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Macht sich der mit der Lohnbuchhaltung beauftragte Steuerberater schadensersatzpflichtig, wenn er nicht auf Zweifel hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers hinweist?

Macht sich der mit der Lohnbuchhaltung beauftragte Steuerberater schadensersatzpflichtig, wenn er nicht auf Zweifel hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers hinweist?
Aktuelles
27.12.2022

Macht sich der mit der Lohnbuchhaltung beauftragte Steuerberater schadensersatzpflichtig, wenn er nicht auf Zweifel hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers hinweist?

Ja, das ist denkbar. Mit einem solche Fall hat sich im Jahr 2022 etwa das Oberlandesgericht (OLG) Hamm befasst (OLG Hamm, Urt. v. 08.04.2022 – 25 U 42/20, DB 2022, 1381).

In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„a)

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte schuldhaft eine Nebenpflicht aus dem Steuerberatervertrag bezüglich der Lohnbuchführung verletzt hat.

aa)

Pflichten in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Status können sich für den Steuerberater bei Übernahme einer – auch bereits laufenden – Lohnbuchhaltung ergeben (Gräfe, in: Gräfe/Lenzen/Wollweber, Steuerberaterhaftung, 7. Aufl. 2021, Rn. 911). Der Steuerberater ist zwar zu einer Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen weder berechtigt noch verpflichtet (BGH, Urteil vom 12.02.2004, IX ZR 246/02 juris Rn. 12). Allerdings ist in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen eine vertragliche Schadensverhütungspflicht denkbar (BGH a. a. O.). So ist der Steuerberater grundsätzlich als zu einer Prüfung verpflichtet angesehen worden, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kommt, wenn Beiträge nicht abgeführt werden (BGH, Urteil vom 23.09.2004, IX ZR 148/03, juris Rn. 13 = DStR 2004, 1979, 1980 unter III. 1.). Sofern er bei der Prüfung einer Beitragspflicht oder bei der Berechnung der Höhe der abzuführenden Beiträge auf Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art stößt oder sich die Rechtslage unklar darstellt, darf er den sich stellenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen nicht selbst nachgehen, sondern hat seinem Mandanten anheim zu stellen, einen mit den notwendigen Erfahrungen ausgestatteten Rechtsanwalt aufzusuchen (BGH a. a. O.; ebenso BGH, Urteil vom 12.02.2004, IX ZR 148/03 juris Rn. 13); alternativ könnte er raten, die Beitragspflicht bei dem Sozialversicherungsträger nach § 7a SGB IV oder § 28h Abs. 2 SGB IV selbst prüfen zu lassen (Zieglmeier DStR 2020, 230, 238; Gräfe a. a. O.; vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.2019, IX ZR 115/18 juris Rn. 3, 5, in dem die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts unbeanstandet geblieben sind).

bb)

Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung, der sich der Senat aufgrund eigener Prüfung anschließt, war die Beklagte bei Übernahme des Mandats Lohnbuchhaltung nicht zu einer Beratung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht verpflichtet und musste deshalb auch nicht selbst prüfen, ob es sich bei der Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer um eine Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV handelte; insbesondere hatte sie nicht zu prüfen, ob die Tätigkeit als selbstständig zu qualifizieren war. Allerdings hatte sie zu prüfen, ob eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kam.

Dies war gerade unter Berücksichtigung des der Beklagten unstreitig im Rahmen des Erstgesprächs vom 19.06.2014 vorgelegten Gesellschaftsvertrags fraglich. Danach war die vorgefundene gesellschaftsrechtliche Konstellation dadurch gekennzeichnet, dass alle drei Gesellschafter zu je 1/3 Anteil am Kapital beteiligt waren und dementsprechend keiner von ihnen in der Lage war, sich ihm nicht genehmen Weisungen zu widersetzen.

Für derartige Fallgestaltungen gab es bereits zum Zeitpunkt der Übernahme der Lohnbuchhaltung Rechtsprechung des BSG, nach der grundsätzlich von einer Sozialversicherungspflicht auszugehen war, sofern der jeweilige Gesellschafter-Geschäftsführer nicht über eine Sperrminorität verfügte, die ihn in die Lage versetzte, Weisungen abzuwehren, oder sich aus dem Anstellungsvertrag eine im Wesentlichen weisungsfreie und wirtschaftlich für ein eigenes Unternehmen ausgeübte Tätigkeit ergab (z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, 7 Rar 12/92, juris Rn. 18 m. w. N.).

