Fragen und Antworten zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem EntgeltFG
In diesem Beitrag beantworten wir Fragen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dabei wird die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigt.
Stand des Beitrags: 13. April 2023
Frage 1: Wo finden sich die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall?
Die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden sich im Entgeltfortzahlungsgesetz, abgekürzt EntgeltFG oder auch EFZG.
Frage 2: Sind die gesetzlichen Regelungen des EntgeltFG zwingend?
Ja, grundsätzlich sind die Bestimmungen des EntgeltFG zugunsten des Arbeitnehmers zwingend. Eine Ausnahme findet sich in § 4 Abs. 4 EntgeltFG (siehe auch § 12 EntgeltFG). Zugunsten des Arbeitnehmers darf von den Regelegungen des EntgeltFG abgewichen werden.
Frage 3: Wo ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegenüber seinem Arbeitgeber im Kern gesetzlich geregelt?
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ergibt sich im Wesentlichen aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgeltFG.
Frage 4: Wie hoch ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung?
Die Anspruchshöhe beträgt 100 % der „normalen“ Vergütung (§ 4 Abs. 1 EntgeltFG). Die konkret vom Arbeitgeber geschuldete Entgeltfortzahlung orientiert sich an der durch Krankheit ausgefallenen Arbeitszeit und dem, was für diese Arbeitszeit durch den Arbeitgeber geschuldet wird. Es gibt also – ähnlich dem Urlaubsrecht – einen Zeitfaktor und einen Geldfaktor.
Frage 5: Was ist für Überstunden zu beachten?
Siehe dazu § 4 Abs. 1a EntgeltFG. Demnach sind Überstunden bei der Feststellung des Zeitfaktors nicht zu beachten. Das kann zu einer im Einzelfall schwierigen Abgrenzung zwischen Überstunden einerseits und der vertraglich vereinbarten und/oder „gelebten“ regelmäßigen Arbeitszeit führen (siehe dazu Erfurter Kommentar/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 4 EntgeltFG, Rn. 7).
Frage 6: Inwieweit können sich Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber einer Krankenversicherung bzw. Krankenkasse ergeben?
Nach den §§ 44 ff. SGB V steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Krankengeld zu. Dieser Anspruch ist auf 78 Wochen begrenzt.
Frage 7: Was hat es mit dem AAG auf sich?
Nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) steht Arbeitgebern unter Umständen ein Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihnen an den Arbeitnehmer gezahlten Entgeltfortzahlung gegenüber der Krankenkasse des Arbeitnehmers zu. Die dafür benötigen finanziellen Mittel werden durch ein Umlageverfahren aufgebracht.
Frage 8: Wer gehört zu den durch das EntgeltFG erfassten Personen?
Das ergibt sich aus § 1 Abs. 2 EntgeltFG. Danach sind alle Arbeitnehmer grundsätzlich anspruchsberechtigt. Zu den Arbeitnehmern zählen Arbeiter, Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.
Zur wirtschaftlichen Sicherung für den Fall der Krankheit im Bereich der Heimarbeit siehe § 10 EntgeltFG.
Frage 9: Was versteht man im Zusammenhang mit dem EntgeltFG unter einer Anlasskündigung?
Siehe dazu § 8 Abs. 1 Satz 1 EntgeltFG und LAG Nürnberg, Urt. v. 04.07.2019 – 5 Sa 115/19 [aus den Entscheidungsgründen]:
„1. Die klägerische Krankenkasse hat gegenüber der Beklagten aus übergegangenem Recht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 3 Abs. 3 EFZG Anspruch auf Erstattung des an die Arbeitnehmerin für den Zeitraum vom 10.03.2018 bis 18.04.2018 gezahlten Krankengeldes.
a) Ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, hat während des Bestands des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1, Satz 1 EFZG). Voraussetzung ist, dass bei Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitsverhältnis besteht und gemäß § 3 Abs. 3 EFZG die vierwöchige Wartezeit erfüllt ist. Regelmäßig endet der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses (§ 8 Abs. 2 EFZG). Dieser Grundsatz wird jedoch durch § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG durchbrochen. Ungeachtet des vorzeitigen, d.h., vor Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums liegenden Endes des Arbeitsverhältnisses, behält der Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus den sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat.
