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Rechtsgutachten über die gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)

Eine Verschärfung der MVZ-Gründungsvoraussetzungen ist denkbar!
Rechtsgutachten über die gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)
Aktuelles
19.06.2021

Rechtsgutachten über die gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)

Eine Verschärfung der MVZ-Gründungsvoraussetzungen ist denkbar!

17 Jahre nachdem der Gesetzgeber mit dem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) einen neuen Leistungserbringer in der ambulanten Versorgung eingeführt hat und die gesetzlichen Regelungen in der Folgezeit mehrfach geändert wurden, hat das Bundesgesundheitsministerium Februar 2020 ein Gutachten zur Bestandsaufnahme der rechtlichen Rahmenbedingungen für MVZ und Untersuchung auf Verbesserungsmöglichkeiten hin in Auftrag gegeben.

Dieses Gutachten wurde im November 2020 durch die Professoren Dres. Andreas Ladurner, Ute Walter und Beate Jochimsen vorgelegt (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Stand_und_Weiterentwicklung_der_gesetzlichen_Regelungen_zu_MVZ.pdf).

Im Rahmen des Gutachtenauftrags wurde neben der Untersuchung der zeitgeschichtlichen Entwicklung der MVZ-Regulierung und der Behandlung diverser Einzelthemen der MVZ-Regulierung u.a. die Frage in den Fokus gestellt, ob es belastbare Hinweise auf Unterschiede in der Versorgungsqualität zwischen MVZ in Eigenbesitz von Ärzten und in (nichtärztlichem) Fremdbesitz gibt.

Im Kurzbericht des BMG-geförderten Forschungsvorhabens heißt es hierzu:

„Einen der Schwerpunkte des Forschungsvorhabens stellt dabei die Frage dar, ob die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen in MVZ – insbesondere von finanziellen Interessen des MVZ-Trägers – durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen ausreichend gewährleistet ist. In diesem Zusammenhang war auch zu untersuchen, ob empirisch belastbare Daten über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Inhaberstruktur eines MVZ und dessen medizinischer Versorgungsqualität in einer Weise verfügbar sind, dass der Gesetzgeber daraus regulatorische Schlüsse ableiten kann. Daneben widmet sich das Gutachten vielfältigen Einzelfragen der MVZ-Regulierung; diese reichen von der Regelung der Nachbesetzung von Arztstellen in MVZ bis zur Frage von Transparenzvorschriften für MVZ (…).“*

*Quelle: Kurzbericht des BMG-geförderten Forschungsvorhabens, S. 1, abrufbar unter  https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Kurzbericht_Stand_und_Weiterentwicklung_der_gesetzlichen_Regelungen_zu_MVZ.pdf

Das Gutachten kommt zu dem grundsätzlichen Ergebnis, dass der regulatorische Rahmen für MVZ sachgerecht ausgestaltet ist; in Einzelpunkten wird jedoch Verbesserungsbedarf gesehen.

Eine Umsetzung des insoweit skizzierten Verbesserungsbedarfs wäre in der Praxis mit erheblichen Auswirkungen für Bestands-MVZ, aber insbesondere auch für Planungsvorhaben neue MVZ betreffend verbunden. Die gegenständliche Darstellung ist nicht darauf angelegt, sämtliche Diskussionspunkte abschließend zu würdigen, sondern nimmt insbesondere eine mögliche Verschärfung der Gründungsvoraussetzungen in den Blick.

Während u.a. der Vorschlag der  Gutachter, die Mindesttätigkeitsdauer bei Verzicht zugunsten Anstellung von aktuell drei Jahren zu reduzieren und insoweit unter kritischer Würdigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 04.05.2016 (Az. B 6 KA 21/15) angeregt wird, eine gesetzliche Kodifikation zu schaffen und hierbei eine Mindesttätigkeitsdauer von einem Jahr vorzusehen, als positiv zu bewerten ist, ebenso wie die Empfehlung der Gutachter, keine Einschränkungen bei der Nachbesetzungsfähigkeit von Arztstellen im MVZ vorzusehen, gibt es auch Punkte, die einer kritischen Würdigung zu unterziehen sind.