Es kann letztlich dahingestellt bleiben, inwiefern der Beklagten die Rechtsprechung des BSG zur sozialversicherungsrechtlichen Stellung von Gesellschafter-Geschäftsführern im Einzelnen bekannt sein musste. Denn zumindest musste ihr bewusst sein, dass die Einordnung der Tätigkeit von Gesellschaftern als selbstständig oder nicht selbstständig zweifelhaft war. Sie musste wissen, dass sich die Beurteilung der Beschäftigung nach § 7 SGB IV richtet und nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Maß der persönlichen Abhängigkeit für die Abgrenzung zwischen selbstständiger oder nicht selbstständiger Tätigkeit entscheidend ist: Während die nicht selbstständige Tätigkeit durch die Eingliederung in einen fremden Betrieb bei gleichzeitigem Weisungsrecht des Arbeitgebers bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit gekennzeichnet ist, zeichnet sich demgegenüber die selbstständige Tätigkeit durch Übernahme des Unternehmerrisikos und die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft bei im Wesentlichen frei gestalteter Tätigkeit und Arbeitszeit im eigenen Betrieb aus (Rittweger, in: BeckOK Sozialrecht, 63. Ed., Stand: 01.12.2021, § 7 Rn. 4 m. w. N.).

Diese Maßstäbe gelten ohne Weiteres auch für die Gesellschafter einer GmbH und waren damit von der Beklagten für die Gesellschafter der Klägerin anzuwenden, die als Geschäftsführer für diese tätig werden sollten. Dabei musste sich die Frage aufdrängen, inwiefern angesichts des Vorhandenseins von drei in gleicher Weise beteiligten und damit gleichberechtigten Gesellschaftern eine freie Gestaltung der Tätigkeit der einzelnen Gesellschafter unabhängig von den beiden anderen Gesellschaftern möglich war. Dies war als sozialversicherungsrechtliche Schwierigkeit zu qualifizieren, die die Inanspruchnahme anwaltlichen Rats oder die Verweisung an die Einzugsstelle nach § 28h SGB IV nahe legte.

Hinzu kam, dass bei Übernahme der Lohnbuchhaltung noch keine Betriebsprüfung vorangegangen war, in der die sozialversicherungsrechtliche Einordnung unbeanstandet geblieben war, denn die Beklagte hatte die Lohnbuchhaltung im Zusammenhang mit der Neugründung der Klägerin übernommen.

Des Weiteren war die Einordnung in krankenversicherungsrechtlicher Hinsicht angesichts der sonstigen Betätigungen der Gesellschafter-Geschäftsführer, zu denen die Beklagte nunmehr näher ausführt, im Hinblick auf § 5 Abs. 5 SGB V fraglich.

Jedenfalls aufgrund einer Gesamtbetrachtung der vorgenannten Unsicherheiten musste die Beklagte die Klägerin deshalb darauf hinweisen, dass die Einholung anwaltlichen Rats oder die Einleitung eines Prüfungsverfahrens beim Sozialversicherungsträger im Interesse der Klägerin geboten war. Dies hat die Beklagte bereits nach ihrem eigenen Vortrag nicht getan.