Der Arbeitgeber kündigt dann aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff ´aus Anlass´ ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 17.04.2008 – 5 AZR 2/01, zitiert nach juris). Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist die Arbeitnehmerin bzw. im Falle des Forderungsübergangs die Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.03.2006 – 6 Sa 801/05, zitiert nach juris). Es ist dann zunächst Sache der Arbeitgeberin diesen Anschein durch Beweis dadurch zu erschüttern, dass nicht die angezeigte Arbeitsunfähigkeit, sondern andere Gründe zum Ausspruch der Kündigung führten. Dabei muss die Arbeitsunfähigkeit nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur Anlass zum Ausspruch der Kündigung gewesen sein. Sie muss mithin den Kündigungsentschluss als solchen wesentlich beeinflusst haben (BAG, Urteil vom 17.04.2002 – 5 AZR 2/01, zitiert nach juris).
b) Diese Voraussetzungen des Fortbestandes des Entgeltfortzahlungsanspruchs über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bis zur Dauer von insgesamt sechs Wochen liegen hier vor.
Die Klägerin hat den Anscheinsbeweis erbracht, dass die Kündigung der Arbeitnehmerin aus Anlass ihrer Erkrankung erfolgte. Die Kündigung und die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit stehen bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang. Darüber hinaus wird der Anscheinsbeweis auch noch durch den Umstand gestützt, dass bei Ausspruch der Kündigung der Ablauf der vierwöchigen Wartefrist gemäß § 3 Abs. 3 EFZG drohte und einen Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist endete, so dass die Beklagte ab dem 10.03.2018 Entgeltfortzahlung hätte leisten müssen.
Die Beklagte vermochte diesen Anscheinsbeweis nicht zu erschüttern. Sie hat zwar vorgetragen, dass die Kündigung deswegen erfolgt sei, da die Klägerin bei der sogenannten Initialschulung (´Erstausbildung´), bestehend aus einem Basiskommunikationstraining und der Fachschulung hätte nicht teilnehmen können. Nehme ein Arbeitnehmer an der Schulung nicht teil, so könne er die Tätigkeit nicht ausführen, für die er eingestellt worden ist. Aus welchem Grund die Arbeitnehmerin der Schulung ferngeblieben sei, wäre für die Beklagte irrelevant gewesen. Hierbei verkennt die Beklagte, dass ursächlich für die Nichtteilnahme der Arbeitnehmerin deren Arbeitsunfähigkeit gewesen ist. Wie oben dargestellt, kommt es auf die objektive Ursache nicht auf das Motiv der Kündigung an. Die Arbeitsunfähigkeit und die damit verbundene Nichtteilnahme der Arbeitnehmerin an der Schulung war damit Anlass für den Ausspruch der Kündigung.
Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufung nochmals darauf hingewiesen habe, dass die Arbeitnehmerin darüber hinaus auch während der Teilnahme an der Schulung desinteressiert gewirkt habe und dies auch in der Betriebsratsanhörung deutlich werde, folgt die erkennende Kammer dieser Argumentation nicht. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass in der Betriebsratsanhörung vom 15.02.2018 (Anlage B1) ein solcher Hinweis für den Leser der Betriebsratsanhörung gerade nicht ersichtlich wird. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerin aufgrund der Aussage ihres Ansprechpartners Herrn G… trotz Arbeitsunfähigkeit noch zwei Tage an der Schulung teilgenommen hat. Wenn die arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmerin daraufhin in der Schulung nicht leistungsfähig gewesen ist, liegt eine mögliche Erklärung hierfür in der der Beklagten bekannten Arbeitsunfähigkeit. Es erscheint damit treuwidrig, wenn sich die Beklagte auf ein solches Verhalten der Arbeitnehmerin während ihr Arbeitsunfähigkeit beruft. Weiter wäre zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihren Kündigungsentschluss wegen eines mutmaßlichen Desinteresses der Arbeitnehmerin an der Schulung schon vor der Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit gefasst haben müsste. Hierzu liegt kein nachvollziehbarer Sachvortrag durch die Beklagte vor. Insbesondere hat sich die Beklagte auch nicht mit dem Sachvortrag der Klägerin auseinandergesetzt, dass Herr G… anlässlich des Telefonats bezüglich der Mitteilung einer Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Arbeitnehmerin geäußert habe, dass es ihm leid tue, dass die Arbeitnehmerin jetzt erkrankt sei, sie aber nun einmal in der Einarbeitung sei und dass daher das Beschäftigungsverhältnis beendet werden müsse. Auch dass Herr G… im weiteren Verlauf geäußert habe, dass Frau B… sich gerne nach erfolgter Genesung wieder melden könne, spricht gegen ein festgestelltes angebliches Desinteresse der Arbeitnehmerin.“
Frage 10: Was meint man, wenn im Zusammenhang mit Ansprüchen des Arbeitnehmers nach dem EntgeltFG von einer „Wartezeit“ gesprochen wird?
Siehe dazu § 3 Abs. 3 EntgeltFG. Demnach beträgt die Wartezeit vier Wochen.
Frage 11: Was hat es mit der eAU auf sich?
Hier geht es um die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die es seit 01.01.2023 gibt. Siehe dazu unsere gesonderte FAQ-Liste eAU.
Frage 12: In welchem Umfang liefert ein (zahn-)ärztliches Attest den Beweis für eine tatsächlich vorhandene, durch Krankheit ausgelöste Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers?
Siehe dazu etwa BAG, Urt. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 [aus den Entscheidungsgründen]:
„a) Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 16, BAGE 169, 117).
aa) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus (Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 540). Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (so die st. Rspr. vgl. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 17, BAGE 157, 102; 15. Juli 1992 – 5 AZR 312/91 – zu II 1 der Gründe, BAGE 71, 9; ebenso MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 82 Rn. 28; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; Reinecke DB 1989, 2069 (unter 5.1.2); ErfK/Reinhard 21. Aufl. EFZG § 5 Rn. 14; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 111; NK-GA/Sievers EFZG § 5 Rn. 66 f., jeweils mwN).
bb) Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (st. Rspr. BAG 11. August 1976 – 5 AZR 422/75 – zu 2 c der Gründe, BAGE 28, 144; 11. Oktober 2006 – 5 AZR 755/05 – Rn. 35; BGH 16. Oktober 2001 – VI ZR 408/00 – zu II der Gründe, BGHZ 149, 63; zust. MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 82 Rn. 28; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; ErfK/Reinhard 21. Aufl. EFZG § 5 Rn. 14; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 111). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein ´bloßes Bestreiten´ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (MHdB ArbR/Greiner aaO Rn. 30; Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 367; ErfK/Reinhard aaO Rn. 17; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt aaO Rn. 124). Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt (vgl. BT-Drs. 12/5263 S. 10), hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.
cc) Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (vgl. BAG 13. Juli 2005 – 5 AZR 389/04 – zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; im Anschluss hieran BAG 10. September 2014 – 10 AZR 651/12 – Rn. 27, BAGE 149, 101). Ebenso hat es entschieden, dass in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. BAG 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 20, BAGE 169, 117). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine – unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten – überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.“
Im Übrigen heißt es im Leitsatz der Entscheidung des BAG (a.a.O.):
„Wird ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.“
Siehe auch ArbG Neumünster, Urt. v. Urt. v. 23.09.2022 – 1 Ca 20 b/22:
„Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können sich daraus ergeben, dass eine am Folgetag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Das gilt auch dann, wenn die gesamte Dauer der verbliebenen Kündigungsfrist durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt werden (…).“
Frage 13: Ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer die krankheitsbedingte Kündigung lediglich vortäuscht?
