen, dass ua. die Vorgaben des § 74c Abs. 1 HGB zugunsten der Arbeitnehmer zwingend sind, unvereinbar.

dd) Es kann im Übrigen im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob die in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags getroffene Anrechnungsvereinbarung einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB zu unterziehen ist oder ob die in den §§ 74 ff. HGB getroffenen Regelungen als leges speciales einer Inhaltskontrolle entgegenstehen. Auch dann, wenn § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht standhalten sollte, würde sich an dem Ergebnis, dass eine Anrechnung erzielten oder böswillig unterlassenen Erwerbs nur in dem in § 74c Abs. 1 HGB gesetzlich vorgesehenen Umfang stattfinden würde, nichts ändern. Angesichts der sprachlichen und inhaltlichen Teilbarkeit von § 15 Satz 3 des Arbeitsvertrags würde im Fall der Unwirksamkeit der in § 15 Satz 3 Halbs. 2 des Arbeitsvertrags getroffenen Vereinbarung nach § 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB diese Vertragsbedingung unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen entfallen. Dies hätte zur Folge, dass die Klägerin sich von Gesetzes wegen nach § 74c Abs. 1 HGB auf die Karenzentschädigung das anrechnen lassen müsste, was sie während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung ihrer Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihr bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um nicht mehr als ein Zehntel übersteigen würde.

(1) Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise unwirksam, bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB) und sein Inhalt richtet sich insoweit nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). § 306 Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des § 139 BGB, wonach im Fall der Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde (vgl. etwa BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 42). Demzufolge hat § 306 Abs. 1 BGB die Vertragserhaltung und damit in erster Linie den Schutz des Vertragspartners des Verwenders zum Ziel, denn dieser hat regelmäßig ein Interesse daran, dass nur die unbilligen Abreden entfallen und der Vertrag im Übrigen bestehen bleibt (vgl. etwa BGH 13. November 1997 – IX ZR 289/96 – zu II 2 b der Gründe, BGHZ 137, 153). Entsprechend dem ihm immanenten Vertragserhaltungsgedanken berücksichtigt § 306 Abs. 1 BGB, dass Klauseln nur teilweise unwirksam sein können und ordnet den Wegfall der Bestimmungen nur ´insoweit´ an, als diese der Inhaltskontrolle nicht standhalten (vgl. etwa BAG 25. Februar 2021 – 8 AZR 171/19 – Rn. 72).

(2) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Teilbarkeit einer Bestimmung durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln (vgl. etwa BAG 30. September 2014 – 3 AZR 930/12 – Rn. 36, BAGE 149, 200; 9. Februar 2011 – 7 AZR 91/10 – Rn. 64; 12. März 2008 – 10 AZR 152/07 – Rn. 28). Maßgeblich ist, ob die Klausel mehrere sachliche Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abgrenzbar ist. Verbleibt nach ´Wegstreichen´ der unwirksamen Teilregelung oder des unwirksamen Klauselteils eine verständliche Regelung, bleibt diese bestehen (sog. blue-pencil-test, vgl. etwa BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 43; 19. Oktober 2011 – 7 AZR 33/11 – Rn. 69; 14. September 2011 – 10 AZR 526/10 – Rn. 27, BAGE 139, 156).

(3) Die in § 15 Satz 3 des Arbeitsvertrags enthaltene Regelung ist inhaltlich und sprachlich teilbar. Nach ´Wegstreichen´ des zweiten Halbsatzes, der die Anrechnung anderweitigen Erwerbs betrifft, ist die Regelung in Halbs. 1, wonach für die Dauer des Verbots eine Karenzentschädigung in Höhe der Hälfte der vom Arbeitnehmer zuletzt bezogenen Vergütung gezahlt wird, ohne Weiteres verständlich.“

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