Die Beklagte durfte sich entgegen ihrer Auffassung nicht darauf beschränken, im Rahmen der Meldung gemäß § 28a Abs. 3 S. 2 Nr. 1. e) SGB IV zusätzlich jeweils anzugeben, dass es sich um eine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt. Richtig ist, dass dieser Inhalt der Meldung dem Ziel dient, sofort durch das Statusfeststellungsverfahren verbindlich festzustellen, ob es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handelt oder nicht; dies folgt aus der Verpflichtung der Einzugsstelle nach § 7a Abs. 1 S. 2 SGB IV, einen Antrag auf Feststellung einer Beschäftigung zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers nach § 28a SGB IV ergibt, dass der Beschäftigte geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist. Allerdings musste die Beklagte pflichtgemäß im Interesse der Klägerin sicherstellen, dass der sozialversicherungsrechtliche Status ihrer Gesellschafter-Geschäftsführer geklärt wurde. Diesen Anforderungen genügte sie nicht, indem sie die Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens in die Hände der Einzugsstelle legte, auch wenn diese gesetzlich zur Antragstellung verpflichtet war. Denn dies barg, wie der vorliegende Sachverhalt zeigt, das Risiko, dass eine Antragstellung seitens der Einzugsstelle – aus welchen Gründen auch immer – unterblieb. Nach den Feststellungen des Senats hat die Einzugsstelle für die Gesellschafter-Geschäftsführer nämlich keinen Antrag nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV gestellt. Laut den Auskünften der B, die von keiner der Parteien angezweifelt worden sind, hat vor der Betriebsprüfung jeweils kein Statusfeststellungsverfahren betreffend die Gesellschafter der Klägerin stattgefunden; dies entspricht dem Bescheid der B vom 17.12.2018, wonach ein Statusfeststellungsverfahren bei den Einzugsstellen oder bei der Clearingstelle der B nicht beantragt bzw. geführt wurde, und den Erklärungen der Geschäftsführer der Klägerin im Rahmen der persönlichen Anhörung vom 19.03.2021. Die Beklagte hätte sich jedenfalls für eine pflichtgerechte Erfüllung des ihr erteilten Auftrags nicht auf eine Antragsstellung der Einzugsstelle verlassen dürfen und mindestens zeitnah zur Meldung abklären müssen, ob ein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet worden war. Dies ist nicht geschehen.

b)

Hätte die Beklagte bei Übernahme des Mandats an einen sachkundigen Rechtsanwalt verwiesen oder zu einer eigenen Antragstellung der Klägerin i.S.v. § 7a SGB IV oder § 28h Abs. 2 SGB IV geraten, dann hätte sich unter Zugrundelegung des ursprünglich geschlossenen Gesellschaftsvertrages jeweils ergeben, dass die Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer als Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV einzuordnen war, eine Sozialversicherungspflicht also bestand. Hierzu wäre es letztlich auch gekommen, wenn die Beklagte wegen der Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens zeitnah Nachfrage gehalten hätte. Dann hätte sie in Erfahrung gebracht, dass ein solches Verfahren nicht eingeleitet worden war. Sofern das Verfahren nicht aufgrund der Nachfrage in Gang gesetzt worden wäre, hätte die Beklagte bei pflichtgemäßem Verhalten ebenfalls die Inanspruchnahme anwaltlichen Rats oder die Einleitung eines sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens anheimstellen müssen, die jeweils ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ergeben hätten.

Die Gesellschafter hätten dieses Ergebnis zum Anlass genommen, den Gesellschaftsvertrag abzuändern und eine Sperrminorität zu vereinbaren, durch die verhindert wurde, dass sie sich ihnen nicht genehmen Weisungen beugen mussten. Dieser weitere Verlauf der Dinge entspricht, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, der deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit, wodurch den durch § 287 ZPO abgemilderten Anforderungen für die Bejahung der haftungsausfüllenden Kausalität genügt wird. Für das behauptete Verhalten der Gesellschafter spricht zwar kein Anscheinsbeweis, da es angesichts der damit verbundenen Auswirkungen auf die Unternehmensführung nicht schon durch die Lebenserfahrung nahe gelegt wird. Allerdings konnte über die Vereinbarung einer Sperrminorität erreicht werden, dass die Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer von der Sozialversicherungspflicht befreit war und somit keine Sozialversicherungsabgaben zu zahlen waren. Dies entsprach schon im Jahr 2014 der Rechtsprechung der Sozialgerichte; bereits in dem vorerwähnten Urteil des BSG vom 24.09.1992 (7 Rar 12/92, juris Rn. 18 m. w. N.) wurde die Vereinbarung einer Sperrminorität als in der Rechtsprechung des BSG entschiedene Konstellation bezeichnet, in der ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen ist. Mit der Vereinbarung der Sperrminorität gingen erhebliche finanzielle Vorteile für die neu gegründete Klägerin einher, so dass sie einem anzunehmenden Interesse der Klägerin und zugleich der an ihr wirtschaftlich beteiligten Gesellschafter entsprach. Indiz dafür, dass die Gesellschafter der Klägerin seinerzeit gemäß dieser Interessenlage gehandelt hätten, ist das entsprechende Verhalten bei Aufdeckung des Schadens. Die Argumentation der Beklagten, die Änderung des Gesellschaftsvertrags nur im Hinblick auf den beabsichtigten Steuerberaterregress vorgenommen zu haben, verfängt demgegenüber nicht. Es ist wenig nachvollziehbar, warum die Gesellschafter-Geschäftsführer sich für die Zukunft in der von der Beklagten beschriebenen Weise binden und wechselseitig erheblich und nur schwer reversibel in der Unternehmensführung einschränken sollten, um eine, wenn auch nicht unerhebliche, so doch begrenzte Schadensersatzforderung geltend machen zu können. Anders als die Beklagte sieht der Senat keine erhebliche Zeitverzögerung zwischen der Betriebsprüfung und der Änderung des Gesellschaftsvertrages, die gegen den angenommenen Kausalverlauf sprechen könnte. Die im August 2018 begonnene Betriebsprüfung endete mit dem Erlass des Nachzahlungsbescheids vom 17.12.2018, die Änderung des Gesellschaftsvertrags datiert vom 12.12.2018. Unabhängig davon war den Gesellschafter-Geschäftsführern auch eine gewisse Überlegungs- und Organisationszeit zuzubilligen.