Ja, das ist – einzelfallabhängig – denkbar. Siehe dazu etwa ArbG Siegburg, Urt. v. 16.12.2022 – 5 Ca 1200/22 [aus der Presseerklärung v. 10.01.2023]:
„Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für 2 Tage krank und nimmt an einer ´Wild Night Ibiza Party´ teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann gerechtfertigt sein.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2017 als Pflegeassistentin beschäftigt. Sie war für Samstag, den 02.07.2022, und Sonntag, den 03.07.2022, zum Spätdienst eingeteilt. Für die Dienste meldete sie sich bei der Beklagten krank. In dieser Nacht fand im sog. Schaukelkeller in Hennef die White Night Ibiza Party statt, auf der Fotos von der feiernden Klägerin entstanden. Diese fanden sich beim WhatsApp-Status der Klägerin und auf der Homepage des Partyveranstalters. Die Beklagte kündigte ihr daraufhin fristlos. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage.
Mit Urteil vom 16.12.2022 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund liege darin, dass die Klägerin über ihre Erkrankung getäuscht und damit das Vertrauen in ihre Redlichkeit zerstört habe. Für die Kammer stand aufgrund der Fotos fest, dass sie am Tage ihrer angeblich bestehenden Arbeitsunfähigkeit bester Laune und ersichtlich bei bester Gesundheit an der White Night Ibiza Party teilgenommen habe, während sie sich für die Dienste am 02.07. und 03.07.2022 gegenüber der Beklagten arbeitsunfähig meldete. Der Beweiswert der AU-Bescheinigung sei damit erschüttert. Die Erklärung der Klägerin sie habe an einer 2-tägigen psychischen Erkrankung gelitten, die vom Arzt nachträglich festgestellt worden sei, glaubte das Gericht der Klägerin nicht. Die Kammer ging davon aus, dass die Klägerin die Neigung habe, die Unwahrheit zu sagen. Dies ergebe sich bereits aus ihren Einlassungen im Verfahren. So habe sie eingeräumt, dass sie dem Arbeitgeber gegenüber am 05.07.2022 mitgeteilt hat, sich wegen Grippesymptomen unwohl und fiebrig gefühlt zu haben. Im Verfahren habe sie dann eine 2-tägige psychische Erkrankung vorgetragen, die nach genau einem Wochenende ohne weitere therapeutische Maßnahmen ausgeheilt gewesen sei. Dies sei schlicht unglaubhaft.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.“
Frage 14: Was gilt, wenn Erholungsurlaub und Krankheit i.S.d. EntgeltFG zusammentreffen?
Dann geht grundsätzlich die Krankheit bzw. das EntgeltFG dem BUrlG vor (§ 9 BUrlG). Es erfolgt also im Ergebnis eine Art „Urlaubsgutschrift“.
Frage 15: Kann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch im Rahmen einer Videosprechstunde ausgestellt werden?
Ja! Grundsätzlich darf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt entweder im unmittelbar persönlichen Kontakt zwischen Versichertem und Vertragsarzt/Vertragsärztin oder aber aufgrund einer mittelbar persönlichen Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde. Ein Anspruch auf die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde besteht aber nicht.
Frage 16: Für welchen Zeitraum darf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rahmen einer Videosprechstunde ausgestellt werden?
Hier ist zu differenzieren, ob die versicherte Person dem Vertragsarzt/der Vertragsärztin oder einem/r anderen Vertragsarzt/-ärztin derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist. Ist dies der Fall, kann eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen erfolgen. Anderenfalls soll die erstmalige Feststellung über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen nicht hinausgehen.
Ergänzende Frage: Gilt das auch für Folgebescheinigungen?
Nein, hier gilt die Besonderheit, dass die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde nur erfolgen darf, wenn bei der versicherten Person bereits zuvor aufgrund unmittelbar persönlicher Untersuchung durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist.
Siehe im Übrigen auch unsere FAQ-Liste zum Urlaubsrecht.