Die bislang vom Gesetzgeber ergriffenen Maßnahmen, die Behandlungstätigkeit in MVZ gegen sachfremde Einflussnahme abzuschirmen, werden durch die Gutachter unterschiedlich bewertet; die durch das TSVG eingeführten Versorgungshöchstquoten für zahnärztliche MVZ werden sogar als verfassungsrechtlich fraglich bewertet.

Aufgrund seiner weitreichenden Konsequenzen ist an dieser Stelle allerdings der Vorschlag der Gutachter in den Blick zu nehmen, die Gründungsvoraussetzungen für MVZ dadurch zu verschärfen, dass eine Mindestgröße für MVZ im Umfang von drei vollen Versorgungsaufträgen gesetzlich vorzusehen ist.

Seit der Einführung der MVZ war nie explizit geregelt, wie viele Versorgungsaufträge vorhanden sein müssen, damit die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die überwiegende Anzahl der Zulassungsgremien setzen aktuell voraus, dass mindestens zwei Ärzte mit jeweils hälftigem Versorgungsauftrag im MVZ tätig sein müssen.

Dies greifen die Gutachter auf und schlagen eine konkretisierende Neufassung des § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor (neuer Text unterstrichen):

„Medizinische Versorgungszentren sind ärztlich geleitete Einrichtungen, die über mindestens drei volle Versorgungsaufträge verfügen und in denen Ärzte, die in das Arztregister nach Absatz 2 Satz 3 eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind; in Gebieten, in den nach Feststellung der Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen eine ärztliche Unterversorgung eingetreten ist oder droht (§ 100 Absatz 1 Satz 1) oder in denen ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf besteht (§ 100 Absatz 3), sind zwei volle Versorgungsaufträge ausreichend. (…)“

Für bereits bestehende, kleinere MVZ wird insoweit die Einführung eines Bestandsschutzes vorgeschlagen.

Was auf den ersten Blick als Statusschutz kleinerer MVZ, d.h. MVZ unter drei vollen Versorgungsaufträgen verstanden werden könnte, relativiert sich bei näherer Betrachtung schnell. Denn bei nachträglicher Unterschreitung der Mindestgröße soll kein Bestandsschutz gewährt werden. Dies hätte in der Praxis zur Konsequenz, dass MVZ, die bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits über mindestens drei Versorgungsaufträge verfügen, diese sodann geltende Mindestzahl aber unterschreiten, ihre Zulassung verlieren würden, sollten sie ihre Gründungsvoraussetzung nicht innerhalb von sechs Monaten wieder herstellen.

Hier ist in der Praxis Vorsicht geboten; dieser vorläufige Bestandsschutz hat keineswegs die Qualität, dauerhaft Rechtssicherheit zu vermitteln.

Im Ergebnis bleibt abzuwarten, inwiefern der Gesetzgeber die Empfehlungen der Gutachter aufgreifen und umsetzen wird.

Das Gutachten einerseits, aber auch der Umstand, dass dieses Gutachten vom Bundesministerium in Auftrag gegeben wurde, spiegelt die aktuell geführte Diskussion um die Industrialisierung im Gesundheitswesen wider und lässt uns in diesem Bereich auch zukünftig noch einige Neuerungen erwarten. Insoweit gilt es, die weiteren Entwicklungen aufmerksam im Blick zu behalten.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt kann sich allerdings im Einzelfall Handlungsbedarf ergeben. MVZ-Träger, die die Gründung eines MVZ mit weniger als drei vollen Versorgungsaufträgen planen, sollten die MVZ-Gründung zeitnah umsetzen.

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Katrin-C. Beyer, LL.M.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Mail: koeln@etl-rechtsanwaelte.de


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