Bei Vereinbarung einer Sperrminorität wären die Beschäftigungsverhältnisse der Gesellschafter-Geschäftsführer nicht als sozialversicherungspflichtig eingeordnet worden, und die Klägerin hätte die auf die Person ihrer Geschäftsführer entfallenden Beiträge nicht nachzahlen müssen.

c)

Als Schaden kann die Klägerin die Nachzahlungsbeträge für ihre Gesellschafter von der Beklagten erstattet verlangen. Dies sind für den Gesellschafter A 42.783,89 EUR, für den Gesellschafter K 42.365,03 EUR und für den Gesellschafter C 20.697,88 EUR, insgesamt 105.846,80 EUR. Die Differenz i.H.v. 588,56 EUR zur Klageforderung i.H.v. 106.435,36 EUR entspricht dem Nachzahlungsbetrag für die Mitarbeiterin D, wie der Anlage der Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs. 1 SGB IV bezüglich der DAK-Gesundheit als Einzugsstelle zu entnehmen ist. Um diesen Betrag war die geltend gemachte Schadenssumme zu kürzen.

aa)

Steuervorteile der Klägerin, wie sie sich aufgrund einer Gewinnminderung durch die Nachzahlung ergeben können, sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht anzurechnen, wenn auch die Schadensersatzleistung ihrerseits zu versteuern ist; etwas anderes würde nur gelten, wenn der Schädiger Umstände darlegt, die auf das Verbleiben außergewöhnlicher Steuervorteile schließen lassen (Gräfe, in: Gräfe/Wollweber/Schmeer Rn. 2135 m. w. N.). Hierzu hat die Beklagte keinen ausreichenden Vortrag unterbreitet, indem sie sich auf die Behauptung der Ersparnis von Körperschaft- und Gewerbesteuer aufgrund der Minderung des Gewinns durch die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge beschränkt hat.

bb)

Etwaige Vorteile der Gesellschafter aus der Sozialversicherungspflicht sind für den im Rahmen der Schadensermittlung anzustellenden Gesamtvermögensvergleich nicht im Wege einer konsolidierten Schadensbetrachtung einzubeziehen. Die Voraussetzungen für eine konsolidierte Schadensbetrachtung liegen nicht vor.

