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Wann gibt es einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Mobbings durch Kollegen?

Wann gibt es einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Mobbings durch Kollegen?
Frage des Tages
25.04.2024

Wann gibt es einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Mobbings durch Kollegen?

Dazu hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 11.10.2023 – 6 Sa 48/23). In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten weder einen Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) aus §§ 241 Abs. 2, 253 Abs. 2, 278, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, noch einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG. Die von der Klägerin geschilderten – streitigen und unstreitigen – Verhaltensweisen des Beklagten bzw. von dessen Erfüllungs-/Verrichtungsgehilfen, die die Klägerin als ´Mobbinghandlungen´ bezeichnet, vermögen die Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld oder Entschädigung nicht zu rechtfertigen.

(…) Ansprüche wegen eines als ´Mobbing´ zu bewertenden Verhaltens des Beklagten bzw. seiner Mitarbeiterinnen hat die Klägerin nicht.

(…) `Mobbing´ ist kein Rechtsbegriff und damit auch keine mit einer Rechtsnorm vergleichbare selbständige Anspruchsgrundlage für Ansprüche eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber oder gegen Vorgesetzte bzw. Arbeitskollegen. Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche aufgrund von Mobbing geltend, muss jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den vom Kläger genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeitnehmers iSd. § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB verletzt oder eine sittenwidrige Schädigung iSd. § 826 BGB begangen hat. Auch dann, wenn einzelne vom Arbeitnehmer dargelegte Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, kann eine Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit führen, weil deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung der geschützten Rechte des Arbeitnehmers führt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entspricht dem in § 3 Abs. 3 AGG definierten Begriff der ´Belästigung´, die eine Benachteiligung iSd. § 1 AGG darstellt. Da ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird, sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Demzufolge dürfen einzelne zurückliegende Handlungen/Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden (BAG 24.04.2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 29; BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 58 ff.; BAG 28.10.2010 – 8 AZR 564/09 – Rn. 17).

Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Klägerin für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Daraus folgt, dass sie im Rechtsstreit die einzelnen Handlungen oder Maßnahmen, aus denen sie die angeblichen Pflichtverletzungen herleitet, konkret unter Angabe deren zeitlicher Lage zu bezeichnen hat. Nur dadurch werden die Tatsachengerichte in die Lage versetzt, zu überprüfen, ob die behaupteten Vorgänge für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau zu einer Rechtsbeeinträchtigung geführt haben und dann gegebenenfalls über jeden behaupteten Vorgang Beweis zu erheben (BAG 24.04.2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 41; BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 88).

(…) Gemessen an diesen vom 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen, denen die Berufungskammer folgt, sind die von der Klägerin vorgetragenen Vorkommnisse nicht geeignet, Ansprüche auf Ersatz eines immateriellen Schadens auszulösen. Das hat das Arbeitsgericht im Ergebnis und der Begründung seiner Entscheidung zutreffend erkannt. Die Berufungskammer schließt sich den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts an. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Weder die Angriffe der Berufung, noch sonstige Erwägungen rechtfertigen ein anderes Ergebnis. Systematische ´Mobbing´-Handlungen mit Eingriffsqualität sind nicht erkennbar.

(…) Anders als die Klägerin meint, ist eine Pflichtverletzung des Beklagten nicht bereits dadurch bewiesen, dass sie ausweislich der vorgelegten Atteste von den sie behandelnden Ärzten krankgeschrieben worden ist. Selbst wenn ein ´mobbingtypischer´ Befund festgestellt wird, steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts damit nicht die Kausalität zwischen den behaupteten Mobbing-Handlungen und dem medizinischen Befund fest (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 93). Erst Recht ist damit nicht bewiesen, dass sich die vom Anspruchsteller behaupteten Mobbing-Handlungen tatsächlich zugetragen haben.

(…) Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte selbst durch aktives Tun das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt hat. Das Arbeitsgericht hat auf Seiten 7 und 8 des angegriffenen Urteils überzeugend begründet, dass der Beklagte weder durch die von der Klägerin behauptete und von ihm bestrittene Weisung, Trinkpausen mit den Kolleginnen abzustimmen und die Untersagung von Arztbesuchen während der Arbeitszeit ein das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzendes Umfeld geschaffen hat. Dem schließt sich die Berufungskammer nach eigener Prüfung an. Die Klägerin greift diese Handlungen des Beklagten in der Berufung auch nicht mehr auf.