Die konsolidierte Schadensbetrachtung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass Bezugspunkt für den im Rahmen der Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung erforderlichen Gesamtvermögensvergleich nur das Vermögen des Geschädigten und nicht dasjenige eines Dritten ist (BGH, Urteil vom 05.02.2015, IX ZR 167/13, NJW 2015, 1373, 1374 Rn. 11; Urteil vom 08.09.2016, IX ZR 255/13, NJW-RR 2017, 566, 567 Rn. 12 f.; Urteil vom 06.06.2019, IX ZR 115/18, BeckRS 2019, 13442 Rn. 12; Urteil vom 01.10.2020, IX ZR 228/19, NJW 2021, 1163, 1164 Rn. 15 ff.; Gräfe, in: Gräfe/Wollweber/Schmeer Rn. 1729). Anerkannt worden ist diese Ausnahme insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögenswerten an Familienangehörige oder innerhalb eines Unternehmensverbundes (BGH NJW-RR 2017, 566, 567 Rn. 13; NJW 2021, 1163, 1164 Rn. 19; Gräfe a. a. O.). Die Auswirkungen der Pflichtverletzung auf das Vermögen eines Dritten sind in der Schadensbetrachtung zu berücksichtigen, wenn die Einbeziehung der Vermögensinteressen des Dritten nach dem Inhalt des Beratungsvertrags geschuldet war; zusätzlich muss es sich bei dem Vermögen mehrerer unterschiedlicher Rechtsträger wirtschaftlich um dieselbe Vermögensmasse handeln (BGH NJW 2021, 1163, 1164 Rn. 15 ff., insbes. Rn. 16, 17). Maßgeblich für die Frage, ob die Vermögensinteressen Dritter bei der Steuerberatung zu berücksichtigen sind, ist der Inhalt des konkret erteilten Auftrages (BGH NJW 2015, 1373, 1374 Rn. 12; NJW-RR 2017, 566, 567 Rn. 13; BeckRS 2019, 13442 Rn. 12; NJW 2021, 1163, 1164 Rn. 15; Senat, Urteil vom 04.05.2021, I-25 U 26/19 juris Rn. 106 ff., insbes. Rn. 108, Gräfe a. a. O.).

In der Vergangenheit hat der 9. Zivilsenat des BGH für eine Einmann-GmbH und deren Gesellschafter eine konsolidierte Schadensbetrachtung abgelehnt; hier ging es um die Frage, ob der Schaden der Gesellschaft infolge der Anrechnung der zusätzlichen Steuerbelastung der Gesellschaft wegen einer verdeckten Gewinnausschüttung auf die persönliche Einkommensteuerschuld des Alleingesellschafters entfällt (BGH, Urteil vom 18.12.1997, IX ZR 153/96, DStRE 1998, 334, 335 unter 4. b)). In einer neueren, bereits zitierten Entscheidung vom 06.06.2019 (IX R 115/18, BeckRS 2019, 13442) hat der 9. Zivilsenat für den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH die Möglichkeit einer konsolidierten Schadensbetrachtung im Zusammenhang mit der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen abhängig vom erteilten Auftrag hingegen in Erwägung gezogen. Auch der 23. Zivilsenat des OLG Düsseldorf ist in seinem Hinweisbeschluss vom 09.07.2020 zu einer solchen Fallkonstellation von einer konsolidierten Schadensbetrachtung ausgegangen (I-23 U 70/20, BeckRS 2020, 23810, Rn. 15). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 04.05.2021 eine konsolidierte Schadensbetrachtung bezüglich einer GmbH und ihrer Gesellschafter bei Versäumnissen des Steuerberaters betreffend das steuerliche Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG vorgenommen, weil die streitgegenständliche Beratungspflicht im Wesentlichen auf den Schutz der Interessen der Gesellschafter abgezielt habe, die am Ende die tatsächlichen Steuerpflichtigen gewesen seien (I-25 U 26/19, juris Rn. 108).

Der Inhalt des im vorliegenden Rechtsstreit in Rede stehenden Auftrags zur Lohnbuchhaltung war indes nicht darauf gerichtet, auch die Vermögensinteressen der Gesellschafter der Klägerin zu berücksichtigen. Die Beklagte war, wie ausgeführt, zu einer Beratung der Klägerin in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten nicht verpflichtet; eine solche Beratungspflicht hat hingegen offenbar das OLG Düsseldorf seinen Ausführungen zugrunde gelegt (a. a. O.). Die angenommene Schadensverhütungspflicht ergab sich als Nebenpflicht aus dem einfachen Auftrag zur Lohnbuchhaltung. Aufgrund dieses Auftrags hatte die Beklagte dafür Sorge zu tragen, dass die Klägerin ihren öffentlichrechtlichen Pflichten im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Abgaben nachkam. Nach den maßgeblichen öffentlichrechtlichen Regelungen sind die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen, § 28d S. 1 SGB IV; Gleiches gilt für den Beitrag zur Pflegeversicherung für einen in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten, § 28d S. 2 SGB IV. Diesen Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber zu zahlen, § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV. Er hat im Ausgleich gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, § 28g S. 1 SGB IV, der nur durch – zeitlich grundsätzlich auf die drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen begrenzten – Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden kann, § 28g S. 2 und 3 SGB IV. Die Pflicht zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags trifft also ausschließlich den Arbeitgeber; nur seine öffentlichrechtliche Verpflichtung wird mithilfe des zur Lohnbuchhaltung beauftragten Steuerberaters erfüllt. Der im Verhältnis zum Arbeitnehmer vorzunehmende Beitragsabzug liegt ebenfalls ausschließlich in seinem Interesse. Die hier in Rede stehende vertragliche Schadensverhütungspflicht ist in diesen Kontext einzuordnen. Sie soll verhindern, dass dem Mandanten vermeidbare Nachteile aus der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung ihrer Mitarbeiter entstehen. Auch diese Nachteile wirken sich wegen der allein ihn treffenden Beitragszahlungsverpflichtung ausschließlich beim Arbeitgeber aus. Der Arbeitnehmer ist nur reflexhaft betroffen, weil die Frage der Beschäftigung nur einheitlich geklärt werden kann. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber – und das auch nur zeitlich begrenzt – den Abzug nachholen kann, stellt keinen ausreichenden Grund dar, auf Seiten des Arbeitgebers ein Interesse an der Einbeziehung seiner Interessen in den Lohnbuchhaltungsauftrag anzunehmen, da dieser Abzug, wie oben ausgeführt, allein dem Interesse des Arbeitgebers zuzuordnen ist.

Jedenfalls für ´einfache´ Mitarbeiter, denen nicht zugleich eine Gesellschafterstellung zukommt, ergibt sich danach kein Anlass, eine Einbeziehung ihrer Interessen in den Lohnbuchhaltungsauftrag anzunehmen; damit korrespondiert, dass auch eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Steuerberatervertrages, die sich gewissermaßen als Spiegelbild der konsolidierten Schadensbetrachtung darstellt (vgl. BGH NJW-RR 2017, 566, 567 Rn. 12), bezüglich des Lohnsteuerabzugs mit vergleichbarer Argumentation abgelehnt wird (OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 14.09.2017, 8 U 240/16, DStRE 2018, 1275, 1276 Rn. 19).

Aber auch die Gesellschafterstellung von Mitarbeitern rechtfertigt keine andere Beurteilung. Allein ihre Doppelstellung als Mitarbeiter und Gesellschafter vermag nicht zu begründen, dass der Steuerberater im Rahmen der Lohnbuchhaltung verpflichtet ist, ihre sozialversicherungsrechtlichen Interessen wahrzunehmen. Ausgangspunkt der Betrachtung hat der von der Gesellschaft erteilte Auftrag zu sein. Danach stellt sich der Umstand, dass die Gesellschafter durch die Partizipation am wirtschaftlichen Ergebnis der Gesellschaft mittelbar betroffen sind, lediglich als Reflex des an den Interessen der Gesellschaft orientierten Handelns des Steuerberaters dar. Dieser Aspekt genügt nicht, um den Grundsatz der formalen Trennung der betroffenen Vermögensmassen der personen- und vermögensrechtlichen selbstständigen GmbH (vgl. § 13 Abs. 1 und 2 GmbHG) und ihrer Gesellschafter zu durchbrechen. Würde das bloße mittelbare wirtschaftliche Interesse des Gesellschafters ausreichen, wäre im Ergebnis in jedem Fall, in dem eine GmbH Schadensersatz begeht, eine konsolidierte Schadensbetrachtung unter Beteiligung der Gesellschafter vorzunehmen. Hierdurch würde der Grundsatz, dass Bezugspunkt des Gesamtvermögensvergleichs das Vermögen des Geschädigten und nicht dasjenige eines Dritten ist, in nicht zu vertretender Weise aufgeweicht. Dieser Sichtweise entspricht es, wenn die bloße gesellschaftsrechtliche Beteiligung nicht als ausreichend angesehen wird, um eine Einbeziehung in den Schutzbereich eines Vertrages der Gesellschaft mit einem Vertragspartner zu begründen (BGH, Urteil vom 24.01.2006, XI ZR 384/03, NJW 2006, 830, 835 Rn. 55).

d)

Die Klägerin trifft kein Mitverschulden an dem entstandenen Schaden.“

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Raik Pentzek
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

Mail: rostock@etl-rechtsanwaelte.de


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