(…) Die Klägerin wirft dem Beklagten in der Berufung insbesondere vor, er hätte zu ihrem Schutz tätig werden und die Mobbing-Handlungen der Kolleginnen unterbinden müssen. Der Beklagte hat nicht gegen eine Fürsorge- oder Schutzpflicht verstoßen.

(…) Richtig ist, dass der Beklagte als Arbeitgeber gegenüber der Klägerin als Arbeitnehmerin bestimmte Fürsorge- und Schutzpflichten wahrzunehmen hatte. Nach § 241 Abs. 2 BGB erwachsen jeder Vertragspartei aus einem Schuldverhältnis nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme und zum Schutz der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dies verbietet auch die Herabwürdigung und Missachtung eines Arbeitnehmers. Dieser hat daher Anspruch darauf, dass auf sein Wohl und seine berechtigten Interessen Rücksicht genommen wird, dass er vor Gesundheitsgefahren, auch psychischer Art, geschützt wird und dass er keinem Verhalten ausgesetzt wird, das bezweckt oder bewirkt, dass seine Würde verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Der Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch zum Schutz der Gesundheit und des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers verpflichtet (BAG 28.10.2010 – 8 AZR 564/09 – Rn. 18 mwN). Er muss seine Arbeitnehmer auch vor sog. Mobbing und damit vor Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts durch seine Kollegen oder auch Vorgesetzten schützen (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 73 mwN).

(…) Der Beklagte hat gegen diese Schutzpflicht nicht schuldhaft verstoßen. Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin umfangreich dargestellten Verhaltensweisen ihrer Kolleginnen in den Jahren ab Anfang des Jahres 2020 den Tatbestand einer Persönlichkeitsrechts- oder Gesundheitsverletzung erfüllen und den Beklagten bei näherer Kenntnis zum Eingreifen hätten veranlassen müssen. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine schuldhafte Verletzung der arbeitgeberseitigen Schutzpflicht nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber von den Verletzungen der Rechte oder Rechtsgüter des Arbeitnehmers durch andere Arbeitnehmer Kenntnis hat (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 74; Benecke NZA-RR 2003, 225, 230).

Kenntnis von möglichen Rechts(gut)verletzungen durch Kolleginnen der Klägerin hatte der Beklagte nicht. Diese ist ihm weder durch Beschwerden oder Hinweise der Klägerin noch auf andere Weise vermittelt worden, so dass für ihn kein Anlass zum Einschreiten bestand. Das Arbeitsgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass die Klägerin nicht detailliert und unter zeitlicher Einordnung dargelegt hat, über welche konkreten Verhaltensweisen ihrer Kolleginnen sie den Beklagten informiert haben will. Die Klägerin hat im ersten Rechtszug lediglich pauschal behauptet, sie habe den Beklagten ´schon im Laufe des Jahres 2020 auf einige Mobbingvorfälle hingewiesen´ und ´sich besonders im Jahr 2021´ mehrmals in Gesprächen an den Beklagten gewandt und ihn um Hilfe ersucht. Weder hat sie vorgetragen, welche Vorfälle sie erwähnt haben will, noch was konkret Inhalt der – wann und bei welcher Gelegenheit? – geführten Gespräche gewesen sein soll. Es reicht auch nicht aus, auf dem Beklagten bekannte ´Schwierigkeiten im Team´ und in diesem Zusammenhang geführte ´zahlreiche Gespräche´ zu verweisen. Denn der Beklagte hat in beiden Rechtszügen bestritten, von dem von der Klägerin behaupteten Mobbinggeschehen gewusst zu haben.

Die Klägerin trägt auch im zweiten Rechtszug nicht dazu vor, welche einzelnen Vorfälle der Beklagten kannte. Sie räumt ein, dass dem Beklagten nicht jede einzelne Situation bekannt gewesen sei. Im Wesentlichen macht sie geltend, in einem Kleinbetrieb wie der Praxis des Beklagten liege es aufgrund des langen Zeitraums und der Art und der Umstände der Handlungen nach der Lebenserfahrung auf der Hand, dass der Beklagte von den wesentlichen Mobbinghandlungen gewusst habe. Das überzeugt nicht. Es gibt keine allgemeine Lebenserfahrung, wonach der Inhaber einer kleinen Praxis ´wesentliche Mobbinghandlungen´ unter den Mitarbeitern mitbekommt. Unklar ist bereits, was ´wesentliche Mobbinghandlungen´ sein sollen und bei welcher Gelegenheit sie der Betriebsinhaber wahrnehmen soll. Es gibt gerade keinen Erfahrungssatz, dass Mobbing stets offen geschieht. Dagegen spricht im Übrigen schon der Vortrag der Klägerin. Denn sie beschreibt das Verhalten ihrer Kolleginnen als teilweise hinterhältig, etwa das Flüstern ihres Namens, das Tuscheln hinter ihrem Rücken und das einsetzende Schweigen, wenn sie den Raum betrat. Wie und warum der Beklagte derartiges Verhalten bemerkt haben soll, ist nicht nachvollziehbar.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Beklagte vor dem 22.11.2021 von Einzelheiten des Konflikts zwischen der Klägerin und ihren Kolleginnen wusste. Vielmehr geht die Berufungskammer davon aus, dass die Klägerin dem Beklagten erst am 22.11.2021 von der von ihr empfundenen Mobbingsituation berichtet hat. In diesem Gespräch, das unstreitig auf Initiative des Beklagten stattfand, hat er die Klägerin aufgefordert, ihm zu erzählen ´was los sei´. Es war also der Beklagte, der sich um Aufklärung bemüht hat, nachdem es wenige Tage zuvor einen Konflikt unter den Mitarbeiterinnen wegen der Teezubereitung gegeben und die Klägerin sich im Anschluss krankgemeldet hatte. In diesem Gespräch, so trägt es die Klägerin in der Berufung vor, habe sie über die Mobbinghandlungen der Kolleginnen berichtet, insbesondere über die Suche nach Fehlern bei ihr und über falsche Beschuldigungen. Diese Schilderung spricht dafür, dass der Beklagte vor diesem Gespräch über das in diesem Verfahren behauptete Mobbinggeschehen nicht informiert war, dass er vielmehr erst am 22.11.2021 ´ins Bild gesetzt´ worden ist. Die Erkenntnisse aus dem Gespräch mit der Klägerin am 22.11.2021 hat der Beklagte zum Anlass genommen, die anderen Mitarbeiterinnen auf die Sache anzusprechen, und zwar bereits am nächsten Tag gelegentlich bei der Team-Besprechung. Untätigkeit kann dem Beklagten mithin nicht vorgeworden werden. Erst Recht konnte in der Konfliktlage nicht von ihm verlangt werden, von der ordentlichen Kündigung abzusehen. Das Arbeitsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte zum Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder des Persönlichkeitsrechts der Klägerin keine weitere Veranlassung sehen musste.

(…) Der Beklagte haftet schließlich auch nicht für das Verschulden der Mitarbeiterinnen S. und C. als seiner Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB.

Zwar haftet der Arbeitgeber nach dieser Vorschrift seinen Arbeitnehmern gegenüber für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechts- oder Gesundheitsverletzungen durch von ihm als Erfüllungsgehilfen eingesetzte andere Arbeitnehmer und Vorgesetzte; notwendig ist jedoch stets, dass die schuldhafte Handlung in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Schuldner dem Erfüllungsgehilfen in Hinblick auf die Vertragserfüllung zugewiesen hat (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 80 f.). Das ist nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 der Fall, wenn die Erfüllungsgehilfen gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht konkretisieren bzw. ihm gegenüber Weisungsbefugnisse haben. Die Mitarbeiterinnen S. und C. waren der Klägerin gegenüber weder weisungsbefugt, noch waren sie deren Vorgesetzte. Es handelte sich unstreitig um der Klägerin gleichgestellte Kolleginnen.

(…) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG gegen den Beklagten. Ob ein etwaiger Anspruch gemäß § 15 Abs. 4 AGG verfallen ist, kann offenbleiben. Es fehlt an einer Benachteiligung iSd. AGG. Dass der Beklagte die Klägerin wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt hat, trägt die Klägerin in beiden Rechtszügen nicht vor. Eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG durch die Kolleginnen der Klägerin wäre dem Beklagten überdies aus den oben unter a) bb) (3) dargestellten Gründen nicht zuzurechnen.

Eine Angestellte verklagte ihren ehemaligen Arbeitgeber auf Schadensersatz, da sie von ihren Kolleginnen gemobbt worden sei, was bei ihr zu Gesundheitsbeeinträchtigungen geführt habe. Das LAG Schleswig-Holstein hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe eine Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend bewiesen. Ein ärztliches Attest mit ´mobbingtypischem´ Befund sei dafür nicht ausreichend. Ebenso fehlte es dem Gericht an einem Beweis der erforderlichen Kenntnis des Beklagten von den behaupteten Mobbinghandlungen der Kolleginnen.“

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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

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Rüdiger Soltyszeck, LL.M.
Rechtsanwalt
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